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Tapetenwechsel 2.1: Fortschreitende Arbeit

12. Mai 2017 – 28. August 2017

Ich brauch’ Tapetenwechsel sprach die Birke sang Hildegard Knef und schrieb fortan ihre eigenen Liedtexte. Auch im Alltag spricht man* von Tapetenwechsel, wenn die Situation grundlegend verändert werden soll. Tapetenwechsel ist mehr als Tünche, es ist eine einschneidende Veränderung, die aber doch nur einen neuen Hintergrund für das vorhandene Inventar abgibt. Eine Interpretationshilfe, eine andere Ansicht, nicht nur im Alltag sondern auch in Fragen der Selbstfindungen, der Theorien und Ideologien.

 

Neue Einbauten, von der Dandy-Ausstellung übernommen, brachten neue Möglichkeiten. Es wurde umgehängt, erweitert, Neues kam hinzu. Tapetenwechsel als Serie will beweglich bleiben, plant immer wieder kleinere Präsentationen innerhalb einer sich ständig wandelnden Ausstellung. Einschübe, die nicht unbedingt aus unseren Sammlungsbeständen stammen, gelten Themen, die bisher als Projekte nicht verwirklicht werden konnten.

 

Nach Rock Hudson und die Aids-Krise beschäftigen wir uns nun mit dem Urtext des Feminismus Simone de Beauvoir: Das andere Geschlecht. In Zeiten des Rückfalls, der Infragestellung der Emanzipationserfolge, wollen wir alte Forderungen überprüfen, zur Diskussion stellen und zur Verteidigung unserer Werte nachdrücklich ermuntern. Das Projekt zu Simone de Beauvoir lässt sich auch als persönliche, biografische Erkundung des Kurators und seiner Generation lesen. Wir waren alle Existenzialisten und das hohe Paar Sartre-Beauvoir hatte Vorbildfunktion für neue Möglichkeiten der Beziehungen nicht nur für Heterosexuelle. Auch wenn jetzt beim Wiederlesen zutage tritt, dass Simone de Beauvoir doch Vorbehalte gegen Tunten hegte.

 

Eine weitere Neuerung innerhalb von Tapetenwechsel 2.01 ist die wechselnde Präsentation von Neuzugängen aus unserem Archiv. Diesmal präsentieren wir Fotos von Fritz Weiss, einem ehemaligen Schaufensterdekorateur und Hobbyfotografen aus Stuttgart, der seit den 1960er Jahren Aktfotos in eigener Dunkelkammer entwickelte. Bis zur Liberalisierung des Paragraphen 175 im Jahr 1969 traute sich Weiss nicht, diese Fotos in einem Labor entwickeln zu lassen.

 

Im Herzen der Ausstellung erinnert eine Wand an die im KZ-Sachsenhausen ermordeten Schwulen. Konterkarierend erzählen wir von schwulen und lesbischen Karrieren im Dritten Reich und vom Leben im Verborgenen. Kurt Hiller veröffentlichte  im Jahr 1922 seine Broschüre § 175 – Die Schmach des Jahrhunderts. Eine Installation von Kurt Stark zur Geschichte des § 175 eröffnet den Raum. Davor steht auf einem Sockel ein Napoleon-figürchen. Napoleon, der das französische Strafrecht modernisierte, allerdings nicht zu Gunsten von Frauen, die wurden sogar schlechter gestellt als in der mittelalterlichen Ständeordnung, Napoleon schaffte die Verfolgung von Schwulen ab. Der Code Napoleon galt auch in vielen deutschen Staaten, bis die Reichsgründung 1871 erneut die Bestrafung männlicher Homosexualität zementierte. Das Frauenwahlrecht wurde den Französinnen erst 1944 gewährt.