Remember me befragt in vielschichtiger weise das Erinnern. Verschiedene Ausstellungsteile erörtern einzelne Aspekte des Themas und sollen Assoziationen hervorrufen. Die Ausstellung versteht sich als Anregung der eigenen Reflexion. Vergessen ist die Voraussetzung zum Denken, sagt Nietzsche. Was bleibt vom Leben? In jedem Augenblick begegnen wir einer Vielzahl von Eindrücken und Bildern. Wohin aber wenden wir unsere Aufmerksamkeit? Wodurch wird der Strang der Erinnerungen gespeist, und worauf gründen wir die Kontinuität unsers Seins?
Der komplexen Situation des Erinnerns will die Ausstellung nachgehen. Erinnerung überbrückt zeitliche, mal räumliche Distanz, Erinnerungen speisen unsere privatesten Gedanken, Erinnerungen begründen aber auch das kollektive, politische und soziale Gefüge. Erinnerung ist abhängig vom eigenen Zutun, ist nicht nur Übriggebliebenes von Vergangenem, sondern eine Tätigkeit, ein Transport in die Gegenwart, und drin ein kreativer Akt. Ein Lichtstrahl wird auf etwas gelenkt, etwas Bestimmtes wird aus der unermesslichen Vielzahl an Vergangenem und Vergessenem herausgehoben.
Remember me beleuchtet Aspekte des Erinnerns, Erinnerungsrituale, Formen des Andenkens und Gedenkens. Konkrete Geschichtsschreibung und Erinnerungsprozesse stehen in dieser Ausstellung nicht nur für einzelne Ereignisse und Schicksale, Ziel der Ausstellung ist nicht nur die Rekonstruktion der Vergangenheit, sondern eine Anregung zur Betrachtung von kollektivem und individuellem Werden und Vergehen. Erinnern folgt bestimmen Auffassungen. Auch das persönliche Erinnern folgt innerhalb eines gesellschaftlichen Rahmens: selbst für die persönlichen Trauermomente gibt es gesellschaftliche Vorstellungen und Vorschriften der Angemessenheit.
In den Gender Studies sprechen wir vom Ende der Genealogie. Vorstellungen zur Lebensführung und Rollenzuteilungen (Mann – Frau usw.) erweisen sich als kulturelles Konstrukt, das sich nicht einmal mehr auf eine biologische Notwendigkeit berufen kann. Zur Arterhaltung bedarf es angesichts der Biotechnologie nicht mehr des Geschlechtsakts zwischen Mann und Frau. Familienstrukturen und Erbfolgen gelten für den Großteil der Menschen nicht mehr 8in den westlichen Ballungsräumen leben wesentlich mehr Singles und Alleinerziehende), und die damit verbundenen Wertschemen von Beständigkeit, Tradition usw. verblassen. Je weniger wir uns auf hergebrachte Abläufe und kontinuierliche Strukturen berufen können, umso bedeutender wird das eigene Erinnern. Wie können wir uns in einem dynamischen Weltgefüge aber wieder finden? Was wollen wir in Erinnerung behalten, welches Erbe wollen wir antreten und welche Wirkungsgeschichte wünschen wir uns für das eigene Leben?
Als Homosexueller zu leben ist eine prekäre Situation in Bezug auf die tradierten Auffassungen von Familienbanden und Erbfolgen. Die Geschichte der Emanzipationsbewegung ist teil der allgemeinen Sozialgeschichte und Geistesgeschichte. Dass die homosexuellen eigene Vorstellungen individueller Lebensführung umsetzen, geschieht immer auch vor einem kollektiven Kontext. Um sich als Schwuler zu bezeichnen, war es nötig, eigene Momente des Erinnerns zu bewahren, eigene Daten zu suchen, eigene Traditionslinien aufzuzeigen, um so eine eigene Geschichte, eine Geschichte der Schwulen zu konstruieren. Die Schwulen (wie vor ihnen die Frauen, die Schwarzen usw.) mussten sich über ihre spezifische Gemeinsamkeit (für die Schwulen ihre Sexualität) definieren, sich assoziieren und sich als Gruppe formieren, um gesellschaftliche Akzeptanz einzufordern. Das eigene Fühlen und Erleben ist auf komplexe Weise verknüpft mit der sozialen und politischen Organisation der Gesellschaft. Sich an seine eigene Geschichte, sein eigenes Leben zu erinnern, aber auch sich selbst in Bezug auf die Historie einen Platz zu suchen, ist ein Moment der Selbsterfindung.
Jeder kann eigene Bilder herstellen. Jeder arbeitet an seiner eigenen Erinnerung, am Mythos seines Lebens.