Drei lange verschollene Portraits aus Wilhelm Uhdes Kunstsammlung, die einen besonderen LGBTIQ*-Bezug haben, wurden erstmals im September 2017 im Lille Métropole, musée d’art moderne, d’art contemporain et d’art brut, kurz LaM ausgestellt. Nun sind die zum ersten Mal in Deutschland zu sehen: im Schwulen Museum im Rahmen der Ausstellung Tapetenwechsel 2.04 (kuratiert von Wolfgang Theis).
Der Uhde-Experte Dr. Stephan Heinrich Nolte erklärt was an den drei Gemälden aus den 1920er Jahren so besonders ist:
Wilhelm Uhde kam 1904 nach Paris und gilt als Entdecker Picassos, der Kubisten und der so genannten Primitiven. Im ersten Weltkrieg verlor er seine bedeutende Kunstsammlung, die als Feindesgut beschlagnahmt wurde. Dennoch zog es ihn in den 20er Jahren bis zu seinem Tod wieder nach Frankreich. Einem breiteren Publikum bekannt wurde Uhde, der 1947 weitgehend vergessen in Paris verstarb, in der letzten Zeit durch den mit sieben Césars ausgezeichneten Film Séraphine, der vom Aufenthalt des Kunstsammlers in Senlis und seiner Entdeckung der Malerin Séraphine Louis handelt.
Andrè Lanskoy (1902 – 1976) malte Uhde wohl um 1929 im blauen Frauenkleid. In der Öffentlichkeit hätte das pikante Portrait und Zeugnis schwuler Selbstinszenierung den Kunstsammler damals sicherlich in Bedrängnis gebracht. Auf dem zweiten Gemälde ist die berühmte russische Malerin Sonia Terk (1885 – 1908) zu sehen, mit der Uhde 1908 für kurze Zeit eine Scheinehe einging. Bei diesem handelt es sich um das einzige bekannte Porträt der Künstlerin weltweit. Er konnte dadurch seine Homosexualität verbergen, sie konnte sich von ihren Eltern emanzipieren. Bekannter wurde sie nach ihrer zweiten Heirat unter dem Namen Sonia Delaunay. 1917 lernte Uhde dann den ein Vierteljahrhundert jüngeren Hellmut Kolle kennen, die beiden wurden ein Paar. Und so zeigt das dritte Gemälde Kolle im Selbstporträt. Es trägt den Titel le cuisinier et le coq, entstand wohl um 1924 nach dem gemeinsamen Umzug der beiden Männer nach Paris und gilt als Kolles kleinstes Selbstporträt in Öl.
Während des Zweiten Weltkriegs wurden um 1940 wohl einige Bilder der Sammlung Uhde mit Hilfe des damaligen Direktors des Kunstmuseums Basel, Georg Schmidt, in die Schweiz gebracht, um sie vor dem Zugriff der Nationalsozialisten zu schützen. Diese beschlagnahmten und plünderten kurz darauf Uhdes Wohnung in Paris. Beteiligt an der Bilderrettung war auch der Schweizer Politiker Regierungsrat Fritz Hauser, der seinerzeit den Bau des Kunstmuseums Basel maßgeblich vorangetrieben hatte und als bedeutender Förderer der Basler Bildungs- und Kulturpolitik gilt. Als „Fluchthelfer“ hatte sich Museumsleiter Georg Schmidt übrigens auch schon 1939 hervorgetan: Er hatte den Ankauf von Werken vorangetrieben, die die Nationalsozialisten als „entartete Kunst“ eingestuft hatten. Jedes einzelne Bild, das aus der Kiste stieg, habe er „wie einen heil über die Grenzen gelangten Menschen“ begrüßt, schreibt Schmidt in einem Brief vom 15. Juli 1939.
Wie jetzt aus einem Schreiben von Hausers entfernteren Nachfahren hervorgeht, befanden sie sich wohl über Jahrzehnte in deren Privatbesitz und lagerten, verborgen vor den Augen der Öffentlichkeit, im Keller. Ein paar Bilder gingen damals wohl von Uhde „quasi als Belohnung und Dank“ für die Rettungsaktion während des Zweiten Weltkriegs in den Familienbesitz über, darunter die Bilder von Lanskoy und Kolle.
Nun will sich auch der Schweizer Historiker Professor Georg Kreis des Falles annehmen, der sich seit vielen Jahren kritisch mit dem Verhalten der Schweiz während des Zweiten Weltkriegs auseinandersetzt. Der Geschichtswissenschaftler ist unter anderem Co-Autor des 2001 erschienen Werks Fluchtgut – Raubgut. Der Transfer von Kulturgütern in und über die Schweiz 1933–1945.