Julia Wigger, die kürzlich ihren Masterabschluss in Public History an der FU Berlin absolviert hat, war dem Schwulen Museum* fast drei Jahre lang verbunden. Als Ehrenamtliche hat sie seit 2013 intensiv einen wichtigen Teilbestand des SMU*-Archivs aufgearbeitet, der nun in einer vorläufigen Fassung vorliegt und für die künftige Nutzung freigegeben werden kann: Der Bestand „Gewaltdelikte“ (ehemals Bestand „Justiz“) enthält mehrere Tausend Vorgänge zum Thema „Gewalt gegen homosexuelle Personen“ aus der frühen Nachkriegszeit bis in die Gegenwart (mit ein paar “Ausreißern“ aus der NS-Zeit). Dabei ist vor allem der jeweilige Tenor der Berichterstattung bemerkenswert, der das sich wandelnde Bild Homosexueller in der Presse widerspiegelt: von den eher verdeckt-verklemmten Formulierungen der Nachkriegszeit hin zu einer zunehmend reißerischen Aufbereitung des Themas in den 1970er und -80 Jahren. Aktuell ist diese Entwicklung nach Einschätzung von Julia Wigger wieder rückläufig, doch muss davon ausgegangen werden, dass umfangreiches weiteres Material für die letzten beiden Jahrzehnte noch gar nicht in den Bestand eingepflegt bzw. vorhanden ist.
Bei Beginn der Arbeiten im Oktober 2013 war der Bestand nur grob vorsortiert, wie viele andere Bestände des Archivs auch. Julia Wigger hat das Material – Zeitungsausschnitte, Petitionen, chronologisch sowie nach Regionen (Bundesländern/Städten) erfasst und unter archivarischen Gesichtspunkten neu geordnet. Dank ihrer akribischen Erfassung der Einzelfälle nach Opfern und Täter_innen/Taten ist nun auf Basis der angelegten Tabellen eine gezielte Personen- bzw. Fallrecherche in dem neu angelegten Findbuch möglich. Fälle, die sich nicht auf konkrete Personen beziehen, wurden anderen Themen/Stichworten zugeordnet, etwa Haftbedingungen, Lebenspartnerschaften („Homo–Ehe“), Polizeiarbeit (Schwulenbeauftragte) u. ä. Noch unbearbeitet sind dagegen die allgemeinen Materialien zum Thema „Gewalt“ sowie die internationalen Delikte. Noch immer harren prall gefüllte Schuber und ungesichtete Kartons der Aufarbeitung.
Aus Zeitgründen legt Julia Wigger ihr Ehrenamt nun nieder – sehr zum Bedauern der Archivleitung, die sich am Montag bei Übergabe des Bestandes mit einem weinenden Auge von ihr verabschiedete. Auf Julia wartet schon die nächste spannende Aufgabe: ein 2-jähriges Volontariat in der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen.
Foto: Julia Wigger zwischen Archivleiter Wolfgang Cortjaens und wissenschaftlicher Mitarbeiterin Kristine Schmidt, vorm neu sortierten und aufgearbeiteten Gewaltdelikte/Justiz-Archiv.