Jede Epoche erfindet ihre Art des gleichgeschlechtlichen Begehrens. Das deutsche 19. Jahrhundert erzeugt den modernen Homosexuellen. Niemals zuvor und niemals danach offenbarten die Anhänger der Männerliebe so scham- und sorglos ihre Gefühle, Lieben und Leiden. Umarmt durch die medizinische Wissenschaft fertigten sie detaillierte Porträts der „namenlosen Liebe“ an. Geheime Treffpunkte, geheime Verlangen – die Beichten der Päderasten verlockten die Mediziner zu Expeditionen in das dunkle Reich menschlicher Leidenschaften.
Die Ausstellung rekonstruiert die wissenschaftlichen Entdeckungsreisen und bringt die Konträrsexuellen erneut zum Sprechen. Deren ‚unerhörte Geständnisse klangen nicht nur damals wie medizinische Pornographie. Portraitpostkarte, medizinische Fotos und Instrumente, erotische Klassiker der gehobenen Art und antikisierende Gemälde profilieren die „homosexuelle Identität“ des 19. Jahrhundert.
Der Konzeption liegt das Buch von Klaus Müller: Aber in meinem herzen sprach eine Stimme so laut. Homosexuelle Autobiographien und medizinische Parthographien im 19. Jahrhundert (Verlag Rosa Winkel) zugrunde.
„Bei der Durchsicht der Bekenntnistexte, die vor allem in den neunziger Jahren massenhaft in der sexualpathologischen Fachliteratur publiziert wurden, stellt Müller fest, dass sich die Autoren fast durchweg von den Interpretationsmustern der Wissenschaft abzusetzen versuchten. Sie widersprachen in ihrer Mehrzahl gängigen Degenerationstheorien, lehnten das Konzept der Weiblichkeit für sich ab und wollten zumeist auch von einer Therapie nichts wissen.“ (Tilman Krause, Frankfurter Allgemeine Zeitung 22.02.1992)
Kurator: Klaus Müller