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„Mach dein Schwulsein öffentlich!“- Die 70er Jahre

13. Oktober 1991 – 26. Januar 1992

Ein Jubiläum ist anzukündigen. Vor genau 20 Jahren entstand in der Bundesrepublik und in West-Berlin eine neue Schwulenbewegung. Vorbild war die Studentenbewegung, die die bleiernen Verhältnisse der Nachadenauerära zum Tanzen brachte.

Ermöglicht wurde dieses Engagement durch die erste Liberalisierung des § 175 im Jahr 1969. Angefangen hatte alles in Münster. Aber erst Rosa von Praunheims Film Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation in der er lebt wirkte als Initialzündung. Nach der heiß diskutierten Uraufführung 1971 im Forum des jungen Films der Berlinale kam es spontan zur Gründung der Homosexuellen Aktion Westberlin. Überall wo der Film gezeigt wurde, gründeten sich Homosexuelle Initiativen. Die Zeit war reif für ein kollektives Coming-Out.

Das Schwule Museum präsentiert zu diesem Jubiläum ab dem 16. Oktober einen Überblick über das bewegte Jahrzehnt. Thema der Ausstellung ist neben der Geschichte der Schwulenbewegung, ihren Organisationsformen und Aktionen auch der Alltag des „gewöhnlichen Homosexuellen“.

Ausgestellt werden Plakate, die für Kunstausstellungen, Filme, Feste und Veranstaltungen werben, Agitationsplakate und Aufforderungen zu Demonstrationen. Dem radikalen Motto „Mach dein Schwulsein öffentlich“ verpflichtet, gibt es massenhaft Fotos von Schwulen in Bewegung zu sehen. Rekonstruiert wird ein typisches Zimmer der 70er Jahre, das zeigt, mit welchen Konsum- und Kulturartikeln sich schwule Studenten umgaben. Modische Accessoires des gepflegt vergammelten Aktivisten werden ebenso vorgestellt wie der dogmatische Umgang mit Vorlieben und Abneigungen gegen Kneipen, Saunen, Parks und Klappen.

Was las die Tunte? Ein Bücherregal mit kommentiertem Inhalt gibt darüber Auskunft. Selbsterfahrung, Gespräche über sexuelle Bedürfnisse und Praktiken dominierten den Alltag der Aktionsgruppen. Wie stellt man das aus? Fundstücke, ironisch beschriftet, bilden ein sentimentales Museum innerhalb der Ausstellung. Was tat sich in der DDR? Was war ein Subotnik? Was war der Tuntenstreit? Was hat die Diktatur in Chile mit dem Niedergang der Schwulenbewegung in Berlin zu tun?

Auf all diese Fragen finden sich überraschende Antworten. Für geduldige Besucher gibt es Aktenordner mit Dokumenten, hier kann man Argumente, Scheingefechte, Erfolge und Niederlagen nachvollziehen und sich in ausgewählte Zeitschriften vertiefen. Ein Video mit Erinnerungen von Schwestern der ersten Stunde ergänzt, erklärt verunsichert die Ausstellungsstücke. Neben Fotos, die Herbert Tobias im Auftrag von Him/Applaus aufnahm, werden Arbeiten von Künstlern aus dem Umkreis der Schwulenbewegung gezeigt. Einige, wie Salome, Rainer Fetting und Frank Dornseif, haben sich durchgesetzt.

Ergänzt wird die Ausstellung in November durch eine Filmreihe zum Schwulenbild des Films der 70er Jahre, die in Zusammenarbeit mit den freunden der deutschen Kinemathek im Arsenal veranstaltet wird.

Flankiert von der Strafandrohung und Verfolgung der Nachkriegszeit und dem Ausbrechen von AIDS in den 80er Jahren verklären sich die 70er Jahre leicht zum goldenen Zeitalter. Die Ausstellung zeigt die Erfolge, das euphorische Lebensgefühl, verschweigt aber nicht den Dogmatismus und die elitäre Abgrenzung gegenüber den Interessen der gewöhnlichen Homosexuellen, die bis heute schwule Emanzipationspolitik beeinträchtigen.

Kurator: Wolfgang Theis