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Frauen und Jungs: Die Zeichnungen von Herbert List 1940 bis 1946

11. Juli 2009 – 12. Oktober 2009

Erstmals werden die Zeichnungen des bedeutenden Fotografen Herbert List (1903-1975) in einer Ausstellung präsentiert, über 60 Jahre nach ihrer Entstehung – eine echte Entdeckung. Entstanden sind sie in den Kriegsjahren. Als selbstbewusster Homosexueller und Künstler hatte List schon 1936 Nazi-Deutschland verlassen, als in seiner Heimatstadt Hamburg die Verfolgung der Homosexuellen schlagartig einsetzte und seinen großen Freundeskreis betraf. Ihm gelang in Frankreich eine Karriere als Kunstfotograf. Wie andere schwule Künstler blieb auch er angesichts der Bedrohung seinem homoerotischen Thema treu. Dem Druck der Diffamierung in Deutschland setzte er ein eigenständiges künstlerisches Werk entgegen. Auch Marcus Behmer oder Werner Gilles haben sich gerade in der Nazi-Zeit als politisches Statement jetzt erst recht mit schwulen Themenkomplexen beschäftigt. Auch oder besonders damals war das vermeintlich Private das eigentlich Politische. Die englischen Schriftsteller Auden, Isherwood und Spender, mit denen List seit Jahren in Kontakt stand, haben diesen Weg gleichzeitig in ihren Texten verfolgt und ihr privates Leben zum Gegenstand künstlerischer Arbeit gemacht. Lists Fotografien verknüpfen das Thema mit der Bildsprache der neuen Sachlichkeit oder der Avantgarde und erzielen wegweisende Bildfindungen der Freundschaft.

Gestrandet nach Kriegsbeginn in Griechenland und angeregt durch den Kontakt mit zwei bekannten griechischen Künstlern, Ghika und Tsarouchis, wandte sich List dem Medium der Zeichnung zu. Gleichberechtigt tritt diese für ihn in den nächsten Jahren neben die Fotografie. Eine zentrale Rollespielen Erinnerungen an die Kunstszene von Paris, wo auch Ghika und Tsarouchis studiert hatten, an die französische Moderne eines Picasso und Matisse, aber auch an Künstler des Surrealismus und der Neohumanisten wie Christian Bérard, Paul Strecker oder Pavel Tschelitschev, die die Galerie Flechtheim in Deutschland vor 1933 bekannt gemacht hatte.

Bis März 1941 entstand in Griechenland ein erstes Konvolut von Zeichnungen, das so in Nazi-Deutschland kaum vorstellbar gewesen wäre. List umschreibt eine humane Gegenwelt zum herrschenden Nazi-Terror und Töten. Trauer und Melancholie, Zuneigung, Intimität und Anhänglichkeit sind seine Reaktionen auf die Zerstörungen. Der Kriegswelt wird ein intaktes Universum der Frauen gegenübergestellt. Dieses erscheint streng getrennt von der Welt der jungen Männer. Für beide Bereiche gilt eine besondere gleichgeschlechtliche Zuneigung. Die Frauen bewegen sich ganz ungezwungen untereinander. Sie sind teils völlig nackt oder halb entkleidet und präsentieren stolz ihre Blöße. Eine erotische Spannung und Freiheit liegt in der Luft. Es handelt sich um aktive Frauen, in unterschiedlichsten Verhältnissen zueinander. Sie sind nicht Objekt der Begierde von Männern, sondern eigenständig agierende Subjekte.

Die Zeichnungen zeigen nicht die moderne Frau der Weimarer Zeit, keine Filmstars, nicht die Androgyne und nicht die sportliche Amazone wie auch List sie in Hamburg zuvor fotografiert hatte. Auch handelt es sich nicht um Pinups, wie sie in den Kriegsjahren in ungeheurer Menge produziert wurden. Vielmehr sind es sehr weibliche Wesen mit kräftigen Körpern, Frauen in ihrer ganzen Wesenheit und Fülle, mit voluminösen Formen und einer kraftvollen Präsenz und Potenz. Sie erinnern an Muttergottheiten und Fruchtbarkeitsidole, oder an Künstler wie Rubens und Picasso. List wird zu einem Schilderer einer archaisch anmutenden, abgeschiedenen Welt der Frauen. Man könnte aber auch an Harems und Bordelle denken. Lediglich Kinder, Mädchen und Jungs erhalten Zugang. Die Abwesenheit der Männer kulminiert in einer Reihe von Blättern trauernder Witwen. Hier bricht die Wirklichkeit in Lists Bilderwelt ein, der Krieg, der Tod, der Verlust und die Trauer.

Eine eigenständige Welt der Männer konstruiert List in seinen Arbeiten durchaus, aber sie sind im Vergleich zu den Blättern der Frauen in der Unterzahl. Es fehlen soldatische Männertypen. Alle diese Männer sind melancholisch und keine Herrscher und Welteroberer. Sie entsprechen in keiner Weise dem nationalsozialistischen Männerbild von Härte und Kälte. Das verbindet List mit deutschen Künstlern wie Gerhard Marcks, Hermann Blumenthal oder Werner Gilles. Lists Männer und Jungen zeigen Gefühle. Vorherrschend sind Paare, die in einer direkten Beziehung stehen. Es scheint vorrangig um das Thema Freundschaft zu gehen und um erotische Konstellationen. Und es sind fast immer Jungs, Jünglinge oder junge Männer. Hier werden die Traditionen schwuler Darstellungsweisen der Weimarer Republik deutlich. Vorbilder finden sich bei Künstlern wie Erich Godal, Otto Schoff oder Renée Sintenis.

Auch bei den Darstellungen von Familien zeigt sich eine eigentümliche erotische Aufladung, die die Heranwachsenden betrifft. Dabei spielt das Verhältnis zwischen den Generationen eine größere Rolle als zwischen Erwachsenen. Es sind vorrangig Mütter und Söhne, Großmütter und Enkelkinder, Großväter und Mädchen, Frauen und Mädchen, die sich in einer erotischen Spannung gegenüberstehen. Auch hier sind es zumeist aktiv agierende Frauen. Erwachsene Männer als Liebespartner gibt es nur selten, und wenn als Besucher von Prostituierten. List zeigt sich in den Zeichnungen als genauer Schilderer intimer Welten, psychologischer Tiefen und erotischer Spannungen. Es handelt sich weniger um eigene Träume und Wunschvorstellungen, als vielmehr um durch seinen psychologischen Blick gefilterte Wahrnehmungen.

Die zuerst in Griechenland formulierten Bildthemen führt Herbert List nach seiner erzwungenen Rückkehr 1941 nach Deutschland fort. Ein zweiter umfangreicher Werkkomplex an Zeichnungen entsteht aber erst 1944/45, angeregt durch einen erneuten Paris-Besuch im Mai 1944, bei dem er Jean Cocteau, Christian Bérard und Pablo Picasso wieder traf. Als Zeichner bei der Wehrmacht in Norwegen stationiert blieb ihm Zeit, auch in den letzten Kriegsmonaten seine eigene Kunst weiterzuverfolgen.

Das Schwule Museum zeigt neben einer kleinen Auswahl bedeutender Fotografien aus dem Zeitraum der Emigration erstmals rund 100 Zeichnungen von Herbert List aus den Jahren 1940 bis 1946 aus Münchner Privatbesitz. Gegenübergestellt werden ihnen ausgewählte Beispiele schwuler und lesbischer Künstler, so von Lene Schneider-Kainer, Marcus Behmer, Renée Sintenis, Eduard Bargheer, Werner Gilles, Jean Cocteau und Giannis Tsarouchis, teilweise aus dem ehemaligen Besitz von List und mit persönlicher Widmung an ihn.

Kurator: Anton Stern