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Drucke von Jürgen Wittdorf im SMU-Archiv

31. Januar 2019

Jürgen Wittdorf (1932 – 2018)

Der Maler, Grafiker und Keramiker Jürgen Wittdorf verstarb am 2. Dezember des vergangenen Jahres in Berlin. Das Schwule Museum fühlt sich Wittdorf tief verbunden. Geboren in Karlsruhe, Schulzeit in Königsberg, beginnt Wittdorf 1952 ein Studium an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig, wo er anschließend als freischaffender Künstler tätig ist, und an der Volkshochschule und der Karl-Marx-Universität lehrt. 1970 kommt er als Meisterschüler von Lea Grundig zur Akademie der Künste nach Berlin. Nach der Wende verliert er 1991 seine Position am Haus des Lehrers, wo er über Jahre hinweg sein künstlerisches Wissen weitergegeben hat. Er muss von Sozialhilfe leben, und wie so vieles, was mit dem Leben in der DDR zu tun hat, erfährt seine Kunst wenig Wertschätzung. Eine Keramikwand am Sportforum Hohenschönhausen wird Opfer des Vandalismus‘ der Nachwendejahre. Im Schwulen Museum findet 2004 die erste Ausstellung nach 1989 zu Wittdorfs Schaffen statt, wodurch seine Wiederentdeckung eingeleitet wird. Weitere Ausstellungen folgen.

In Leipzig entstand in den sechziger Jahren Wittdorfs Zyklen Für die Jugend (1960/61) und Jugend und Sport (1963/64), aus denen sich einige Werke im Archiv des Schwulen Museums befinden. Mit Für die Jugend wurde Wittdorf in der DDR bekannt. Die Arbeiten waren zunächst nicht unumstritten, brach Wittdorf doch mit den Konventionen und stellte die Jugendlichen jenseits von mythischer Überhöhung in ihrem Wunsch nach Veränderung, nach einem eigenen Leben jenseits der deutschen Nachkriegsspießigkeit, dar. Damit traf er einen Nerv in der DDR-Gesellschaft. Andreas Sternweiler schreibt dazu 2004 in einer Ausstellungs-Broschüre fürs Schwule Museum:

„Letztendlich geht es um die Anknüpfung an Freiheiten und Lebensmodelle der Weimarer Zeit, die damals gerade von Sozialisten und Kommunisten gelebt und propagiert worden waren. Ein solch freier Lebensstil beinhaltete u.a. eine freie Sexualaufklärung, eine Befreiung des Körpers in Nackt- und Freikörperkulturgruppen, die Kameradschaftsehe und moderne Erziehungsformen. […] Die Überwindung einer veralteten Prüderie, neue Lebensmodelle und besonders eine emanzipatorische Gleichbehandlung der Frauen sollten sich in den 60er Jahren, angeregt durch die Bedürfnisse der neuen Generation, in der DDR-Gesellschaft leichter durchsetzen als in der BRD.“

Als Zeichen dieser Veränderungen kann gelten, dass die FDJ Wittdorf 1963 ihren Kunstpreis zusprach, und Für die Jugend in einer Auflage von 10.000 Stück als Grafikmappe drucken ließ.

Die erste Ausstellung zu Wittdorf im Schwulen Museum trug – wie Sternweilers oben zitierte Broschüre – den Titel Um Berührungen zu vermeiden, und drückte damit ein zentrales Thema zumindest der ersten Lebenshälfte Wittdorfs aus. „Männer berühren sich nur im Kampf“, wurde ihm in Königsberg in der Schule eingetrichtert, und das Drama seines eigenen schwulen Begehrens kulminierte für Wittdorf in der Arbeit an dem Zyklus Jugend und Sport, einer Auftragsarbeit für den Neubau der Deutschen Hochschule für Körperkultur in Leipzig. Diese Arbeiten standen dann auch im Mittelpunkt dieser Ausstellung. 2012 widmete das Schwule Museum Jürgen Wittdorf zu seinem 80. Geburtstag eine zweite Ausstellung, die ihn als „Chronist des DDR-Alltags“ zeigte, und auch in der alten Dauerausstellung am Mehringdamm war er vertreten. Es wird sicherlich nicht das letzte Mal gewesen sein, dass Wittdorfs Werk im Schwulen Museum zu sehen war.