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Ehrenamtliche*r des Monats: Jeannot Freitag

1. Dezember 2019

Interview mit Jeannot

Jeannot Freitag, 27, ist in Hamburg aufgewachsen und nach seinem Studium der Soziologie und Geographie in Großbritannien und den Niederlanden nach Berlin gezogen. Im Interview erzählt er von der queeren Community in Amsterdam, der Bedeutung von Ehrenamt für die Bewegung und was die unterschiedlichen Generationen im Schwulen Museum voneinander lernen können.

 

„Es ist echt bewegend, welchen Stellenwert ehrenamtliche Arbeit in der queeren Community hat.“

 

SMU: Magst du dich vielleicht kurz vorstellen: Wer bist du? Was machst du so?

Jeannot: Ich bin 27 Jahre alt und komme ursprünglich aus Hamburg, habe aber viel im Ausland gelebt. Bis vor Kurzem habe ich Geographie im Master studiert, das Studium aber ohne Abschluss beendet. Momentan versuche ich dieses Erlebnis in eine wertvolle Erfahrung umzubauen, aus der ich vielleicht sogar neue Kraft ziehen kann.

 

Du warst viel im Ausland. Wo warst du denn da unterwegs?

Direkt nach meinem Abitur habe ich mich entschieden meinen Bachelor in Großbritannien zu machen, da habe ich dann knapp 3 Jahre gelebt. Das war schon eine große Umstellung, vor allem wenn man ganz auf sich allein gestellt ist. Vor 3 Jahren habe ich dann meinen Master in Amsterdam angefangen. Insgesamt war es eine sehr bereichernde Zeit in der ich viele Menschen kennengelernt und mich sehr weiterentwickeln konnte.

 

Wieso hat es dich doch wieder nach Deutschland zurück verschlagen?

Teil meines Masters in Amsterdam war ein Auslandssemester. Ich habe mich dann entschieden dieses in Berlin zu absolvieren. Wahrscheinlich schon mit dem Hintergedanken, dass ich vielleicht bleibe.

 

Was hat denn die Stadt, sodass du da hängen geblieben bist?

Ich habe Freunde in Berlin und fand Berlin immer schon eine aufregende Stadt. Hier habe ich mich immer sehr frei gefühlt. Generell ist queere Kultur hier viel sichtbarer als in anderen Städten, in denen ich bisher gelebt habe. Hamburg kam mir bereits während meiner Jugend irgendwie altbacken vor.

 

Gibt es in Berlin noch Orte oder Gruppen, die für dich immer noch etwas Aufregendes haben? Es hat ja immer etwas Besonderes, wenn man nicht dort wohnt.

Spontan fällt mir der Sonntags-Club ein, wo ich ein paar Monate lang abends im Café ehrenamtlich gearbeitet habe. Der Sonntags-Club hat ein sehr breites Angebot für LGBTI+ Menschen, von Beratungen bis hin zur gemeinsamen Freizeitgestaltung. Das Café, was dort täglich um 18 Uhr öffnet, ist für viele Menschen so etwas wie eine Art zweites Wohnzimmer, die Atmosphäre ist dort total entspannt und freundlich, auch hinter der Bar. Das hat mir immer sehr gefallen! Leider habe ich dann irgendwann gemerkt, dass mir Nachtarbeit nicht so liegt, deshalb habe ich dort aufgehört. Den Laden mag ich aber immer noch, bin dann aber schlussendlich hier im Schwulen Museum gelandet.

 

Wie genau bist du denn hier gelandet?

Nachdem ich beim Sonntags-Club aufgehört hatte, wollte ich mich wieder irgendwo ehrenamtlich engagieren, weil mir das sehr wichtig ist. Ehrenamtliches Arbeiten hat besonders in der queeren Community eine lange und wichtige Geschichte. Viele Projekte wurden allein durch das Ehrenamt aufgebaut und am Leben gehalten. Das Schwule Museum war mir schon vorher ein Begriff, vor allem weil Menschen die ich aus Amsterdam kannte hier Aufführungen hatten oder sogar in Ausstellungen zu sehen waren. Schon lustig, wie die Fäden hier zusammenlaufen.

 

Was machst du hier?

Zuerst war ich in der Bibliothek, weil dort der Bedarf an zusätzlicher Verstärkung einfach am größten war. Leider kann ich mich in den Bibliotheksdienst nicht mehr so einbringen, weil ich momentan andere Verpflichtungen unter der Woche habe. Da ich aktuell nur am Wochenende im Schwulen Museum sein kann, trifft man mich jetzt vorwiegend am Empfang oder als Aufsicht in der Ausstellung.

 

Hast du noch Kontakt zur Amsterdamer Community?

Auf jeden Fall! Mein ganzes soziales Umfeld ist quasi noch in Amsterdam. Als ich noch dort gelebt habe, war ich stark in der queeren Szene involviert. Insgesamt hat Amsterdam eine sehr lebendige und unglaublich aktive Community, vielleicht nicht so groß wie in Berlin aber dafür doch ein bisschen familiärer. Man kennt sich nach einer Weile einfach. Die Hotspots für queere Subkultur in Amsterdam sind vor allem das Trut und das Vrankrijk, beides Orte wo ich unglaublich viele wunderbare Menschen kennengelernt habe.

 

Spielt diese Community auch eine Rolle bei deinem Vorhaben, dein nicht beendetes Studium zu einer positiven Erfahrung zu machen?

Erstmal ist Scheitern etwas echt Hartes. Man wird ganz schön rausgeworfen aus dem Leben. Davor ist bei mir alles ziemlich geradlinig verlaufen. Alles was ich mir vorgenommen hatte, hat bisher auch irgendwie geklappt. Nun ist es das erste Mal in meinem Leben, dass ich so etwas in der Form erlebt habe. Das ist echt nicht einfach.

Meine Community, meine Freunde – vor allem in Amsterdam – haben mich dabei sehr unterstützt. Da wurde ich stark daran erinnert, dass Freunde ein echter Ankerpunkt sein können, vor allem wenn etwas im Leben auf einmal in die Brüche geht. Das war sehr aufbauend. Meine Tätigkeit im Schwulen Museum ist vielleicht auch ein Beispiel dafür, wie ich versuche neue Bezugspunkte in meinem Leben zu setzen. Trotzdem muss ich mit dieser Erfahrung erst einmal richtig klarkommen. Hauptsache man macht was!

 

In welche Richtung könnte es denn gehen?

Leider kann ich mich alleine durch Ehrenamt nicht ernähren. Daher werde ich mich natürlich auch in anderen Bereichen jetzt umschauen müssen. Aber trotzdem ist das Ehrenamt ja etwas total Wichtiges, man sieht es ja auch hier im Museum. Ohne Ehrenamt würde hier gar nichts laufen.

 

Der Laden würde flach liegen.

Ja, tatsächlich! Unten in der Ausstellung wird der Museumsbetrieb praktisch alleine von Ehrenamtlichen getragen, die Bibliothek zu großen Teilen. Es ist sehr schön, dass vonseiten der Leute, die hier bezahlt arbeiten, eine große Wertschätzung für die Ehrenamtlichen spürbar ist! Im Schwulen Museum ist es wirklich ganz anders als in einem kommerziellen Betrieb, wo man als Praktikant schon manchmal merkt, dass man sehr weit unten in der Hierarchie steht. Vielleicht hat dies auch mit der Geschichte des Engagements in der queeren Kulturbewegung zu tun. Die ersten queeren Projekte waren ja alle ehrenamtlich. Da wurde ja niemand dafür bezahlt.

 

Da hatte niemand Kohle und alle haben trotzdem Geld und Arbeit reingesteckt.

Genau. Das ist ja das Coole. Überleg mal, die AIDS-Krise in den frühen 80ern, als es vor allem Männer und Transfrauen waren, die dort reihenweise an HIV gestorben sind. Mir wurde mal von eine*r Freund*in in Amsterdam erzählt, wie sich Menschen aus der lesbischen Community in New York damals um die sterbenden Männer gekümmert haben, weil niemand anderes es getan hat, natürlich alles unbezahlt. Das ging mir wirklich unter die Haut. Es ist echt bewegend, welchen Stellenwert ehrenamtliche Arbeit in der queeren Community hat. Wie sich unterschiedliche Menschen zusammenfinden, um Sachen füreinander und miteinander zu machen. Das ist schon etwas Besonderes.

 

Ja, krass! Hast du noch Themen, die dich beschäftigen?

Ich denke, das Schwule Museum hat eine sehr interessante Geschichte. Es wurde zwar von schwulen Männern initiiert, aber heute gibt es alle möglichen Menschen, die sich einbringen und unter dem Namen „Schwules Museum“ zusammenarbeiten. Die Ausstellungen reflektieren das auch bereits sehr stark, aber das verdient vielleicht noch mehr Sichtbarkeit. Ich fände es ganz charmant, wenn man vielleicht mal überlegt, den Namen zu ändern. Das sage ich als schwuler Mann, weil ich denke, dass diese Menschen auch Sichtbarkeit in dem Namen dieser Institution verdienen. Viele Leute, die nicht so vertraut sind mit unseren internen Debatten gehen hier draußen vorbei und denken sich, es ist ne schwule Kiste. Was es auch ist, aber halt nicht nur. Ich finde, man spricht dann auch nicht so viele Menschen aus der Community an, die sich nicht als schwul identifizieren. Wie der Name dann aussieht? Keine Ahnung. Das müssen wir alle gemeinsam entscheiden, aber das wäre doch mal was Schönes.

 

Wie ist denn der Umgang in der Community mit Gewalt, Diskriminierung, aber auch mit Privilegien?

Das ist sehr schwierig. Es ist leider nicht selbstverständlich, eigene Privilegien zu nutzen, um marginalisierte Gruppen und ihre Themen mehr den Mittelpunkt zu rücken. In der LGBTI+-Community gibt es da relativ viel Awareness, aber leider auch einiges an Ignoranz. Als Reaktion auf das Verhalten mancher Cis-Männer in der Community gibt es zum Beispiel vermehrt FLTI-only-Veranstaltungen. Ich finde das richtig, aber zugleich auch schade, weil der Community-Gedanke dadurch verloren geht. Da kommt einfach zu wenig aus der weißen Cis-Schwulen-Community. Denn genau da muss die Initiative herkommen, wenn das Problem angegangen werden soll.

Das große Potenzial im Schwulen Museum ist ja auch, dass sich die verschiedenen Generationen in der LGBTI+-Community gegenseitig etwas beibringen können. Und da sage ich ganz bewusst nicht, dass nur die Älteren etwas von den Jüngeren lernen können. Es gibt viele Sachen, zu denen wir jungen Menschen gar keinen richtigen Bezug mehr haben: In den 80ern gab es die AIDS-Krise und niemand außerhalb der Community, die es vorwiegend betroffen hat, interessierte sich dafür, heute kriegen wir PrEP von der Krankenpasse bezahlt. Wir sollten den Alten in der Community mehr Wertschätzung entgegenbringen finde ich. Jeder hat irgendwie eine aufregende Geschichte, die es wert ist erzählt zu werden.