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Ehrenamtliche*r des Monats: James Diskant

2. September 2019

„Ich wollte ein glücklicher Mann werden“

James Diskant, 63, genannt Jim, ist Historiker und in der Nähe von Philadelphia groß geworden. In den achtziger Jahren hat er Boston in Deutscher Geschichte promoviert, das Thema war die Veränderung der Betriebsrat-Arbeit in der Bergbau- und Stahl-Industrie in Dortmund von 1945 bis zum 1955. Dazu hat er in verschiedenen Archiven in Deutschland, Großbritannien und den USA geforscht und mehrere Betriebsräte und Gewerkschaftler in Dortmund interviewt. Nach der Promotion hat er lange in Boston als Geschichtslehrer gearbeitet. Im Herbst 2017 ist er nach Berlin ausgewandert und hat angefangen, einmal die Woche ehrenamtlich in der Bibliothek und im Archiv des Schwulen Museums zu arbeiten. Hier erzählt er von seiner Arbeit und ein bisschen von sich selbst.

Schwules Museum: Woher kommt dein Interesse am Schwulen Museum?

Jim: Eigentlich wollte ich einen Artikel über das Museum für eine Zeitschrift schreiben, das hat sich aber nicht ergeben. So habe ich aber einen Einblick in die Museums- und Archivarbeit bekommen und das hat mein Forschungsinteresse geweckt. Ich bin dann zunächst einmal die Woche in die Museumsbibliothek gekommen, um zu meinen eigenen Themen zu arbeiten.

Was für Themen sind das?

Ich beschäftige mich mit Menschen wie mir: Männer, die sich spät geoutet haben. Die Idee ist, über diese Männer eine Art Biografie zu schreiben.

Dürfen wir fragen: Wann hast du dich geoutet?

Das war im August 2014. Seit einem Jahr bin ich jedenfalls mit einem deutschen Mann verheiratet.

Wie bist du dann von der Forschungsarbeit in der Bibliothek zum Ehrenamt im Archiv gekommen?

Für meine eigene Arbeit bin ich ja nicht nur hier, sondern auch an anderen Bibliotheken, wo ich andere Historiker treffe. Gleichzeitig hat mich als Forscher natürlich auch das riesige Archiv des Schwulen Museums interessiert. Mit der hauptamtlichen Archivmitarbeiterin Kristine Schmidt entstand dann die Idee, dass ich sogenannte „Mixed Kisten“ aufarbeiten könnte.

Was befindet sich in diesen Mixed Kisten?

Alles und Nichts. Das können Dinge und Dokumente zu schwul-lesbischem Leben heute oder in der Vergangenheit sein. Meistens hat sie jemand dem Archiv geschenkt oder vererbt. Die Kisten müssen erstmal sortiert werden – es  gibt unendlich viele verschiedene Themen. Viele davon haben mit der Politik oder Kultur von heute zu tun. Das interessiert mich weniger. Als Historiker interessiert mich vor allem die Vergangenheit.

Was ist deine konkrete Aufgabe?

Diese Mixed Kisten müssen zuerst organisiert werden. Oft ist darin ja alles durcheinander. Anfangs habe ich mich mit Paragraph 175 und der rechtlichen Lage von Schwulen und Lesben  in den USA beschäftigt. Zu dem Thema gab es einen Bestand von über zehn nicht aufgearbeitete Kisten mit Forschungsmaterialien, die vor allem der Soziologe Jörg Hutter dem Museum überlassen hat. Die habe ich so organisiert, dass sie andere Forscher*innen nutzen können.

Wie geht man da vor?

Erstmal schaut man sich all die Mappen an und fragt: Was hat mit dem bestimmten Thema zu tun und welche Materialien gehören anderswo hin, welche sind  aus privatem Sammlungsinteresse hinein gekommen? Dazu habe ich Hutter auch persönlich kontaktiert. In diesem Fall werden wir zwei Bestände daraus machen: einen großen zu Paragraph 175 und einen kleinen Bestand, der konkret mit Hutters Doktorarbeit zu tun hat.

Kannst du das Material näher beschreiben?

Zu Paragraph 175 gibt es zum Beispiel 107 Archivmappen. Eine kleine Mappe zum Ersten Reich, dem Heiligen Romanischen Reichen, viele Mappen zu Preußen – das war sein Schwerpunkt –, etwas zum Kaiserreich, etwas zur Weimarer Republik, ein bisschen zum Dritten Reich, viel zur Bundesrepublik, wenig zur DDR. Das ist oft so, weil das meiste Material im Archiv aus dem damaligen Westdeutschland kommt.

Wie weit bist du bisher gekommen?

Ich bin gerade dabei, einen Überblick zu erstellen. Das Findbuch ist 50 Seiten lang, da sind all die Mappen aufgelistet. Das ist eine ziemlich normale Länge.

Kannst du mal einen Ausschnitt aus dem Findbuch vorlesen?

Gern. Hier geht es zum Beispiel um eine Mappe aus dem Königreich Preußen: „Alle Gesetze beschäftigen sich mich mit Sünde und Unzucht und wie sie bestraft sein sollen.“ Man beschreibt einfach in ein oder zwei Sätzen, worum es in der  jeweiligen Mappen geht.

Deine Hauptthemen sind auf der einen Seite die rechtliche Lage für schwule Männer in den USA und Deutschland und ein spätes Coming out auf der anderen. Gibt es da einen Zusammenhang?

Das ist eine offene Frage, vielleicht ist es nur ein Gefühl. In Deutschland gab es bundesweite Gesetze, in den USA war das von den Bundesstaaten abhängig. Ich glaube, in den USA spricht man weniger über den Einfluss bestimmter Gesetze, in manchen Regionen ist dort wahrscheinlich die Prägung durch Religion wichtiger, durch die puritanische Geschichte etwa. In Deutschland thematisiert man die Gesetzgebung viel mehr, obwohl sie seit 1969 immer mehr an direktem Einfluss auf schwule Männer verloren hat.

Wenn dir die Frage zu persönlich ist, musst du nicht antworten. Wieso hast du dich so spät geoutet und wie kam es letztlich dazu?

Interessante Frage. Ich habe zwei erwachsene Kinder und war fast zwanzig Jahre mit einer Frau verheiratet – es war eine unglückliche Ehe. Trotzdem war ich immer treu. Nach der Trennung habe ich eine komische Erfahrung gemacht. Bei einer Fortbildung dachte ich, dass ein junger Mann mit mir geflirtet hat. Wir haben uns viel über unsere Identitäten ausgetauscht. Am Ende der Woche habe ich ihm gesagt, dass ich schwul bin. Ich denke, es war einfach die richtige Zeit, es mir auch selbst einzugestehen. Ich wollte ein glücklicher Mann werden.

Hat deine persönliche Geschichte etwas mit der Forschung zu tun, die du im Schwulen Museum machst?

Ja, natürlich. Vor zwei Jahren habe ich eine große Reise gemacht, wo ich meinen Mann kennengelernt habe. In dieser Zeit habe ich viel gelesen und verstanden, was mir wichtig ist und was das mit Wissenschaft zu tun hat. Ich bin Wissenschaftler. Es gibt Menschen, die gehen viel in Kneipen und erfahren dort etwas über sich. Ich auch. Aber das meiste finde ich in Büchern.

Foto: L* Reiter