6. Mai – 12. September 2022
Schwules Museumkuratorische Arbeit:
Samuel Perea-Díaz
Pepe Sánchez-Molero Martínez
1947 Gemeinsam mit seinem Zwillingsbruder kommt Ocaña am 24. März in Cantillana in Andalusien als viertes von sechs Geschwistern auf die Welt.
1954 (*) Die faschistische Regierung erweitert das Gesetz (Ley de Vagos y Maleantes, für “Faulenzer und Herumtreiber”) von 1933 und nimmt Homosexualität als „asoziales Verhalten“ in den Gesetzeskatalog auf.
1959 Nach dem Tod seines Vaters verlässt Ocaña die Schule und trägt mit Land- und Malerarbeiten zum Familienunterhalt bei.
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1968 Verpflichtung zu 2 Jahren Wehrdienst in Cádiz und später Madrid; erste Ausstellungen in Madrid und Cantillana.
1970 (*) Das Gesetz „Ley de Peligrosidad y Rehabilitación Social“ („zur Gefährlichkeit und soziale Wiedereingliederung“) ergänzt das homophobe Gesetz von 1954.
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1971 Umzug nach Barcelona, wo Ocaña als Anstreicher und Maler arbeitet, während er Unterricht in Kunstmalerei erhält.
1973 Auftritte in verschiedenen Lokalen, zahlreiche gemeinsame Projekte mit Camilo, erste Beteiligung an einer Sammelausstellung.
1975 (*) Tod des faschistischen Diktators Francisco Franco nach 39 Jahren an der Macht. Beginn des spanischen politischen Übergangs zur Demokratie.
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1977 (*) Am 15. Juni finden in Spanien zum ersten Mal seit der Machtübernahme der Faschisten allgemeine demokratische Wahlen statt.
(*) Am 26. Juni zieht die Demonstration zur „Schwulen Parade“ zum ersten Mal über die Ramblas von Barcelona.
Mit beispielsweise der Ausstellung „Un poco de Andalucía“ („Ein bisschen Andalusien“) in der Galerie Mec-Mec in Barcelona erlangt Ocaña erste Bekanntheit und wird in der Öffentlichkeit zu einer ebenso populären wie umstrittenen Figur.
Dreharbeiten für den Film „Ocaña, Retrat Intermitent“, unter der Regie von Ventura Pons.
1978 Die Polizei nimmt ihn und Nazario fest wegen „Erregung öffentlichen Ärgernisses“.
1979 Vorführung von „Ocaña, Retrat Intermitent“ auf der Berlinale.
Dreharbeiten der Performance „Ocaña, der Engel der in der Qual singt“ vor dem Brandenburger Tor, mit Gérard Courant in der Regie.
Ausstellung „Incienso y Romero“ (Weihrauch und Wallfahrt) in der Galerie Pata Gallo in Zaragoza.
Dreharbeiten für den Film „Manderley“ unter der Leitung von Jesús Garay.
1980 Mehrere Jahre fruchtbaren und intensiven künstlerischen Schaffens, Ausstellungen in Spanien und Frankreich.
1982 Dreharbeiten für den Kurzfilm „Silencis“ mit Xavier-Daniel in der Regie, der 1983 auf der Berlinale gezeigt wird.
Ausstellung „La Primavera“ (Frühling) in Barcelona.
1983 Bei den Feierlichkeiten zur „Woche der Jugend“ in Cantillana gerät das Kostüm von Ocaña in Brand. Wenige Tage später stirbt er an den Folgen seiner Verbrennungen und einer Hepatitis im Alter von 36 Jahren am 18. September in Sevilla.
Den ersten Abzug dieser Serie von Lithographien schenkte Ocaña seiner Schwester Luisa Pérez Ocaña. Sie war die erste aus seiner Familie, der er noch während seines Militärdienstes seine Homosexualität in einem Brief offenbarte. Bei der hier im Schwulen Museum ausgestellten Lithographie (Nummer 14/15) handelt es sich um ein Geschenk Ocañas für Serafín Fernández Rodríguez während der Dreharbeiten zu dem Kurzfilm „Silencis“ in Barcelona.Serafín ist in der spanischen LGTBIQ+- Bewegung aktiv und arbeitet seit 2008 als Freiwilliger für das Schwule Museum. Erst kürzlich drehte Emilio Spampinato über ihn und seinen Mann den dokumentarischen Kurzfilm „Fernández Pratsch“ (2020), der auf verschiedenen Queer-Festivals ausgezeichnet wurde. Der Dokumentarfilm erzählt von den Erlebnissen Serafíns als Spanier im deutschen Exil.
Pepe Espaliú (Córdoba, 1955-1993), einer der international bekanntesten Queer-Künstler aus Andalusien, beschrieb Ocaña in einer seiner letzten Schriften (“Libro de Andrés”), bevor er an den Folgen einer AIDS-Erkrankung verstarb:
„Wie sollte ich Pepe Ocaña vergessen. Jenes Fest des Lebens, Mann und Frau zugleich. Bei ihm lernte ich, dass Homosexualität jederzeit und überall gelebt werden kann, wo auch immer Du gerade bist, und so war ich staunend Zeuge, wie er mit vier grellen Farben in den Gassen des Barrio Chino die Osterprozessionen der Semana Santa aufleben ließ. Eine schwule Osterwoche. Wie er sich in Rauschgold kleidete für den Spaziergang über die Ramblas in jenen lauen Frühlingsnächten. Ocaña war ein Engel, ein Engel aus Havanna, ein Kolibri und zugleich ein lodernder Papagei, und so starb er, in Flammen. Im Reinen mit sich selbst. Ich weiß noch, wie Ocaña, der kein guter Maler war, bei einem Besuch von Cirici Pellicer, einem der ältesten und seriösesten Kunstkritiker Barcelonas, geschminkt in seinem Atelier erschien und sich Cirici unversehens mit den Worten auf den Schoß setzte…: „Lass uns doch über etwas anderes reden, Liebste“…“Espaliú, Pepe: “Libro de Andrés. Un Cuento Del Ayer” (1987-1993).
Die katalanische Fotografin Colita (Isabel Steva Hernández, Barcelona 1940) machte diese Aufnahme bei einer Fotosession mit Camilo (Camilo Cordero, Moguer, Huelva 1953-1994) und Ocaña in Barcelona. Die Mantille, die Ocaña trägt, ist ein zentrales Element seiner Travestie-Improvisationen. Camilo und Ocaña traten häufig gemeinsam in Aktion: in dem Film „Ocaña, Retrat Intermitent“ sehen wir, wie sie sich mit spontaner Dramaturgie den öffentlichen Raum der Ramblas als einen queeren Raum zu Eigen machen.Camilo starb 1994 infolge seiner AIDS-Erkrankung in seiner Geburtsstadt Moguer, in die er aus Barcelona nach dem unerwarteten Tod Ocañas zurückkehrte, den er sein Leben lang nicht verkraftete.
Ocaña, Camilo und Nazario (Nazario Luque Vera, Castilleja del Campo, Sevilla 1944) emigrierten auf der Suche nach Arbeit und nach der Freiheit, ihre sexuelle Identität auszuleben. Die drei Andalusier lernten sich in Barcelona kennen und gelten heute als wichtige Vertreter des „Barcelona Underground“ (ca. 1976-79), der Vorläuferbewegung der Madrider „Movida Madrileña“ der 80er Jahre. Das Leben und Wirken Ocañas spielen eine sehr wichtige Rolle in den Autobiografien von Nazario – „La vida cotidiana del dibujante underground“ (2016) („Der Alltag des Underground-Zeichners“) und „Sevilla y la Casita de las Pirañas“ (2018) („Sevilla und das Häuschen der Piranhas“) -, die in dieser Ausstellung zu sehen sind.Der Künstler, Zeichner und Autor Nazario erschuf die Figur der Anarcoma, der ersten Trans-Superheldin in der Geschichte des spanischen Comics. Die Erwachsenen-Comics mit Anarcoma in der Hauptrolle wurden regelmäßig in der Zeitschrift „El Víbora“ veröffentlicht und stellten explizite Sexszenen in Barcelona dar. In der vierten Ausgabe von „El Víbora“ aus dem Jahr 1980 tritt Ocaña als eine der Figuren in Erscheinung.
Der Film portraitiert das Barcelona der 70er Jahre zu Beginn der spanischen politischen Transition anhand der Erlebnisse von Ocaña in dieser Stadt. Interviews werden verbunden mit Wiedergaben seiner Performances, die er gemeinsam mit Freund*innen wie Camilo und Nazario inszenierte. Freimütig erzählt der Künstler über sein Leben und die Inspiration, die er aus der Religion, der Kunst und dem ganz normalen Alltag zieht. In den Gesprächen spricht er von seiner queer fluiden Sexualität, seiner Kindheit und dem Aufwachsen in einer heteronormativen katholischen Familie.Ventura Pons (Barcelona 1945) kam 1979 anlässlich der 29. Berlinale mit Ocaña als Gast beim “internationalen Forum junger Film” nach Berlin. „Ocaña, Retrat Intermitent“ („Ocaña, Unterbrochenes Portrait“) ist sein erster Film. Ventura Pons zählt heute zu den anerkanntesten katalanischen Regisseuren queerer Filme.
Dieser 10-minütige Film wurde auf der Plattform gedreht, von wo aus die Touristen in Westberlin einen Blick auf das Brandenburger Tor werfen konnten. Das audiovisuelle Kunstwerk gehört zu den bedeutendsten Spuren, die Ocaña sozusagen als Nebenprodukt seines Besuchs anlässlich der Vorführung des Films „Ocaña, Retrat Intermitent“ auf der Berlinale 1979 in Berlin hinterließ. Gérard Courant führte die Regie bei den Dreharbeiten des Films, der stumm gedreht und später eingesprochen wurde. Dieses einzigartige Werk, das hier im Schwulen Museum zu sehen ist, gehört zu den wahrscheinlich ganz wenigen queeren Interventionen hispanischer Künstler an der Berliner Mauer.Gérard Courant (Lyon 1951) ist ein französischer Filmemacher und Künstler, der Ocaña in Berlin im Zuge seines Projektes „Cinématon“ portraitierte. Zwischen 1978 und 2009 erstellte der Regisseur 3111 Stummfilm-Vignetten („cinématons“) von verschiedenen Prominenten und Künstler*innen. Im Jahr 2013 interviewt Juan J. Moreno den Regisseur Courant gemeinsam mit Joseph Morder in seinem Dokumentarfilm „Ocaña. La memoria del Sol“ („Ocaña. Erinnerung der Sonne“), in dem die beiden Einzelheiten von der Entstehung dieser Performances in Berlin (Einspielung des Videos) und in Cannes (Audio-Aufnahme) erzählen.
Hier werden dem Publikum zwei verschiedene Performances in einer gezeigt – eine visuelle und eine auditive. Beide zusammen ergeben das audiovisuelle Kunstwerk, das im Mittelpunkt dieser Ausstellung steht. Beim Betrachten des Videos und dem gleichzeitigen Hören der Tonspur über die Lautsprecher wird die mangelnde Synchronisation offensichtlich. Das erklärt sich daraus, dass Ocañas Auftritt in Berlin als Stummfilm gedreht wurde, während die Aufnahme der Tonspur bei einem improvisierten Happening während der Filmfestspiele in Cannes 1979 entstand, als Ocaña spontan zur Aufführung des Videos vor dem Publikum sprach, sang und reagierte.
Bei der Performance „Ocaña, der Engel der in der Qual singt“ tritt der andalusische Künstler mit einem Abbild von Marilyn Monroe (aus einer Eiswerbung) auf, mit dem er wie mit einer Marionette interagiert. Gérard Courant und Ocaña hatten sich dieses Werbeplakat wohl aus einem Kino in Westberlin mitgebracht, wo sie bei der Berlinale gewesen waren, und begannen dann damit zu improvisieren. Zu Beginn der Vorstellung erzählt Ocaña, wie er Marilyn vor dem Brandenburger Tor angetroffen hat. Von da ausgehend improvisiert er die surreale Geschichte dieser Begegnung: die Performance zeigt das Gespräch zweier Frauen (Ocaña und Marilyn), die sich darüber beschweren, wie sehr die Gesellschaft die Figur der Marilyn zu einem Objekt verdinglicht hat. Daraus entwickeln sich symbolhafte Szenen, in denen Ocaña Marilyn in einen Mantón hüllt – den typischerweise von spanischen Frauen verwendeten langfransigen Seidenschal -, als sei dies der Schleier der Jungfrau Maria, und sie am Ende wie ein Kruzifix vor sich herträgt, als Anspielung an die Bilderwelt der katholischen Kirche.Ende der 1970er Jahre hatte die Werbeagentur von Langnese, Lintas Hamburg, das berühmte Bild der Marilyn Monroe im weißen Kleid (aus dem Film „Das verflixte 7. Jahr“ von Billy Wilder, 1955) für eine Werbung für Eiskonfekt verwendet. Dafür wurde der Titel des Marilyn Monroe-Films von 1959 „Manche mögen’s heiß“ umgedichtet zu dem Werbeslogan „Manche mögen’s Eis“.
Diesen seidenen, reich bestickten und langfransigen „Mantón de Manila“ verwendete Ocaña häufig als Accessoire bei seinen Auftritten als Cross-Dresser, aber auch auf seinen Fotos, Gemälden und Skulpturen. Der Akt Ocañas schafft im Zusammenspiel mit der Leichtigkeit und der Gestalt des Seidenschals eine „Trash“- und „Kitsch“-Ästhetik, die heute so charakteristisch für die Arbeit des Künstlers ist. Die „Mantones de Manila“ sind für Ocaña das liebste, oder auch das „drag“-Element schlechthin. Das hier gezeigte Tuch ist aus Ocañas Privatbesitz und wurde von seiner Familie freundlicherweise für diese Ausstellung zur Verfügung gestellt. Es ist dem von Ocaña bei seiner Performance am Brandenburger Tor verwendeten Tuch sehr ähnlich.Die spanische Modewelt des 18. Jahrhunderts machte sich diese aus der philippinischen Kolonie übernommenen Tücher zu eigen und verwandelte sie schnell in das Symbol für Weiblichkeit schlechthin. Noch heute haben die „Mantones“ einen festen Platz in der Tradition des Flamencos, der Mode und der andalusischen Kultur.
Auf diesen Fotografien sehen wir verschiedene Menschen auf metallenen Aussichtsplattformen, wie die vor dem Brandenburger Tor, wo Ocaña seinen Auftritt hatte. Diese Gerüste waren auf der Westberliner Seite an verschiedenen Orten der Mauer aufgestellt und wurden vornehmlich von Touristen und Besuchern der Stadt genutzt. Aber auch staatliche Würdenträger, Gäste der Bundesrepublik Deutschland oder des Berliner Senats nutzten diese Plattformen um sich vor Ort ein Bild vom Mauerstreifen und der deutsch-deutschen Grenze zu machen.
Filmregisseur Xavier-Daniel (Barcelona 1953) beschreibt „Silencis“ mit seinen eigenen Worten:„Das Drehbuch für Silencis entstand kurz nach dem Tod des Diktators, und ich wusste, vor welchen Problemen ich stand, denn darin ging es um einen Millitaristen, der sich zu seinem Sohn hingezogen fühlt; der lieber glaubt, dass er seine Frau versehentlich tötet, als zuzugeben, dass seine Frau ihn verlässt; der seine beiden Kinder voyeuristisch und obsessiv beobachtet; der sich an seine Kindheit erinnert, wie er von einem Priester sexuell belästigt wurde; an seine Jugend, in der er sich in einer sadomasochistischen Beziehung seinem Vorgesetzten, einem hochrangigen Offizier, unterwirft; der schließlich die Armee verlässt und bei seinem Sohn bleibt. Bei diesem zufriedenstellenden und nicht tragischen Ende wusste ich, dass ich es mit einer Zensur zu tun hätte, die solche Themen aufgrund des Einflusses der katholischen Kirche und der Macht des spanischen Militärs nicht zulassen würde. Ich bin das Risiko eingegangen, Silencis 1982 ohne offizielle Genehmigung zu drehen und dann eine in Spanien illegale Kopie im Original-35-mm-Format persönlich nach Berlin zu bringen. Der Film wurde dort 1983 ausgewählt.
Infolge dieser Nachricht hat ein katalanischer Produzent, Pepón Coromina, der auch die ebenfalls schwierigen Anfänge von Pedro Almodóvar unterstützt hat, den Film legalisieren lassen und nach dem internationalen Erfolg verlieh das Kulturministerium Silencis 1984 den Preis für Besondere Qualität.
Ja, es stimmt, „niemand ist ein Prophet im eigenen Land“ und die berufliche Anerkennung in Deiner Heimat kommt immer zu spät.“Xavier-Daniel, 2022
Bei dieser Bleistiftzeichnung handelt es sich um eine weitere Spur, die Ocaña bei seinem Aufenthalt in Berlin hinterließ. Die Skizze entstand, als er Gregorio Ortega Coto (Marokko 1946) in der Bar „Anderes Ufer“ kennenlernte. Die Begegnung zwischen Ocaña und Gregorio steht für die Entstehung einer spontanen Freundschaft in einem Moment, als so viele queere Personen in und aus Spanien der Zensur, der Verfolgung oder dem Exil ausgesetzt waren:
„Ocaña lernte ich 1979 kennen, als er seinen Film auf der Berlinale präsentierte. An einem Sonntag im Februar (25/02/1979), in der Bar „Anderes Ufer“, die eine offene Bar war, eine der ersten oder vielleicht die erste überhaupt in ganz Europa, durch deren große Fenster alles zu sehen war, was drinnen geschah, hörte ich plötzlich jemandem mit andalusischem Akzent Spanisch sprechen. Ich war emigriert, meine Eltern waren Andalusier, kurzum, ich freute mich riesig, plötzlich andalusisches Spanisch zu hören, und ich glaube, dass ich es war, der ihn zuerst ansprach… Dort im Café zeichnete er dieses Bild von mir, während wir uns unterhielten und miteinander lachten, auf einem dieser Café-Notizblöcke, wie man sie hier verwendet. Die Zeichnung habe ich bis heute. Das war eine wirklich magische Begegnung!“Gregorio Ortega Coto. Veröffentlicht im Online-Archiv zu Ocaña „La Rosa del Vietnam. Archivo Ocañí“.
„Selbstbildnis mit Paß in Erinnerung an Felix Nussbaum”, Gemälde von Gregorio Ortega Coto, Acryl auf Leinwand, 1995
Bei diesem Bild lässt sich Gregorio von einem Werk Felix Nussbaums inspirieren, der zu seinen Lieblingskünstlern zählt, sowie von den faschistischen Brandüberfällen in den Jahren 1992 und 1993 auf Wohnhäuser türkischer Familien in Mölln und Solingen.Gregorio Ortega Coto (Marokko, 1946) wird in dieser Ausstellung zweimal im Portrait gezeigt: auf “Selbstbildnis mit Paß in Erinnerung an Felix Nussbaum” und auf dem “Retrato de Gregorio” von Ocaña. Gregorio kam 1972 aus Spanien nach Westberlin, auf der Suche nach neuen Wegen jenseits der gesellschaftlichen und politischen Verfolgung durch die spanische Diktatur. Er hat mehrere Romane veröffentlicht, aber auch Bilder gemalt, von denen sich einige in den Beständen des Schwulen Museum befinden.
Wie auf den Fotos des in dieser Vitrine ausgestellten Buches zu erkennen, nahm Ocaña an der allerersten Demonstration für die Rechte der LGTBIQ+- Community am 25. Juni 1977 teil, die damals von der Front d’Alliberament Gai de Catalunya (FAGC) organisiert wurde. Für Ocaña war die Beteiligung an dieser Art von Demonstrationen ein weiteres Mittel zur Einforderung der Öffnung des öffentlichen Raums für Minderheiten wie in diesem Fall die Queer-Community. Aber das Cross-Dressing war weder bei den Veranstaltern noch bei vielen der Demonstranten gerne gesehen, die ein eher seriöses und gesellschaftlich aus heteronormativer Perspektive stärker akzeptiertes Bild vermitteln wollten.
Fotografien zum „Internationalen Tag der homosexuellen Befreiung“ 1978
Mit dem Ruf nach sexueler Freiheit – „Llibertat sexual!“ läuft Ocaña bei der zweiten LGTBIQ+-Demonstration am 25. Juni 1978 die Ramblas von Barcelona entlang. Wie er in „Ocaña, Retrat Intermitent“ erzählt, waren das die Aufmärsche von denjenigen, die „echt am Arsch und an den Rand gedrängt“ waren und er zeigte immer große Solidarität mit „Transvestiten, Nutten und Schwuchteln“. Diese Szene wird auf drei Fotografien von Pepe Encinas festgehalten, die hier in der Ausstellung zu sehen sind.
Die Demonstration fand nach der Entlassung von Ocaña und Nazario aus dem Gefängnis statt, wo sie im Zuge eines Angriffs durch die Polizei neben der Terrasse des Cafè de l’Òpera für zwei Tage eingesperrt wurden. Ein Gespräch mit beiden über diesen Angriff findet sich in der Ausgabe Nr. 117 der Zeitschrift Interviú, neben einem Bild, auf dem Ocaña nackt vor seinen Gemälden posiert um seine Wunden zu zeigen und die Polizeigewalt anzuprangern.
In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurden Homosexualität und Transsexualität in Spanien strafrechtlich als Verbrechen verfolgt. Die gesetzliche Grundlage dafür bot das durch das Franco-Regime 1954 erweiterte Vagabundengesetz „Ley de vagos y maleantes“, das zum ersten Mal auch „Homosexuelle“ als Personen mit asozialem Verhalten verfolgte. Das später erlassene Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher – „Ley sobre peligrosidad y rehabilitación social“ – aus dem Jahr 1970 wurde neugefasst, um auch „jene, die homosexuelle Handlungen vornehmen“ aufzunehmen, denn sie galten als „sujetos declarados en estado peligroso“ (etwa: „gefährdende Subjekte”). Dieses homophobe Gesetz wurde erst 1995 endgültig aufgehoben. Im Kern lassen sich beide Gesetze vergleichen mit dem Paragraph 175 des deutschen Strafgesetzbuch (SGB).
Ocaña, el Fuego Infinito – Theaterstück
Das Theaterstück „Ocaña, das unendliche Feuer“ von Andrés Ruiz López (Sevilla 1928 – Murcia 2009) basiert auf dem Tod von Ocaña und wurde 1987 mit dem Preis „Calderón de la Barca“ ausgezeichnet und 1989 veröffentlicht. Außerhalb von Spanien wurde es 1994 im Teatro Nacional de La Habana, Kuba, uraufgeführt. Ocaña war Vorbild und Inspiration für unzählige Künstler, sowohl auf der iberischen Halbinsel als auch im Exil. Andrés Ruiz, der ebenfalls aus Andalusien stammt, emigrierte in die Schweiz, wo er jahrzehntelang lebte und schrieb. Seine Werke wurden in Spanien zensiert, und er selbst wurde bei einem seiner Besuche in seinem Heimatland wegen „illegaler Propaganda“ für sechs Monate inhaftiert.
Ocaña an der Neuköllner Oper, Berlin
Ein jüngeres Beispiel dafür, dass das Leben und die Figur Ocañas auch theatralisch umgesetzt wurden, ist die Neuköllner Oper in Berlin. 2018 präsentieren Marc Rosich und Marc Sambola „Ocaña, Königin der Ramblas“, in dem Ocaña von dem deutschen Schauspieler Denis Fischer gespielt wird. Im Jahr 2022 wird das Stück erneut aufgeführt, aber dieses Mal wird Ocaña von dem katalanischen Schauspieler Joan Vázquez gespielt.
Rafael M. Mérida Jiménez beschreibt Ocaña in seinem Buch „Voces, Ecos y Distorsiones“ als „einen der bekanntesten und am meisten ignorierten spanischen bildenden Künstler des letzten Viertels des 20. Jahrhunderts“. Ocaña ist heute eher für seine Performances und Filme als für seine Malereien und Pappmaché-Skulpturen bekannt. Der Queer-Philosoph Paul B. Preciado beschreibt in „Ocaña. 1973-1983: acciones, actuaciones, activismo“ Ocañas Performances und Leben als eine „kontrasexuelle Praxis“, weil sie nicht den Normen des Geschlechtersystems entsprechen. In Gemälden wie „Sin título (Corazón de Jesús Marica)“ (1982) führt der Künstler eine „Queer-Transformation“ von Porträts katholischer Figuren durch, wie auch in dem Gemälde „La Inmaculada de las Pollas“ (1976), einer von Penissen umgebenen Jungfrau Maria.
Preciado, Paul B. (2011) in: Ocaña. 1973-1983: acciones, actuaciones, activismo. Ediciones Polígrafa. Barcelona. (Kurator: Pedro G. Romero)
Rafael M. Mérida Jiménez (2018): Ocaña. Voces, Ecos y distorsiones. Barcelona.
Das letzte Mal, als Ocaña seine Heimatstadt Cantillana besuchte, nahm er an dem Zug zur „Jugendwoche“ teil, für den er ein Sonnenkostüm mit Papierfransen anfertigte, die auf einem Anzug aus Lycra festgeklebt waren. Während der Parade kam es zu einem Unfall, bei dem sein Kostüm in Brand geriet und er sich schwerste Verbrennungen zuzog. Einige Tage darauf, am 18. September 1983, starb er im Krankenhaus in Sevilla.
00:24-
Ocaña: Ah Marilyn… Es ist so kalt in Deutschland! So kalt! So kalt!
Wenn ich dein Gesicht sehe, ist das für mich beeindruckend. Oh! Mein Französisch!(lacht)
Du erinnerst mich, denn du bist so sinnlich, … es ist unglaublich, dich vor dem Brandenburger Tor zu sehen.
Ich bin kein Kommunist, nein! Ich, ich bin ein Anarchist! Ich liebe die Freiheit! Ich liebe die Schönheit, aah!
(Ocaña schreit, es knallt, ein Schrei und Gelächter im Hintergrund)
01:04-
Marilyn, kennst du Andalusien nicht? Wunderschön! Unglaublich!
Die Gesellschaft hat dich als Konsumobjekt benutzt! Du bist schön wie die Morgenröte! Schön wie das Licht… meiner Augen!
Aber ich bin eine ausgegrenzte Andalusierin.
(lacht und kichert)
Ich bin verrückt! Mir ist sehr kalt! Deutschland, schrecklich. Ah! (lacht) Ich kann nicht weitermachen, ich kann nicht weitermachen, mein Theater ist verloren! … Es verliert sich in der Pariser Nacht.
Aber dich zu sehen, erinnert mich an sie, ich bin eine verstoßene Frau!
(öffnet einen Fächer)
Oh! Schrecklich! Schrecklich! Schrecklich! Schrecklich!
Soll ich dir ein Lied singen?
Denn ich habe Marilyn Monroe nicht getroffen, nur in Zeitungen und so, wie du
2:21
Und du bist schön wie die Morgenröte,
den Wahnsinn meiner Augen verlier ich
und die Nächte, in denen ich sage, dass es so sein wird
aber du bist die Rosen vom Himmel und du bist nicht aus… Papier (Publikum lacht)
Man muss sehen, man muss sehen, man muss sehen … die Nächte meines Landes
Ich bin verrückt, ich bin verrückt, ich bin verrückt, ich bin verrückt, ich bin verrückt, ich bin verrückt, ich bin völlig verrückt
Ich weiß nicht, ich weiß nicht, wer mich hierher nach Berlin gebracht hat
um zu verlieren, um den Verstand zu verlieren
um zu verlieren, um den Verstand zu verlieren
Ich weiß es nicht, ich weiß es nicht, la la la la la la la la la la la la
Oh kleines Mädchen! Oh kleines Mädchen!
Und in den Augen, in denen ich dich trage
Aaahhh meine Gefühle,
Marilyn, ich liebe dich und ich liebe dich
Marilyn, ich liebe dich und ich liebe dich….
03:35
Und was sagst du, Frau? Du kommst aus dem Süden?
Und wozu, nach Berlin? Um zu sehen, ob du den Deutschen erzählst, dass du drinnen…, dass es hier viel Feuer gibt und du nicht kalt bist. Was sagst du dazu? Ja?
Ich erinnere mich nicht mehr! Ah, natürlich. Ja, ja, ja. (lacht)
Ja? Ahh! Du bist verrückt, du bist verrückt.
Na, sieh mal! Hör’ Mal, Mädchen, Ocaña, komm her…! Mädchen!
Ah, la la la la la la la la la la la la la la la la la la la la, …
04:17
Sicher, ja. Ich erinnere mich nicht.
Ich komme aus einem Dorf, weißt du? Ich bin gekommen, um Aufgaben in der Stadt zu erledigen.
Tuti tuti tuti…
Die Bourgeoisie… Oh, die französischen Bourgeois, Marilyn, wie sie sind… Hör zu, Marilyn, du weißt… Weißt du, wie sehr ich in diesem Land leide? Weißt du, wie sehr ich in Frankreich leide, Mädchen? Du weißt es nicht. Du weißt nicht, wie ich leide, mein Kind. Du weißt nicht, wie traurig ich nachts bin.
Marilyn, ich… weine, weine, weine, weine… sehr viel. So sehr, so sehr!
4:50
Ah,… Ah. Ooh, Ooh! (Gelächter)
(Ocaña weint, murmelt und schnieft)5:32
Tag und Nacht, Tag und Nacht leide ich unter der gleichen Situation
Denn die Küsse, die Küsse einer Frau, die die ganze Welt liebt
und nimmt die Augen weg, und nimmt die Augen weg
Oh, ihr Leiden
Ich weiß nicht, ich weiß nicht, ich weiß nicht, ich weiß nicht, was ich tun muss, um zu leben
Verdammtes Juwel, du bist verrückt und du wirst mich auch verrückt machen!
Du weißt nicht, was du tun sollst. Du bist verrückt!
(Rufe)
06:29
Gehst du jetzt?
Marilyn, dein Leben… ist eine Qual für mich.
Die Reklame nutzen dich aus. Sie benutzen deinen Ausschnitt für Geld.
Aber ich bin eine schreckliche Frau, verloren, verloren, sehr verloren…
Ich erinnere mich, dass ich als Kind eines Tages… im Dorf beim Sex mit einem vierzehnjährigen Jungen erwischt wurde. Sie nannten mich pädophil, sie sperrten mich ein, sie sprachen schlecht über mich, ich wurde aus der Kirche geworfen… Es war… Ah! Schrecklich… Was ist denn mit dir los?
Ocaña! Was machst du denn da?
Mädel, ich erinnere mich nicht, eh! Ich erinnere mich nicht mehr.
Ah! Ich werfe die Blume den Kommunisten zu, weil sie furchtbar allein sind… In Berlin Nord, in Berlin Süd-West (fragt das Publikum) Was ist es? (das Publikum lacht und redet)
Ich habe ihm die rote Blume zugeworfen, weil sie die Bedeutung der Liebe ist, verstehst du?
Weil er furchtbar einsam ist. Verstehst du?
Aber hier in Deutschland gibt es viel… Freiheit, weißt du? Sehr kultiviert, aber man ist arm. Verstehst du das?
Dann gehe ich mit ihr weg, ich weine, weine, weine, weine, … Schließlich nehme ich den Ausschnitt. Es ist nur ein Ausschnitt, Marilyn gibt es nicht. Nein, sie existiert nicht.
Komödie, Schauspieler. Nein, nein, nein, nein, nein, …! Du bist ein Schauspieler! Du willst… Du willst sie. Du bist frauenfeindlich. Verstehst du das? Sie folgt nur dem Klang, du folgst nur dem Klang. Schauspieler, Schauspieler!
Aah! (lacht)
08:35
Sie ist für immer aus dem Leben gegangen
Auf den Straßen, auf den Straßen des Frühlings,
ist Ocaña ein kleiner Junge
der mit seinen Augen und seinem Mund weint und singt,
Aber er will den Verrat der Menschen nicht spüren
denn… Ich bin verrückt
Weint und lacht innerlich
aber sie ist völlig verrückt
nimm den Ausschnitt weg,
er ist nichts wert
Damit jeder…
LITERATUR
Ajuntament de Barcelona (Hg.) (2011): Ocaña. 1973-1983: acciones, actuaciones, activismo. Ediciones Polígrafa. Barcelona. (Kurator: Pedro G. Romero).
Espaliú, Pepe: Libro de Andrés. Un Cuento Del Ayer. In: Alcaide, Jesús (Hg.) (2018): La Imposible verdad: textos 1987-1993. Madrid. La Bella Varsovia. S. 124-125.
Fundación Provincial de Artes Plásticas Rafael Botí (Hg.) (2016): La gran primavera andaluza de Ocaña. Antología de la obra pictórica de José Pérez Ocaña 1947-1983. Córdoba.
Griñolo, Isaías; Orihuela, Antonio (2018): Camilo – és perillós abocar-se. Biblioteca Secreta. Barcelona.
Moreno, Juan J. (2013): Ocaña. La memoria del Sol.
Museo Español de Arte Contemporáneo (Hg.) (1985): Ocaña. Pinturas. Madrid, diciembre, 1985. Exhibition Catalogue. (Text von Ignacio Zabala, Kuratorin: María José Wynn).
Naranjo-Ferrari, José (2013): Ocaña, artista y mito contracultural, análisis de la figura y legado artístico de José Pérez Ocaña (1947-1983) como testimonio y producto sociocultural de la transición española. Universidad de Sevilla.
Nazario (2016): La vida cotidiana del dibujante underground. Editorial Anagrama. Barcelona.
Nazario (2018): Sevilla y la Casita de las Pirañas. Editorial Anagrama. Barcelona.
Pérez Pedrals, Pere (Hg.) (2007-): La Rosa del Vietnam. Archivo Ocañí (http://larosadelvietnam.blogspot.com).
Rafael M. Mérida Jiménez (2018): Ocaña. Voces, Ecos y distorsiones. Barcelona.