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Allen Ginsberg – Reality Sandwiches, Fotografien

8. Juni 1997 – 10. August 1997

„Ich sah die besten Köpfe meiner Generation zerstört vom / Wahnsinn, ausgemergelt hysterisch nackt […] mit Tränen, mit Drogen, mit Wahnvorstellungen, Alkohol / und Schwanz und endlosen Rumficken.“ Schon in den ersten Verszeilen seines Gedichts Howl (Das Geheul) stecken so ziemlich alle Themen, die dem Schriftsteller Allan Ginsberg wichtig waren und ihn zum Propheten eines neuen Amerikas, zum Urvater der Beat generation machten: Null Respekt vor dem Establishment, sondern der Ruf nach Freiheit und Revolution. Neue Wege und Auswege sah und fand Ginsberg im Sex, in den Drogen, in der Musik – und im Wissen und der Erfahrung fernöstlicher Religionen. 1955 war dies noch reichlich Stoff für Skandal und öffentliche Erregung. Heute ist Ginsberg Pflichtlektüre an allen Colleges, Howl als Meilenstein der amerikanischen Literatur anerkannt. Und Ginsberg war zuletzt ein respektabler, renommierter Literaturprofessor.

Lange Zeit im Verborgenen blieb jedoch, dass Ginsberg ein nicht weniger leidenschaftlicher Fotograf war. Das Schwule Museum zeigt nun eine von Michael Köhler besorgte Auswahl des fotografischen Schaffens des im April verstorbenen Ginsberg. Doch weder freizügig pornographischer Schweinkram oder das Drogendelirium imitierende Bildwelten sind seines Sujets, noch hat er die fotografische Illustrierung seiner Bilderfluten hektischer Impressionen und Momentaufnahmen der niedergehenden USA geliefert. Ginsberg begann – wie fast jeder einmal – mit privaten Schnappschüssen von Familienangehörigen und Freunden. Diese private Intimität haben seine Aufnahmen bis zuletzt nie verloren.

Eine gebrauchte Kodak Retina für 13 Dollar wird 1955 sein erster Fotoapparat. Die passte in jede Brusttasche und war spielend leicht zu bedienen. Seine Motive sind seine Freunde – die Beat generation – und seine Fotos inzwischen Dokumente des Aufbruchs und ein Stück Literaturgeschichte. William S. Burroughs hinter einer Bücherreihe verschanzt, die Haare streng nach hinten gekämmt: „He looks like Baudelaire“, schrieb Ginsberg unter seinen Abzug. Denn auch als Fotograf bleibt Ginsberg Literat. Unter jedes Foto notierte er in seiner unverkennbaren kringeligen Schrift einige Zeilen zum Motiv, zu den Umständen der Ausnahme. Sie bewahren die Aura des Unverstellten, der Dokumentarischen. Er fotografiert die Stars der Literaturszene – Herbert Huncke, Neal Cassady, Jack Kerouac, später Kathy Acker, Robert Creely oder auch den Maler Willem de Kooning. Aber er fotografiert sie nie als Berühmtheiten, setzte sie nie in Szene. E sind stets die schnell aus der Hüfte geknipsten Momentaufnahmen. Augenblicke der Intimität und der Poesie.

Nicht zufällig war es der Fotograf Nobert Frank, der die Qualität von Ginsbergs Arbeiten entdeckte und ihn 1984, nach 20jähriger Unterbrechung, dazu ermutigte, wieder mit dem Fotografieren zu beginnen, aber auch die alten Bilder auszustellen und zu publizieren. Nun kaufte sich Ginsberg eine Rolleoflex und fotografiert die alten und die neuen Freunde: Norman Mailer und William S. Burroughs, die gerade das Haus von John Steinbeck verlassen, Abendessen mit Kollegen in Moskaus,. Ginsbergs Lebensgefährten Peter Orlovsky vor einer Tasse Tee. Wolf Biermann klampft auf der Gitarre im Garten seines Hamburger Wohnhauses.

Der eigentümliche Charme dieser Bilder liegt wahrscheinlich darin, dass sie niemals für eine Veröffentlichung gedacht waren. E sind Bilder für einen ganz einfachen, arglosen Zweck: kurze Momente des Lebens, des Glücks, der Freundschaft oder der Liebe festzuhalten. Und Ginsberg spricht gar von heiligen Augenblicken – „heilig aus dem fast religiösen Gefühl, dass diese Augenblicke nie wiederkehren würden; dass unser Leben kurz ist und die Momente des Glücks flüchtig sind“.

Kurator: Michael Köhler

Organisation: Wolfgang Theis