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Idyllen: Seinem Herzen vertrauen heißt seinem Großvater gehorchen – Raumcollage des PT Zwangsheterosexualität

10. Februar 1997 – 16. März 1997

Die Raumcollage Idyllen im Schwulen Museum soll den Besucher_innen einen Einblick in die Arbeit des Projekttutoriums Zwangsheterosexualität geben.

 

Das PT Zwangheterosexualität

Das Projekttutorium Zwangsheterosexualität (=Z) konstituierte sich im Wintersemester 1995/96 an der Freien Universität Berlin. Das PT arbeitete transdisziplinär. Darunter wird eine Zugangsweise verstanden, welche die Nachteile eines bloß interdisziplinärer Zugangs (additive Reihung von Perspektiven der Einzeldisziplinen, deren widerstreitende Objektkonstruktionen unhinterfragt bleiben) ebenso vermeidet wie die komplementären Nachteile eines rein akademischen bzw. abstrakt anti-akademischen Zugangs. Im dem sie durch die Disziplinen „hindurchgeht“ und die Widerständigkeit ihres Themas nicht zu leugnen oder zu überspielen sucht und den Widerstreit der Entwürfe nicht zur Klärung an Philosophie und Wissenschaftstheorie delegiert, vermeidet sie die Bornierung einer Fetischisierung der als individuell vermeinten persönlichen Erfahrung und affirmiert die Subjektivität der Forschenden. Das PT war also auch nicht als Selbsterfahrungsgruppe geplant. Die Einbeziehung außeruniversitärer Einrichtungen gehörte zum Konzept.

Das PT verband in seiner Praxis die Arbeit mit Texten, Filmen und spielerisch-künstlerischen Produktionen der Gruppe – z. B. die im Schwulen Museum ausgestellten Collagen- mit einer ständigen Selbstreflexion. Im Gegensatz zu dem normalen Seminarbetrieb wurden Inhalts- und Beziehungsebene miteinander „Vermittelt“, d. h. nicht voneinander abgespalten. Damit ist sowohl der jeweilige persönliche Bezug zum Thema als auch die konkrete Arbeitssituation gemeint.

 

Zum Verlauf des Projekttutoriums

Das PT stand als Projekt vor der Schwierigkeit, mit einem Begriff zu operieren, der selbst noch nicht explizit theoretisch fundiert war. Allerdings war er bereits früher Kreuzungspunkt verschiedener diskursiver Strategien. So kann ‚man’ unser Vorgehen als Arbeit mit dem Begriff „Z“ beschreiben, der einerseits als Fokus und Bezugspunkt diente, andererseits selbst auf seine theoretische Tragweite befragt wurde.

Der Gebrauch des Begriffs Z lehnte sich zunächst an den von Adrienne Rich an. In ihrem Aufsatz „Zwangsheterosexualität und lesbische Existenz“ (in: Audre Lorde / Adrienne Rich 1993: 138-168) kritisierte sie Z als dominierende politische Institution und beschrieb eine Reihe ihrer Effekte. Einer dieser ‚Effekte ist es, wenn Heterosexuelle ihre ‚eigene’ Heterosexualität als „natürlich“ (im doppelten Sinne von „naturgegeben“ und unproblematisch) halten, während Homosexualitäten ihnen als Laster, Verbrechen. Krankheit oder ‚Problem gelten, die „man“ bestrafen, „heilen“, oder doch zumindest aufwendig „erklären“ muss.

Da das Interesse an Z innerhalb des PT sowohl theoretischer wie auch praktischer Natur ist, lag es nahe zu untersuchen, inwieweit der Bisexualität tatsächlich, wie gelegentlich behauptet wurde, ein utopisches Potential zukommt. Es wurden theoretische Texte gelesen, mit einem eigens dazu eingeladenen Vertreter von BINE (Bisexuelles Netzwerk e. V.) diskutiert und die lebensweltlichen Zusammenhänge erkundet. Zweifelsohne bietet das Erleben von Bisexualität die Möglichkeit, die in der Mainstreamkultur, aber auch in manchen Szenen vorhandene rigiden, die Z konstitutiven Dichotomisierungen zu durchbrechen.

Ein weiterer Schwerpunkt war das Thema Identität. Sexualität ist in unserer Gesellschaft zentral für die Selbstbeschreibung vieler Menschen. Umgekehrt ist der Zwang, sich identifizieren zu müssen, nicht nur auf Sexualität beschränkt. Die Zwänge sich identifizieren (Geständniszwang etc.) zu müssen und seine (vermeintlich?) wahre Identität z. B. am Arbeitsplatz zu verbergen, existieren gleichzeitig.

Raum-Collage im Schwulen Museum

Schließlich hat sich das PT mit dem Paar als für Z zentrale Institution beschäftigt und dabei auf eine Fragestellung konzentriert: das Verhältnis von Liebe und Freundschaft. Sind Liebe und Freundschaft verschiedene Phasen der so genannten Individualisierungsprozesse angemessene  Ideale bzw. Institutionen? Ist die Freundschaft als wichtige soziale Institution unrettbar verloren oder könnte „die Freundschaft als Lebensweise“ wieder eine zentrale Bedeutung gewinnen? Für wen?

Innerhalb dieser Arbeitseinheit entstanden auch die 4 große Collagen  bzw. Assemblagen zum Thema Paar und Romantische Liebe und die Arbeit an dem im Schwulen Museum gestalteten Räumen. Die Möglichkeit, die theoretische Arbeit einer außeruniversitären Öffentlichkeit unter Einsatz verschiedener Medien erfahrbar zu machen und dies in einem Raum wie das Schwule Museum erfahrbar zu machen, war dabei von zentraler Bedeutung.

Gayle Rubin macht deutlich, dass die Orte, an denen die Sexualitäten einer Gesellschaft praktiziert werden, zu den Kriterien gehören, nach denen sich ihre Stellung in die sexuelle Hierarchie bemisst. Sie fordert daher zur Beschreibung der verschiedenen Sexualitäten eher geographische als z.B. psychologische Kategorien zu verwenden. Die Diskriminierung von Schwulen und Sexarbeiter_innen wird z.B. schon an der Vertreibung aus dem heteroidyllischen Stadtkern an den Stadtrand erkennbar. Der Ort der in unserer Gesellschaft an der Spitze der Hierarchie der Legitimität stehenden sexuellen Praktiken (Heterosexueller Geschlechtsverkehr eines Langzeit-Hetero-Paars) ist das Haus, das Schlafzimmer, das Bett. Die Paarideologie der Z, von der, wie bereits erwähnt, auch Lesben und Schwule nicht frei sind, ist auf die Aufspaltung von privat und öffentlich angewiesen. Der Rückzug in das Private folgt der Logik des Eigenen ((le) propre: Eigentum, Eigentlichkeit, Reinlichkeit). Die Produktion der Eigentlichkeit findet als „Selbstverwirklichung“, als vermeinte Realisierung eines ursprünglichen Besitzes („authentisches Selbst“) statt. Das Fremde und das Schmutzige bleibt draußen und wird als Bild konsumiert. Die für die Konsumption zur Verfügung stehenden Bilder charakterisieren des Diskurs von Z. Sie bilden die Vorlage für Identitäten, die wir gehalten sind anzunehmen, aber nicht in dem Sinne von Rollen, die über. Und abzustreifen sind, sondern als Vermittlung, um überhaupt in gesellschaftlichen Kontakt treten zu können Guy Debord formuliert dies in Die Gesellschaft des Spektakels: „Das Spektakel ist nicht ein Ganzes von Bildern, sondern ein durch Bilder vermitteltes gesellschaftliches Verhältnis zwischen Personen.“

Kurator_innen: Loretta Ihme, Klaus Jansen, Kristine Krause, Jörg Leidig, Jens Melzer, Vera Meyer-Laurin, Achim Sihler, Markus Svoboda, Willi Walter