In einem bis dahin unbekannten Ausmaß gelangte im Jahr 1869 das, was man je nach Standpunkt widernatürlicher Unzucht, Uranismus, konträre Sexualempfindung, Homosexualität oder Päderastie nannte, ins öffentliche Bewusstsein. Die Strafrechtsreform, der Kriminalfall Zastrow und neue Forschungsergebnisse, die in der Fachpresse publiziert wurden, gaben den sehr aufgeregten Auseinandersetzungen Nahrung. Die Beiden Bezeichnungen „konträre Sexualempfindung“ und „Homosexualität“ wurden im Verlauf dieser Auseinandersetzung in Berlin erfunden. So wurden einerseits 1869 in Berlin die Weichen gestellt für eine Entwicklung, die schließlich 1933 unter den Nazis zur vollen Herrschaft des „gesunden Volksempfinden“ führte. Andererseits war in der Diskussion des Jahre 1869 aber auch die erst hundert Jahre später erfolgte Reform des Schwulenparagraphen 175 angelegt.
Unsere Ausstellung bewegt sich zwischen diesen beiden Polen. Gezeigt werden Bilder, Fotos und Dokumenten von den Anfängen der Schwulen-Emanzipationsbewegung, ihren Erfolgen, ihrer Konsolidierung und ihren Niederlagen. Die Lebensreformbewegung der Jahrhundertwende, die Skandale der 10er Jahre, Künstler, Dichter, Tunten, Freundespaare, das schwule Leben der 20er Jahre, die Repression der 30er und 40er Jahre, das Exil, das KZ-Sachsenhausen, die Befreiung und die wiedererwachende Bewegung der 50er und 60er Jahre sind Themen der Ausstellung.
Gezeigt werden die Wurzeln der neuen Schwulenbewegung, die erst nach der Reform des § 175 im Jahr 1969 entstehen konnte. Vieles, was in den70er Jahren mühsam neu erfunden wurde, gab es bereits vor dem drastischen Einschnitt der Nazizeit. Das Sichtbarmachen dieser vergessenen Geschichte ist Verspflichtung und Aufgabe des Schwulen Museums.
Kurator: Andreas Sternweiler