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Heino Hilger: Maskenbildner am Berliner Ensemble – Biografien in der Dauerausstellung Nr. 4

14. April 2006 – 18. September 2006

Im August 1941 in Sachsen-Anhalt geboren, erlebte Heino Hilger seine Jugend in den Aufbruchjahren der Deutschen Demokratischen Republik. 1958 zog er nach Ost-Berlin, wo er seine Ausbildung an der zentralen Friseurschule in der Reinhardtstraße anfing. Heino Hilger genoss die Möglichkeiten der noch nicht geteilten Stadt. Er war Pianist in einer von seinem Cousin gegründeten Tanz-Combo, die in beiden Stadthälften auf Vereins- und Familienfeiern spielte. Kulturell interessiert, verkehrte er in Kurt Mühlenhaupts Bohème-Kneipe Leierkasten in Kreuzberg und besuchte die Ausstellungen im Malerkeller. Bereits dort fand Heino Hilger eine sexuelle Offenheit vor, die auch er übernahm. Immer hatte er Beziehungen zu Männern und Frauen.

Gleich nach Abschluss der Friseurschule ging Heino Hilger im März 1962 zum Berliner Ensemble. Wie alle Ensemblemitglieder profitierte er von den Vorzügen der staatlichen Förderung für Kulturschaffende wie von der familiären Atmosphäre des Theaters. Alle, von den Schauspielern bis zu den Technikern, feierten mit ihren Familien oder Freunden Premieren, Sylvester und Weihnachten gemeinsam in der Theaterkantine. „Das Berliner Ensemble war eine Familie, eine Gemeinschaft, in der Kollegenschaft kannte man sich 20, 30, 40 Jahre!“ Brigadetreffen und Geburtstage fanden im Zentralen Klub der Gewerkschaft Kunst Die Möwe statt.

Mit Theater- und Filmsaal, Fachbibliothek, Restaurant und der Bar mit der ersten Musicbox in der DDR suchte das Angebot des Klubs seinesgleichen. Im Theater war Heino Hilger eine Vertrauensperson. Beim Schminken oder Haareschneiden vertrauten sich ihm viele Kollegen und Kolleginnen an. Die Atmosphäre in der Maske war intim: Schauspieler entkleideten sich und wurden oft fast nackt geschminkt. Mit einigen Kollegen, Schauspielern und Bühnentechnikern ergaben sich Liebschaften und Freundschaften. So wie Heino Hilger hatten viele ein sehr freies Sexualleben. Das Ineinanderfließen von Berufs- und Privatleben beeinflusste auch Heino Hilgers Lebensstil. Nach den Vorstellungen ging er mit Kollegen häufig in den Eszterhazy-Keller, wo sich Theaterleute, heterosexuelles Theaterpublikum und Homosexuelle mischten.

Das Berliner Ensemble blieb bis heute Heino Hilgers Wirkungsstätte, im Sommer 2006 wird er pensioniert. Als Maskenbildner hat er vielen dazu verholfen, sich unterschiedlichste Rollen anzueignen. Die Freiheiten der Theaterwelt gaben auch Heino Hilger die Möglichkeit, sich sexuell nie auf eine Rolle beschränken zu müssen. „Am ‚Berliner Ensemble‘ hatte niemand etwas gegen Homosexualität. Das war kein Thema. Schon Helene Weigel war in dieser Hinsicht sehr tolerant. Wie an allen Theatern arbeiteten bei uns viele Homosexuelle: im künstlerischen Bereich Schauspieler, Masken-, Bühnen- und Kostümbildner, in der Technik, in der Verwaltung bis hin zu den Garderobieren.“

Jene Menschen, die Heino Hilger am meisten interessierten, hatte er im Theater um sich; sie kamen zu ihm in die Maske. So war er immer informiert über bevorstehende Parties, neueste Trends oder neue Treffpunkte. Er wusste, was in der Szene vor sich ging, oft ohne selbst daran teilzunehmen. Nur selten hatte Heino Hilger länger anhaltende Beziehungen. „Ich war mit dem Theater verheiratet, eine feste Verbindung war bei dieser Art von Tätigkeit nicht möglich.“ Sein Bekanntenkreis jedoch ist groß. Schon in den 60er Jahren trafen sich Heino Hilgers schwule Freunde in seiner Wohnung, um von ihm für die jährlichen Faschingsparties im Lokal Burgfrieden geschminkt zu werden. Noch heute schneidet er Freundinnen und Freunden, darunter vielen ehemaligen Kolleginnen und Kollegen, in seiner Wohnung die Haare.

Kurator: Karl-Heinz Steinle