Lotte Laserstein (1898–1993) zählt zu den herausragenden Realistinnen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Nachdem die Berliner Malerin wegen ihrer jüdischen Abstammung in der NS-Zeit Deutschland 1937 verlassen musste, geriet ihr OEuvre hierzulande aus dem öffentlichen Fokus. Erst in jüngerer Vergangenheit hat das öffentliche lnteresse an ihren Arbeiten wieder zugenommen, auch dank der großen Retrospektive Lotte Laserstein. Meine einzige Wirklichkeit, die 2003 im Ephraim-Palais in Berlin stattfand.
Das Schwule Museum* möchte durch den von der Ernst von Siemens-Kunststiftung, der Kulturstiftung der Länder und der Stiftung Preußische Seehandlung großzügig geförderten Erwerb der Laserstein-Ölstudie Weiblicher Rückenakt von ca. 1956 ein Signal setzen und auf die Ausweitung seines Sammlungsschwerpunkts verweisen. Neben der Auseinandersetzung mit männlicher Homosexualität legt das Museum seit einigen Jahren verstärkt den Akzent auf andere nichtkonforme Geschlechtsidentitäten und sexuelle Orientierungen, wobei gerade weibliche und lesbische Lebenswelten eine wichtige Rolle spielen.
Zeit ihres Lebens warf Lotte Laserstein einen selbstbewussten Blick auf das gesellschaftlich konstruierte Verständnis von Weiblichkeit. Auch in ihren Selbstbildnissen hinterfragte Laserstein vorherrschende Gendernormen. Oft reflektierte sie dabei ihre eigene Stellung als Künstlerin in einer ännlich dominierten Umwelt. In der bildmäßig ausgeführten Ölstudie Weiblicher Rückenakt ist die Malerin nur durch ihr Attribut, die Staffelei, anwesend. Im Vordergrund platziert sie ihr langjähriges Modell ‚Madeleine‘, die aus Deutschland emigrierte Ökonomin Margareta Jaraczewsky, die sie 1939 in Stockholm kennenlernte und die sie während des Exils in ihrer Wahlheimat Schweden häufig porträtierte. Die Künstlerin selbst bleibt ebenso eine Leerstelle wie das weiße Blatt Papier in Madeleines Hand. Ob die Verbindung von Malerin und Modell über eine platonische Freundschaft hinausging, ist in der Forschung umstritten.
Der Rückenakt ist eine der eher seltenen freien Arbeiten aus Lasersteins ersten beiden Jahrzehnten in Schweden. Diese „für sich gemalten Bilder“ stellten ein notwendiges Gegengewicht zum fremdbestimmten „Malen fürs Lebensbrot“, wie Laserstein es nannte, dar. Das kleinformatige Bild gehört in den Kontext mehrerer Vorstudien zu dem verschollenen Gemälde Malerin und Modell (1956), das durch Werkfotos dokumentiert ist und in dem Madeleine ebenfalls als verführerischer Rückenakt eingefangen ist.
Das Schwule Museum* dankt allen drei Zuwendungsgebern für die großzügige Unterstützung. Auch den Kolleg_innen, die durch ihre Gutachten zum glücklichen Gelingen des Ankaufs beigetragen haben, darunter Guido Fassbender von der Berlinischen Galerie, Dr. Felix Krämer vom Städel Museum in Frankfurt am Main und last not least die Laserstein-Expertin Anna Carola Krausse, Kuratorin der oben genannten Berliner Retrospektive und Verfasserin des ersten Werkverzeichnisses von Lotte Laserstein, sei ausdrücklich für ihre Unterstützung des Ankaufsvorhabens gedankt.
„Werke der Berliner Malerin Lotte Laserstein begleiten die Ernst von Siemens Kunststiftung nun schon seit längerer Zeit. Nach den Erwerbungen der Gemälde Abend über Potsdam für die Nationalgalerie und Selbstbildnis an der Staffelei für die Stiftung Stadtmuseum Berlin, ist es jetzt die Ölskizze Weiblicher Rückenakt, die zukünftig die Sammlung des Schwulen Museums* bereichert. Das Werk für die Öffentlichkeit zu sichern war ein besonders wichtiges Anliegen, zumal es sich hier um die qualitätsvolle Skizze zu dem verschollenen Gemälde Malerin und Modell von 1956 handelt. Nun soll der Rückenakt im Schwulen Museum* an die virtuosen Fähigkeiten dieser lange Zeit vergessenen Künstlerin erinnern“, freut sich Dr. Martin Hoernes, Generalsekretär der Ernst von Siemens Kunststiftung.
„Mit der Erwerbungsförderung von Lotte Lasersteins Rückenakt verbindet sich unser Engagement für die Künstlerin und das Schwule Museum* auf besonders schöne Weise: Bereits 2008 trug die Kulturstiftung der Länder mit dem Ankauf der Sammlung des Museumsmitbegründers Dr. Andreas Sternweiler zum festen Bestand des Hauses bei. In der 2015 geförderten Schau Homosexualität_en zeigte das Schwule Museum* erstmals ein Werk Lasersteins. Wir freuen uns nun sehr, die Erweiterung des Sammlungsschwerpunkts auf weibliche Lebenswelten zu unterstützen und zugleich eine vergessene Berliner Künstlerin ins öffentliche Bewusstsein zurückzuholen.“ Prof. Dr. Frank Druffner, kommissarischer Generalsekretär der Kulturstiftung der Länder Der Ankauf der Ölstudie von Lotte Laserstein ist seit dem ebenfalls von der Kulturstiftung der Länder anteilig geförderten Erwerb der Sammlung Sternweiler in 2008 die allererste Neuerwerbung des Schwulen Museums* überhaupt. Der Kontakt zum Anbieter, dem auf Laserstein spezialisierten schwedischen Galeristen Mikael Amnell, und die Überzeugungsarbeit bei den Zuwendungsgebern und Gutachter_innen verdanken sich dem Einsatz des Archiv- und Bibliotheksleiters Dr. Wolfgang Cortjaens. Die feierliche Übergabe und erstmalige Präsentation des Bildes findet im Rahmen der Interims-Dauerausstellung Tapetenwechsel statt.