Unter der Schirmherrschaft des Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit eröffnete das Schwule Museum am 6. Dezember 2004 in den neuen Räumen seine Dauerausstellung. Die Anmietung der Räume wurde durch das Vermächtnis von Prof. Dr. Christian Adolf Isermeyer ermöglicht, die Einrichtung der Ausstellung durch eine Zuwendung der Stiftung Deutsche Klassenlotterie Berlin. So kann parallel zu den Wechselausstellungen ein Überblick über die schwule Geschichte in Deutschland mit Schwerpunkt Berlin präsentiert werden. Vorgestellt wird der Zeitraum von 1790 bis 1990. Er bildet das historische Fundament, auf dem das heutige schwule Selbstverständnis basiert.
Erzählt wird aus der Perspektive der Homosexuellen, von den Möglichkeiten angesichts anhaltender Unterdrückung, Verfolgung und Bestrafung. Die herausgehobenen Momente heißen Selbstbewusstsein und Beharrlichkeit. Diese waren unabdingbar, um Partner oder gleichgesinnte Freunde zu finden und Netzwerke zu bilden. Wie entstand und was stütze ein solches Selbstbewusstsein? Auf diese zentrale Frage kommt die Ausstellung immer wieder zurück. Die Liebesgeschichten der antiken Götter, die seit der Renaissance in Europa allgegenwärtig waren, fanden immer neue Darstellungen in Literatur und Kunst. Geschichten aus der Bibel wie die von David und Jonathan oder Jesus mit seinem Lieblingsjünger Johannes konnten als Beispiele inniger Freundschaften gelesen werden. Aus mündlicher Überlieferung und wissenschaftlicher Forschung ergab sich eine Reihe berühmter Homosexueller, die als Vorbild für das eigene Liebesleben dienten.
Die Sehnsucht nach männlicher Nacktheit fand an den unterschiedlichsten Orten eine Erfüllung. Kunstwerke in Sammlungen und Museen konnten als Reproduktionen ins eigene Heim gebracht werden. In der Öffentlichkeit gab es seit dem frühen 19. Jahrhundert, auch durch den Rückgriff auf die Antike, die Zurschaustellung männlicher Nacktheit beim Sport und von Akrobaten und Kraftmenschen auf der Bühne. Nach der Entdeckung der blauen Grotte wurde ab 1840 die Insel Capri Anziehungspunkt für Homosexuelle. Ferdinand Flohrs Gemälde der Badenden und Wilhelm von Gloedens Fotografien sind Ausdruck dafür. Im Zuge der Lebensreformbewegung um 1900 entstand in Deutschland eine besonders freie Nacktkörperkultur, die dazu beitrug, dass Berlin in der Weimarer Republik zur neuen Insel der Glückseligen wurde. In den 50er und 60er Jahren wurden die Strände Kaliforniens mit den durch Bodybuilding gestählten Männerkörpern zum neuen Ziel fast mythischer Sehnsüchte.
Die Selbstfindung wurde durch die Literatur gestützt, wobei oft ein selektives Lesen Voraussetzung war. Selbst die nicht immer vorurteilsfreien Fallgeschichten in der Psychopathia Sexualis von Krafft-Ebing (1886) konnte entsprechend gelesen werden. Selbstbewusstsein und Beharrlichkeit waren nötig, um Freundeskreise, Netzwerke und Subkulturen aufzubauen, wie sie in den europäischen Metropolen seit 1700 nachzuweisen sind. In Paris, London, Amsterdam, Rom, Wien und Berlin existierten solche Kreise mit eigenen Treffpunkten, Moden und Sprachregelungen.
Um aus diesen Netzwerken politisch motivierte Organisationen entstehen zu lassen, bedurfte es einer Zeitspanne von 50 Jahren, von den ersten Versuchen eines Heinrich Hössli und Karl Heinrich Ulrichs bis zur Gründung des Wissenschaftlich-humanitären Komitees durch den Berliner Arzt Magnus Hirschfeld 1897. Jetzt begann eine Kampagne öffentlicher Aufklärung, die gerade auf die Organe jahrhundertlanger Unterdrückung einwirkte: auf Polizei und Politik, die Kirchen, Mediziner, Juristen und Publizisten. Die Suche nach Bündnispartnern in allen gesellschaftlichen Bereichen war um 1900 bereits erfolgreich. Der zentrale Höhepunkt dieser Entwicklung im Berlin der Weimarer Republik wird in der Ausstellung ausführlich gewürdigt. In den Freundschaftsbünden waren über 40 000 Mitglieder organisiert.
Hirschfeld setzte sich in seinem Berliner Institut für Sexualwissenschaft ab 1919 nicht nur für die Gleichstellung der Homosexuellen ein, sondern auch für eine allgemeine Sexualaufklärung. Peter Martin Lampels Einsatz gegen die katastrophalen Zustände in den Fürsorgeanstalten durch die Veröffentlichung von Interviews mit den Jungen in Büchern, Theaterstücken und Filmen zeitigte Wirkung. Die Galeristen moderner Kunst, Alfred Flechtheim und Fritz Gurlitt publizierten erotische Mappenwerke, die auch schwule und lesbische Themen behandelten. Max Terpis, Harald Kreutzberg oder Anita Berber engagierten sich im modernen Tanz. Wilhelm Bendow und Hans Deppe machten das Thölen im Kabarett gesellschaftsfähig, nachdem Damenimitatoren schon seit 1890 die Variétés mit ihrem Humor beherrschten. Es gab eine schwule und lesbische Beteiligung in allen gesellschaftlichen Bereichen.
Ab 1933 führte die Zerstörung schwuler und lesbischer Selbstorganisationen und der Subkultur zur erneuten Vereinzelung. Die von den Nazis geschürte Hatz gegen Anderslebende bediente sich bürgerlicher, kirchlicher und medizinischer Vorurteile mit lebensbedrohlichen Folgen.
Strafverschärfungen, vermehrte Verurteilungen, Schutzhaft in Konzentrationslagern und Gefängnissen bis hin zur gezielten Ermordung waren die Schritte des staatlichen Terrors. Abschreckung und Zerstörung des Selbstwertgefühls wirkten noch Jahrzehnte nach 1945 weiter. Dennoch lassen sich auch in der Nazi-Zeit schwuler Selbstbehauptungswillen und Beharrlichkeit feststellen.
Beispiele von individuellem Mut und Zusammenhalt werden neben der Flucht ins Ausland, politischer Aktivität gegen das Regime, Anpassung und Mitläufertum oder Verzicht auf privates Glück vorgestellt. Die vielfältigen Versuche, in den Nachkriegsjahren an alte Freiheiten anzuknüpfen, wurden abgeschmettert. Erst in den 60er Jahren brachte die weltweite Aufbruchstimmung auch in Deutschland eine vergleichbare Öffnung der Gesellschaft. Die Flower-Power-Bewegung erzeugte ein neues kämpferisches Selbstverständnis, das seit 1970 eine vielfältige Ausprägung schwuler und lesbischer Freiheiten bewirkt hat.
Für die Dauerausstellung wurde mit dem Architekten Rainer Lendler eine offene Struktur entwickelt, die Veränderungen und Ergänzungen zulässt. Die Objekte werden im Gesamtgefüge platziert, ohne den Eindruck zu erwecken, dies sei die letztendlich gültige Geschichte, vielmehr sollen sie als Bruchstücke sichtbar bleiben. Originale auf Papier werden ebenso regelmäßig ausgewechselt wie die vielfältigen homoerotischen Bildfindungen aus der Sammlung des Museums. Neben der Aktualisierung der Darstellung können so weitere Schlaglichter auf die Entwicklung der schwulen Geschichte geworfen werden. Den biografischen Aspekt, ein Schwerpunkt der Arbeit des Schwulen Museums, vermitteln immer wieder neue Lebensschicksale aus dem Zeitraum 1900 bis 1990.
Kurator: Andreas Sternweiler