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Vier Jahrzehnte — Vier Künstler

2. April 2004 – 4. Oktober 2004

Das Schwule Museum hat sich entschieden, neben den bisherigen Gruppenausstellungen in einer losen Reihe Künstler auch in Einzelausstellungen vorzustellen. Dabei geht der Kurator Dr. Andreas Sternweiler den Gestaltungsmöglichkeiten homoerotischer Bildwelten im Wandel der Jahrzehnte nach. Der Schwerpunkt liegt in der Zeit vor 1975. Einzelne Arbeiten oder zentrale Werkzyklen werden eingebettet in ihren historischen Zusammenhang präsentiert. Anlass waren zahlreiche Anfragen von Künstlern, aber mehr noch die bedeutenden Schenkungen einzelner Kunstwerke und ganzer Werkgruppen, die das Schwule Museum in den letzten Jahren für seine Sammlung erhalten hat. Mit der am 1. April 2004 beginnenden Ausstellung über Hans-Ulrich Buchwald und den folgenden kommt das Museum der selbstverständlichen Verpflichtung nach, diese Arbeiten als Eckpunkte für eine noch zu schreibende schwule Kunstgeschichte der letzten Jahrzehnte zu zeigen. Vorrangig sollen auch in Zukunft bisher eher unbekannte oder in Vergessenheit geratene Protagonisten einer schwulen Selbstdarstellung und ihre homoerotischen Arbeiten vorgestellt werden.

In einer ersten Reihe werden in diesem Jahr vier Künstler aus vier Jahrzehnten gezeigt. Im Abstand von sechs Wochen werden einander überschneidend die Künstler Jürgen Wittdorf (geb. 1932), Detlef aus dem Kahmen (geb. 1943) und Patrick Angus (1953 – 1992) der Präsentation der Arbeiten von Hans-Ulrich Buchwald folgen. Als Dank an die Künstler für deren großherzige Stiftung zahlreicher Arbeiten gibt das Schwule Museum zu jedem einzelnen ein vom Kurator verfasstes Kunstblatt heraus.

My Heart Goes Bang Bang Bang Bang: Schwule Bilder von Patrick Angus

Patrick Angus gehört zu der Künstlergeneration, die Ende der 70er Jahre entgegen der vorherrschenden abstrakten Kunst der Zeit begann, sich wieder figurativer Malerei zuzuwenden. Geprägt von den Erfolgen der sexuellen Revolution und einer Selbstbefreiung der Homosexuellen durch die Ereignisse um Stonewall 1969, wollte er einer bis dahin auch in der Kunst negierten schwulen Lebenswirklichkeit zu ihrem Recht auf eigenständige Bilder verhelfen. Er nutzte dafür die klassische Erzählweise der Malerei und Zeichnung und knüpfte darin an die Traditionen des amerikanischen Realismus eines Edward Hopper oder Reginald Marsh an. Eine vergleichbare Hinwendung zur metaphernreichen gegenständlichen Malerei lässt sich nicht nur in den USA bei Eric Fischl und Julian Schnabel um 1979 feststellen, sondern auch in Europa. In Deutschland waren es die sogenannten Jungen Wilden, die im Rückgriff auf die Kunst des deutschen Expressionismus der 1910er Jahre gleichzeitig zu einer kraftvollen Neudefinition figurativer Malerei gelangten. Wolfgang Max Faust sprach im Zusammenhang mit diesem weltweiten Phänomen, das der Malerei nach Jahrzehnten der Missachtung wieder zu ihrem Recht verhalf, vom „Hunger nach Bildern“. Patrick Angus gelang es in seinen Arbeiten in einer Fülle neuartiger Themen, in einer nicht dagewesenen Ausformung und einer erzählerischen Dichte schwule Lebens- und Liebesbezüge ins Bild zu bringen.

Sein umfangreiches künstlerisches Werk an Zeichnungen und Gemälden ist zwar nur in Teilen erhalten, doch durch Fotografien verschollener Arbeiten lässt es sich größtenteils rekonstruieren. Lediglich das Frühwerk der Jahre 1974 bis 1978 ist nur noch in wenigen Werken nachvollziehbar. Bereits in ihnen zeigt sich die besondere Begabung des jungen Künstlers und sein dezidierter Wunsch, die schwule Erfahrenswelt in all ihren Facetten in Bilder zu überführen. Dies blieb in den nächsten Jahren das zentrale Anliegen des Künstlers Patrick Angus.

Das Schwule Museum bedankt sich bei Douglas Blair Turnbaugh für die großzügige Schenkung des Gemäldes My Heart Goes Bang Bang Bang Bang und zweier Zeichnungen aus dem Zyklus Los Angeles.

Von Märtyrern und heiligen Bildern: Schwule Andeutungen bei Detlef aus dem Kahmen

Mit seinen Märtyrerbildern gebührt dem Maler Detlef aus dem Kahmen ein gewichtiger Platz in der schwulen Kunstgeschichte der frühen 70er Jahre. Noch vor den explosiven Äußerungen der Jungen Wilden, die in der 2. Hälfte der 70er Jahre mit ihren wesentlich direkteren schwulen Bildern an die Öffentlichkeit traten, lotete Kahmen in seinen Gemälden die Möglichkeiten einer schwulen Selbstäußerung aus. Nur um wenige Jahre älter als Fetting oder Salomé, stehen seine Arbeiten in einer weit stärkeren Beziehung zur Zeit um die Strafrechtsnovelle von 1969. Kahmens Zyklus von abstrahierten Farbzeichnungen nach Bade- und Unterhosen aus dem Jahre 1968 ist in der künstlerischen Überhöhung banaler Gegenstände den Prinzipien der Pop-Art verpflichtet.

In den Märtyrerbildern, die vier Jahre später 1972 entstanden und als schwule Altarbilder zu lesen sind, verarbeitet der Künstler die jahrhundertlange Verfolgung und gesellschaftliche Ächtung von Homosexuellen. Indem er den anonymen schwulen Märtyrern in seinen Bildern durch Symbole der Liebe und Folter ein Denkmal setzt und sie in heiligen Bildern verewigt, sucht er sich in einem Akt künstlerischer Leidenschaft von den gesellschaftlichen Vorurteilen auch seiner eigenen Zeit zu befreien. Die beiden Werkgruppen umschreiben ein gesellschaftspolitisch zentrales Moment der schwulen Geschichte, die Zeit kurz vor und nach der Novellierung des §175 und einer Entkriminalisierung sexueller Handlungen zwischen erwachsenen Männern.

Um Berührungen zu vermeiden: Homoerotische Bilder von Jürgen Wittdorf

Bekannt geworden ist Wittdorf in der DDR mit seinem Holzschnittzyklus Für die Jugend (1960/61). Er zeigte erstmals sogenannte Halbstarke, die den gängigen Moralvorstellungen und Geschlechterrollen zu widersprechen schienen. Der Bruch mit der Spießigkeit der Eltern- und Großelterngeneration wird an vielerlei Punkten deutlich gemacht. Letztendlich geht es auch Wittdorf um die Anknüpfung an Freiheiten und Lebensmodelle der Weimarer Zeit, die damals gerade von Sozialisten und Kommunisten gelebt und propagiert worden waren. Mit seinem Grafikzyklus Jugend und Sport für den Neubau der Deutschen Hochschule für Körperkultur in Leipzig schuf Wittdorf dann 1963/64 eine homoerotische Arbeit, die wohl einzig in der Kunst der DDR dasteht.

In dem öffentlichen Auftragswerk manifestiert sich die private Leidenschaft des Künstlers. Entstanden in der quälenden Phase des persönlichen Eingeständnisses der eigenen Homosexualität, noch vor seinem eigentlichen Coming Out, beruhen die Intensität der Bilder und zahlreichen Vorzeichnungen auf der erotischen Leidenschaft des Künstlers für den männlichen Körper, die ihr einziges Ventil in der Kunst fand. Mit dem Sport-Zyklus ist der Höhepunkt homoerotischer Darstellungen in Wittdorfs Werk erreicht. Mit dem kurz darauf erfolgenden Eingeständnis der eigenen Homosexualität, verschwindet das Thema fast vollständig aus seiner Kunst. Erst jetzt werden auch ihm selbst die eigentlichen Beweggründe für seine Darstellungen bewusst und damit unmöglich. Gefangen in den Vorurteilen und der Ablehnung der Gesellschaft wollte der Künstler, dass seine Homosexualität, seine Privatsache hinfort nicht mehr für andere sichtbar sein sollte.

In schwebendem Zustand das Gleichgewicht halten: Homoerotik im Werk von Hans-Ulrich Buchwald

Ein besonderer Glücksfall war der Kontakt mit dem in Hannover lebenden Künstler Hans-Ulrich Buchwald (geb. 1925). In seinem Schaffen liefert er einen intensiven Einblick in homoerotische Gestaltungsmöglichkeiten der Epoche vor 1969, vor der Reform des §175. Im Gespräch mit ihm ließen sich zahlreiche private Metaphern entschlüsseln. Nach der völligen Zerstörung schwuler Selbstorganisationen, Netzwerke und persönlicher Freiheiten in der Nazi-Zeit konnte nach 1945 nur zaghaft an Traditionen der 20er Jahre angeknüpft werden. In der Zeit eines Fortbestehens des §175, der jede homosexuelle Annäherung unter Strafe stellte, waren nur zaghafte Versuche einer selbstbestimmten Lebensweise und Organisierung möglich. Polizeiliche Schikanen, Razzien, Verbote, Zensur und Verurteilungen waren an der Tagesordnung. In diesem Klima konnte kaum eine Kunst gedeihen, die sich dem Thema Homosexualität verschrieben hätte. Lediglich versteckte Andeutungen und verschlüsselte homoerotische Bildthemen waren während der 50er und 60er Jahre möglich.

Trotzdem lassen sich auch in dieser Zeit künstlerische Umschreibungen der Liebe zu Männern finden wie im künstlerischen Werk von Hans-Ulrich Buchwald. Hier sind homoerotische Anspielungen und Bildthemen durchgehend vorhanden und unübersehbar. Bis heute lassen sich eine Fülle eigenständiger Bildfindung und privater Mythologisierungen feststellen. Buchwald ist seinen ganz eigenen Lebensweg gegangen, der jedoch auch typisch für einen Teil seiner Generation gewesen ist. Nach einer frühen Phase homosexuellen Erlebens hat er 1956 mit dreißig Jahren die um zehn Jahre ältere Künstlerin Hella Feyerabend geheiratet und mit ihr und den drei Töchtern eine besonders glückliche Künstler-Ehe voller Anregungen, künstlerischem Austausch und enger Zusammenarbeit geführt. Gleichzeitig hatte er kurze, versteckte, zumeist nächtliche Abenteuer mit Männern, die jedoch vor der Gattin verborgen gehalten wurden. Diese Erlebnisse und unerfüllte Träume waren ihm immer wieder Anlass zur Gestaltung ganz eigenständiger homoerotischer Bildwelten.

Kurator: Andreas Sternweiler