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„Homosexualität_en“-Plakat darf nicht mehr an Bahnhöfen hängen

9. Mai 2016

Anlässlich der Eröffnung der Ausstellung „Homosexualität_en“ im LWL – Museum für Kunst und Kultur in Münster am 12. Mai 2016 gibt es eine Debatte um das Ankündigungsposter und seine Werbeflächen. Auf dem Plakat ist das Körpermodifikationsprojekt „Advertisment: Hommage to Benglis“ aus der Serie „CUTS: A Traditional Sculpture“ des_der kanadischen Künstler_in Heather Cassils zu sehen, auf dem er_sie mit nacktem Oberkörper, Jockstrap, Brustwarzen-Piercing und rot bemalten Lippen abgebildet ist. Zusammen mit seiner_ihrer Pose stellt das Projekt deutlich Geschlechternormen in Frage und repräsentiert damit verschiedene mögliche Formen von Sexualitäten und Geschlechtlichkeit. Dieses Öffnen von Sexualitäten und Geschlechternormen ist eines der Ziele der Ausstellung „Homosexualität_en“, die von Birgit Bosold, Dorothée Brill und Detlef Weitz kuratiert wurde und von der Kulturstiftung des Bundes sowie der Kulturstiftung der Länder gefördert ist.

Das Plakat hing bereits 2015 zur Eröffnung der ursprünglich in Berlin gezeigten Doppelausstellung im Schwulen Museum* und dem Deutschen Historischen Museum in allen Bezirken und Straßen der Hauptstadt, inklusive sämtlichen Bahnhöfen, auch in der S-Bahn, die zur Deutschen Bahn gehört. Im Vorfeld der Ausstellungseröffnung in Münster hat das Fachreferat Media & Buch, zuständig für die Motivgenehmigung bei der Deutschen Bahn AG nun allerdings veranlasst, das identische Plakatmotiv nicht in den regionalen Bahnhöfen aufzuhängen, da es als „sexualisiertes“ und „sexistisches“ Bild den Richtlinien des Deutschen Werberates widersprechen würde.

Die Bahn hat daraufhin die Firma Ströer angewiesen, die entsprechenden Plakate nicht in ihren Bahnhöfen aufzuhängen. Ströer ist dieser Anordnung gefolgt und hat dem LWL-Museum Ersatzflächen in der Stadt angeboten. Das LWL-Museum hat dieses Angebot angenommen.

Darauf angesprochen, warum die gleiche Werbung auf den bahneigenen S-Bahnhöfen in Berlin kein Problem war, erklärte die Deutsche Bahn, dass die Plakate damals „durchgerutscht“ seien und ihre Genehmigung im letzten Jahr ein Versehen seitens der Bahn gewesen sei.

Der Vorwurf, dass dieses Kunstwerk von Cassils den Richtlinien des Deutschen Werberates widersprechen würde, das Motiv der_die Künstler_in also entweder „auf ihre Sexualität reduziere“, ihn_sie „durch ihre Nacktheit herabwürdige“ oder das Plakat an sich einen „pornographischen Charakter“ habe, ist aus Sicht des Schwulen Museum* und der Kurator_innen falsch – und unangebracht.

Es hatte im Vorfeld der Berliner Ausstellungseröffnung bereits in der schwul-lesbischen Szene intensive Diskussionen zum Plakat gegeben, aber niemand hatte das Plakat je als „sexistisch“ abgelehnt. Vielmehr ging es darum, dass eine Trans*-Person nichts mit „normalen Schwulen und Lesben“ zu tun habe und lesbische und schwule Akteur_innen kritisierten, dass sie nicht richtig repräsentiert werden würden. „Wir wollen zeigen, dass die Diskriminierung von homosexuellen Menschen mit der Geschlechterordnung zu tun hat, die allen ungefragt eine geschlechtliche Identität zuweist und zugleich ein sexuelles Begehren, nämlich in Richtung des Gegengeschlechts,“ sagt Dr. Birgit Bosold, Projektleiterin und Mit-Kuratorin der Ausstellung.

Interessant ist, dass die Deutsche Bahn generell kein Problem damit hat, körperbetonte Werbung – mit Nacktheit – mit heteronormativen Menschen zu zeigen. Ein Bild, das offensichtlich heterosexuelle Normen in Frage stellt, wird dagegen „zensiert“ und der Öffentlichkeit als nicht zumutbar eingestuft, während das Bild im öffentlichen Stadtbild Berlins zwar Aufmerksamkeit erregte, aber keinerlei Proteste. Die Entscheidung der Deutschen Bahn ist, besonders vor dem Hintergrund des zu beobachtenden gesellschaftlichen Rollbacks und eines Erstarkens rechtskonservativer Kräfte ein fatales Signal.

Das Schwule Museum* lädt die Verantwortlichen in einem offenen Brief zu einer öffentlichen Diskussion über die Entscheidung in unser Haus in Berlin ein.

Die Ausstellung „Homosexualität_en“ läuft vom 13. Mai bis zum 04. September 2016 im LWL – Museum für Kunst und Kultur in Münster, Domplatz 10, 48143 Münster, www.lwl-museum-kunst-kultur.de

Update: In einer Medienanfrage der Zeitschrift „Männer“ gab ein Sprecher der Bahn an, dass das „offenherzige” Plakat als „sexistisch” interpretiert werden könne und verwies dabei auf eine „höhere Sensibilität“ zu diesem Thema unter Bahnkund_innen seit der vergangenen Silvesternacht in Köln.