„Kunst, Kultur und Schwul“
Ein Kulturliebhaber auf Umwegen: Christian ist als homosexueller Junge in der DDR groß geworden und hat zunächst den Traum gehegt, eine Orchester-Karriere einzuschlagen. Als das ihm durch das Schulsystem der DDR unmöglich gemacht wird, entscheidet er sich für einen anderen, aber nicht weniger künstlerischen Weg als Bühnentechniker verschiedenster Kulturhäuser. Heute ist er 55 Jahre, berentet und der längst gediente Mitarbeiter des Schwulen Museums. Wir haben gefragt, wie er zu uns gefunden hat, und haben dabei Einblicke in die Theaterszene der DDR, die Konfliktkultur des SMUs und vieles mehr bekommen.
SMU: Hallo Christian! Stell dich doch ein bisschen vor, woher kommst du und was machst du beruflich
Ich bin in Dresden geboren und aufgewachsen. 1985 hatte die Semperoper gerade wieder aufgemacht, nachdem sie saniert wurde. Und kurz darauf habe ich da dann angefangen, als Bühnentechniker zu arbeiten. Ich hab’s geliebt, dieses Umfeld, es war für mich wirklich easy. Im Theater wurde niemand dafür schlecht gemacht, schwul oder lesbisch zu sein – das war ganz normal. Jeder zweite war schwul, will ich fast schon sagen (lacht).
Hast du sonst noch andere Leidenschaften?
Ich liebe das Reisen! Nach der Lehre war ich erst mal in Osteuropa unterwegs, mit meinem damaligen Freund. Beim Trampen haben wir in Ungarn ein Ehepaar aus Hamburg kennengelernt, bei denen wir erstmal ein paar Tage gewohnt haben. Nach drei Tagen meinten sie: wir kennen da eine Stelle, wo es relativ einfach ist, die Grenze nach Österreich zu überschreiten. Mein Freund wollte es machen, und so verrückt und verliebt wie ich war, bin ich ihm gefolgt. Dabei wollte ich eigentlich nur Urlaub machen. So bin ich dann im Westen gelandet; erst in Eisenstadt, später in den Opern von Wien, Kassel und Stuttgart. Da war alles Kunst, Kultur und schwul!
Freust du dich denn auf die neue Ausstellung im Museum zu queerer Kultur in der DDR?
Die schaue ich mir auf jeden Fall an. Mich interessiert sehr die Sicht anderer Leute auf diese Zeit, ich habe ja nur meine eigene Perspektive gehabt.
Was hat dich ins Schwule Museum geführt?
1995 habe ich in Berlin im Deutschen Theater gearbeitet, bis ich mit MS diagnostiziert wurde. Das hieß mit einem Schlag war ich in Rente und hatte eine Menge Zeit. Jahre später habe ich mit meinem Partner in Kreuzberg nähe Prinzenstraße gewohnt und das war ja gar nicht so weit weg vom Mehringdamm, wo das alte Schwule Museum stand. Ich bin immer wieder mal daran vorbeigelaufen und am 6. Dezember 2004 habe ich mich reingetraut. Seitdem bin ich mit im Boot!
Zu deiner Arbeit im Museum, wie oft bist du hier und was machst du am liebsten?
Durch Corona ist einiges zusammengeschrumpft, aber vorher war ich wahnsinnig gern bei den Eventabenden tätig. Jetzt bin ich etwa zwei Mal die Woche an der Kasse, manchmal mach ich noch die Bar.
Was war denn dein schönstes Erlebnis im SMU?
Das war kurz vor dem letzten Lockdown. Da war ein junger Mann hier, der hat auch etwas sehr Emotionales in das Gästebuch vorne reingeschrieben. Der kam zu mir an die Kasse und sagte: „Es ist so toll, dass es Menschen wie euch gibt. Und wenn ich die ganzen Sachen sehe, die hier im Museum ausgestellt sind, dann erinnere ich mich wieder daran, wie viel Hintergrund das ganze hat und wie viele Menschen sich dafür eingesetzt haben, dafür dass es heute so sein kann, wie es ist.“ Der hatte wirklich Tränen in den Augen, und das von so einem jungen Menschen. Der war Anfang 20! Das war so ehrlich, wie er sich von ganzen Herzen für das bedankt hat, was wir hier leisten. Manchmal vergessen wir, wie einmalig auf der Welt das ist, was wir tun. Da kommen mir auch wieder die Tränen (lacht).
Was ist für dich so besonders am SMU, dass es dich so lange bei uns hält?
Naja, es gab zwischendurch schon eine Zeit, in der ich im Haus angeeckt bin und zu denen es Konflikte gab. Da hatte ich schon überlegt: gehst du jetzt woanders hin? Dann habe ich mir andere schwule Selbstorganisationen angeschaut und gemerkt, die sind einfach nicht wie das Museum; die haben nicht so viel Kultur, die zeigen nicht so viele persönlichen Leben. Da habe ich mich dann immer wieder entschieden, zu bleiben. Und eine Sache, die habe ich damals schon gesagt und die sage ich noch heute: in jeder Familie gibt es Streit. Das wäre absurd zu behaupten es gäbe eine Familie, in der alles friedlich abläuft. Ich habe verstanden, dass Meinungsverschiedenheiten okay sind; deswegen muss man nicht gleich die Kurve kratzen. Dieser Lernprozess war im Schwulen Museum möglich.
Gibt es für dich etwas, das du gerne am Museum verändern würdest?
Das klingt jetzt etwas scheiße, aber ich würde mir wünschen, dass man zwischen Hauptamtlichen und Ehrenamtlichen mehr kommuniziert. Mein Gedanke wäre, dass es mehr spielerischen und ungezwungenen Austausch miteinander gibt. Ich denke, das würde die essenzielle Arbeit der Ehrenamtlichen noch mehr würdigen.
Foto: Christian Skerka (Yasmin Künze)