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Pier Paolo Pasolini (5.3.1922 – 2.11.1975) – Hommage zum 90. Geburtstag

27. Januar 2012 – 1. Mai 2012

Pasolinis Leben sollte an einem Tag enden, an dem Allerseelen auf einen Sonntag fällt: das war 1958, 1969 und 1975 der Fall. Giuseppe Zigaina, Maler und seit 1948 mit Pasolini befreundet, geht den Hinweisen im Werk nach, die auf einen von langer Hand vorbereiteten Selbstmord verweisen. Nach Zigaina plante Pasolini seinen Freitod bereits für das Jahr 1969, lernte dann aber Maria Callas kennen, die ihm aus einer künstlerischen Krise half, und beschloss seinen Tod auf 1975 zu verschieben. Alle möglichen späteren Konstellationen waren ihm, nicht zuletzt wegen des fortschreitenden Alters, zu ungewiss. Zigainas Hypothese strukturiert unsere Hommage. Der Ritus des selbst erwählten Todes am Strand von Ostia ist Ausgangspunkt, um Leben und Werk Pasolinis zu befragen.

Menschenopfer, ausschließlich kräftige junge Männer, werden in vielen Filmen Pasolinis zelebriert. Sie werden brutal erschlagen, zerstückelt und zerstreut. Ihr Tod hat vor allem sakrale Bedeutung: sie befrieden die Götter, stillen die Fleischeslust der Mutter Erde, stiften Sinn, stellen Zusammengehörigkeit her, entheben das Opfer der Banalität des Lebens. Pasolini, von beiden großen Kirchen Italiens als Stachel im Fleisch erlebt, von der katholischen verfolgt, als Herätiker drangsaliert, mit Prozessen überzogen, von der kommunistischen, wegen seiner Dekadenz, seiner Homosexualität ausgestoßen, leistet erbitterten Widerstand gegen die Zumutungen der italienischen Nachkriegs-Gesellschaft. Provokation ist die Waffe des Außenseiters, wild schlägt er auf die Klasse seiner eigenen Herkunft ein, das Kleinbürgertum. Das bäuerliche Subproletariat, das im Laufe seines Lebens schwinden sollte, war ihm utopisches Versprechen: hier herrschte fröhliche Anarchie und ungebremste Sinneslust, hier waren die pubertierenden Jugendlichen aus Mangel an Kontaktmöglichkeiten zum anderen Geschlecht bereit, sich auch auf homosexuelle Abenteuer einzulassen.

Diese archaische Welt war bedroht, der aufkommende Konsumismus, von Pasolini gegeißelt, zerstörte die alten bäuerlichen Strukturen, ebnete die Milieus ein und entzog seinem Begehren die Objekte. Vorübergehende Auswege boten die Ragazzi der tristen Vororte Roms, später die Fluchten in die Dritte Welt, die seiner Sehnsucht nach einer archaischen Erotik Erfüllung vorgaukelte. Die Filme seiner Trilogie des Lebens wurden als konsumierbare Pornographie kritisiert, waren von ihm aber als Feier des Lebens, als Widerstand gegen den Konsumismus intendiert. Mit seinem letzten Film Saló – Die 120 Tage von Sodom verwirft Pasolini die utopische Kraft der Sexualität, in Verbindung mit absoluter Macht wird sie zur negativen Kraft, zum faschistischen Manifest gegen das Leben, die letzte unverdauliche Provokation eines anarchischen Mystikers der Verzweiflung.

„Einbeutung“ nennt Christoph Klimke die Versuche, Pasolinis Leben und Werk für die jeweils eigenen Interessen zu instrumentalisieren. Pasolini verweigerte sich den Ansinnen schwuler Aktivisten, seine Stimme gegen gesellschaftliche Ausgrenzung und Diskriminierung zu erheben. In Saló wird das schwule Eheversprechen als Sakrileg, als große Perversion, als Grenzübertretung zelebriert. Mit uns kleinbürgerlichen Gays und unseren Sehnsüchten nach gesellschaftlicher Anerkennung hat Pasolini nichts gemein. Für ihn war seine Homosexualität ein Teil seiner Natur, so wie etwa unterschiedliche Haarfarben unausweichlich sind. Alberto Moravia sieht bei Pasolini eine große Verdrängung der Homosexualität: sie komme in Pasolinis Werk nicht vor. Moravia hat Pasolini als sehr männlich, unverweichlicht, als einen, der nur normale Jungs liebt, als Päderast erlebt. Heterosexuelle Missverständnisse? Auch das enge Verhältnis Pasolinis zu seiner Mutter stößt Moravia ab. Vordergründig betrachtet, verweigert Pasolinis Werk das Unnennbare, kreist aber beständig um das ungelöste Problem, macht es zum unbenannten Motor seiner künstlerischen Inspiration.

Unsere Ausstellung präsentiert das literarische und das filmische Werk, schlägt Blickachsen in Pasolinis künstlerische Produktionsweisen, verbindet das Werk mit der Biographie. Kurze Zitate von Zeitgenossen erweitern und ergänzen das Bild Pasolinis. Vorgestellt wird der Drehbuchautor Pasolini, der sowohl für prominente als auch für heute vergessene Regisseure arbeitete. Auch hier steht das Leben der Ragazzi im Mittelpunkt und weist voraus auf Pasolinis Hauptwerke. Gezeigt werden Bücher von und über Pasolini: seine Romane, seine Veröffentlichungen zu Filmen, die Poeme, Essays und Streitschriften. Kleine Exkurse zu Pasolinis Familie, zur Mutter, zu den Freunden, dem Freund Ninetto Davoli, den Mitarbeitern und den Musen: die Callas, Anna Magnani, Laura Betti, Silvana Mangano, runden das Bild. Im Mittelpunkt steht Pasolinis filmisches Werk, dokumentiert durch Plakate und Fotos, kommentiert durch Zitate aus Kritiken und Interviews. Fotos zeigen Pasolini bei den Dreharbeiten. Auf Monitoren kommt Pasolini selbst zu Wort. Natürlich ist das alles eine Einbeutung, ein Versuch, zu klären, ob Pasolinis Schaffen homosexuelle Kunst ist. Der Ausgang ist offen.

Kurator: Wolfgang Theis