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Mascha Linke über Transfeminismus, am Schwulen Museum und darüber hinaus

1. November 2025

Vom Praktikum im Schwulen Museum bis zur internationalen Konferenz: Mascha Linke bewegt sich zwischen Theorie, Aktivismus und Lehre. Im November, zum Trans Day of Remembrance, sprechen wir mit Mascha über Transfeminismus – und warum er nicht nur für trans Frauen, sondern für feministische Bewegungen insgesamt wichtig ist. Ein Gespräch über Wissenschaft, Archive und darüber, wie transfeministische Perspektiven fehlende Zusammenhänge sichtbar machen.

 

Yasmin: Wow, welche Schönheit entzückt mein Auge (beide lachen); stell dich uns bitte vor!

Mascha: Ich heiße Mascha Linke und bin Master-Studentin der Ethnographie an der Humboldt-Universität zu Berlin. In und außerhalb der Uni doziere, schreibe, forsche und veröffentliche ich zu Themen rund um Transfeminismus, feministische Theorie und queere Theorie.

Warum kennen wir uns, Mascha?

(lacht) Wir beide haben uns 2022 kennengelernt – damals war ich noch ein unscheinbares Mädchen und Praktikantin der Presse und Öffentlichkeitsarbeit im Schwulen Museum… Und du warst meine Vorgesetzte!

Und wie war das für dich, jetzt ganz persönlich?

Beste Zeit meines Lebens!

Checke ich! Zum Ende deines Praktikums haben wir auch ein Interview geführt, da hast du über Archivmaterial gesprochen, das sich mit DIY-Transitionen in den 1970-ern auseinandersetzt. Was hat sich seitdem verändert?

Das ist eine gute Frage! Ich habe in dem Interview zum Beispiel über die Entwicklung der trans Gesundheitsversorgung gesprochen. Wenn wir uns die Lage von heute angucken, steht und stand diese vor allem in den letzten drei Jahren global massiv unter Beschuss. In dem Interview ging es auch um das sogenannte Transsexuellengesetz. Ich habe ein Jahr später mit dir eine Kurzvideo-Kampagne mit dem süßen Namen „Bye Bye, TSG“ veröffentlicht, auch für das Schwule Museum. Ein sogenanntes Selbstbestimmungsgesetz wurde mittlerweile verabschiedet, wobei die jetzige Bundesregierung immer wieder droht, es restriktiver zu machen … Einiges los, vieles davon besorgniserregend!

Erzähl uns bitte mehr von den weniger besorgniserregenden Ereignissen!

Gerne! Zum Beispiel durfte ich dieses Sommersemester für die Humboldt-Universität zum Thema Penetration dozieren. „Going Deeper: Feministische, queere und trans Perspektiven auf Penetration“ hieß dieser Kurs. Symbolisch steht das auch dafür, wie sich mein Arbeitsschwerpunkt in den letzten Jahren entwickelt hat: Ich habe viel mit feministischen, queeren und trans Theorien gearbeitet, und im Motiv der Penetration haben sich viele dieser Ansätze gebündelt.

Tatsächlich bist du auf den Straßen als sogenannte Academic Weapon bekannt; wie gestaltet sich der Alltag für dich, als junge trans Frau, in der Wissenschaft?

Als ich meine Bachelorarbeit im Feld der Trans Studies geschrieben habe, ist mir direkt aufgefallen, dass es einen eklatanten Mangel an Auseinandersetzungen zu Transgeschlechtlichkeit in den deutschsprachigen Kultur- und Sozialwissenschaften gibt. Dieser Zustand hat im Endeffekt dazu geführt, dass ich Räume, wie die der Projekttutorien oder der transdisziplinären Tagung „Transfeminismus“, eben selber organisiert habe. Zusammen mit Luana Pesarini und Louka Maju Goetzke haben wir diese Konferenz im Juni am Cornelia Goethe Zentrum in Frankfurt am Main auf die Beine gestellt. Das war uns wichtig, um aktuellen Debatten eine Bühne zu bieten und auch die Möglichkeit zu geben, kontemporäre Stimmen zusammenzubringen. Für eine progressive Wissenschaft empfinde ich es als Verantwortung, eigene Ressourcen zu sammeln und Räume zu schaffen, in denen mit neuen Impulsen über bestehende soziale Ungerechtigkeiten gesprochen wird.

Inwiefern unterscheidet sich transfeministische Theorien vom klassischem Queerfeminismus oder den Gender Studies?

Lass mich vorwegnehmen, dass der Transfeminismus kein Begriff ist, der von einer bestimmten Gruppe gekapert wird; es gibt viele verschiedene transfeministische Bewegungen. Für mich geht es im Transfeminismus um die Theoretisierung der Lebensverhältnisse von transfemininen Menschen und trans Frauen. Klar sind innerhalb dieser Gruppierungen Menschen unterschiedlich in vergeschlechtlichte Systeme eingebettet: Es gibt keine universelle transfeminine Lebensrealität. Aber dass wir in diesen Geschlechtersystemen leben, betrifft uns alle, sowohl in als auch jenseits von trans Feminität. Insofern sind transfeministische Auseinandersetzungen relevant für einen breiten Feminismus. Jetzt gibt es zum Beispiel die Gender Studies, die im Zuge der 80-er und 90-er Jahre entstanden sind. Gerade im letzten Jahrzehnt des Millenniums haben viele Menschen, die in den Gender Studies geforscht haben, Positionen in der Wissenschaft bekommen und Studiengänge wurden eingeführt – die Gender Studies wurden institutionalisiert. Es gab große, wichtige Arbeiten, die sich auch mit trans Frauen auseinandergesetzt haben; ich denke an Judith Butlers „Bodies That Matter“. In queer-theoretischen Ansätzen wird die Gewalt gegenüber Transfeminität allerdings lediglich auf die Transgression des Sex-Gender-Systems reduziert; also einer Grenzüberschreitung des sogenannten biologischen Geschlechts und kulturellen Geschlechts. Zu dieser Darstellung gab es dann Kritiken, welche ich jetzt beispielsweise in den Transfeminismus situieren würde: es wird kritisiert, dass die materiellen Lebensrealitäten von trans Frauen verkannt werden und es sich nicht nur um eine simple Überschreitung des Sex-Gender-Systems handelt – sonst würden trans Männer auf die gleiche Art stigmatisiert werden wie trans Frauen! Wie Transfeindlichkeit für trans Männer und trans Frauen aussieht, ist ja unterschiedlich. Darum legt eine transfeministische Kritik den Fokus auf materielle Verhältnisse, wie zum Beispiel die prekarisierenden Umstände auf dem Arbeitsmarkt, welche zur Folge haben, dass viele trans Frauen in die Sexarbeit gezwungen und schließlich noch mehr stigmatisiert werden und wurden.

An der Universität Innsbruck hast du vor kurzem auch zu materialistisch-feministischen Perspektiven auf Gewalt gesprochen – warum ist das im feministischen Kontext wichtig?

Naja, gerade beim Thema der transmisogynen Gewalt finde ich einen materialistischen Ansatz wichtig, weil mit dieser Perspektive deutlich wird, dass nicht die Transfeminität an sich der alleinige Grund für Gewalt ist, sondern die Art wie Transfeminität in gelebte Realitäten eingebettet ist. Wir wissen zum Beispiel, dass nicht-weiße trans Frauen und trans Sexarbeiter*innen besonders vulnerabel sind. Eine materialistische Analyse guckt sich dann an, welche lebensweltlichen Verhältnisse diese Vulnerabilität kreieren, die letzten Endes in Gewalt und auch Mord münden. Das ist eine wichtige Perspektive!

Fallen dir mehr Beispiele dafür ein, wie eine trans Perspektive feministische Räume erweitern kann?

Ich denke oft über das Thema der Betroffenheit nach… Jedes Jahr am 8. März die gleiche Diskussion: heißt es Frauentag? Heißt es feministischer Kampftag? Oder doch FLINTA-Tag? Feministische Bewegungen stellen sich immer wieder die berechtigte Frage: für wen machen wir das ganze hier eigentlich? Transfeministische Arbeiten haben gezeigt, dass rigide Vorstellungen von der Betroffenheit von Misogynie und Sexismus nicht nur schädlich sind, sondern auch einfach nicht Stand halten. Auch hier wird die Gewalt verkannt, der manche Menschen ausgesetzt sind, die man nicht unter einem hegemonialen Begriff der Frau fassen würde. Diese Frage hat mich jetzt auch wieder in der Auseinandersetzung mit Penetration beschäftigt, weil über die Penetration bestimmte Körper feminisiert und abgewertet werden – jenseits von cis Feminität! Das fängt bei kolonialen Vorstellungen von einem unbefleckten fremden Land an, in das es einzudringen und das zu erobern gilt, und zieht sich bis in kontemporäre Vorstellungen von Bottomhood.

Welche Autor*innen, Künstler*innen oder Aktivist*innen hast du auf dem Schirm, die wir vielleicht auch auf dem Schirm haben sollten?

Jules Gill-Peterson schreibt extrem gute Texte; ich würde vor allem „A Short History of Trans Misogyny“ empfehlen. Dann auch den Sammelband „Feminism Against Cisness“, herausgegeben von Emma Heaney. Zuletzt vielleicht noch ein historisches Buch, das ich schon anspruchsvoll finde, aber das mich in meinem Denken sehr geprägt hat: „Black on Both Sides – A Racial History of Trans Identity“ von C. Riley Snorton… Naja, und wer seinen Instagram Feed noch etwas transfeministisch aufladen will, kann mir reinfolgen, unter @peerreviewedsiren (lacht)

Du hast Recht, zurück zu dir! In deinem Seminar „Going deeper“ geht es um Penetration, nicht als sexueller Akt, sondern als sozio-kultureller Komplex. Wie kommt man auf so eine Idee?

Angefangen hat das damit, dass ich widersprüchliche Zuschreibungen von Penetration mit trans Frauen interessant fand:  Einerseits werden sie krass hypersexualisiert und auf zu penetrierende Objekte reduziert, gleichzeitig werden sie in TERF-Rhetoriken als penetrierende Gefahr dämonisiert. Es entstand ein roter Faden, der sich dann entlang des Phänomens der Penetration zog – den musste ich mit der Welt teilen! Mir geht es wirklich nicht um den sexuellen Akt, sondern um die kulturelle Aufladung dieses Akts. Wie dieser Körper unterwirft, abwertet und feminisiert; gleichzeitig aber auch als Moment der Aneignung und Emanzipation genutzt werden kann.

Das Seminar war eine Kooperation mit dem Schwulen Museum – welche Rolle hat das SMU-Archiv in dem Projekt gespielt?

In dem Reifeprozess des Nachdenkens für dieses Seminar habe ich natürlich hier und da mal das Schwule Museum besucht. In der Ausstellung „Young Birds from Strange Mountains“ zu südostasiatischer Kunst ist mir das Thema wieder in Edas Arbeit mit dem riesengroßen Penis begegnet. Ich habe mich dann nach weiterem Material umgesehen und bin schnell zum Entschluss gekommen, dass ich mit dem Schwulen Museum Studierende dazu animieren kann, mit Objekten zu denken. Ich finde es so wichtig anzufangen, die Ausdruckskraft von Objekten zu verstehen und zu nutzen. Es gibt oft die Vorstellung vom Archiv als Ort voller toter Gegenstände. Diese Sachen sind aber ja ein Ausdruck von Lebensrealitäten, von Verhältnissen und gesellschaftlichen Zuständen! Mein Ziel war es, die Studierenden dazu zu bringen, mit einem bestimmten Blick – also durch den der Penetration – Geschlecht zu denken. Für viele war das ein neuer Blick, weshalb das Arbeiten mit den Objekten im SMU wichtig war, um diese Linse auszuprobieren und gegebenenfalls auch zu verwerfen! Darüber hinaus war es mir aber auch ein Anliegen, den Studierenden das Arbeiten mit Archiven nahezulegen. Ich wollte vermitteln, was es für ein Arbeitsumfang ist, damit zu arbeiten; und das macht das Schwule Museum einfach ganz wunderbar! Das Archiv im Schwulen Museum hat ein tolles Bildungsangebot, das es möglichst vielen Menschen ermöglichen will, mit dem Archiv zu arbeiten. Es ist als Bewegungsarchiv auch so angedacht, für eine breite Öffentlichkeit zugänglich zu sein! Was ich auch am SMU mag, ist die Selbstkritik, die es an diesem Bewegungsarchiv übt: Klar wollen wir Erinnerungen festhalten, die sonst verloren gehen würden. Das heißt aber nicht, dass es darin keine Machtverhältnisse gibt oder Ungerechtigkeiten reproduziert werden. In den letzten drei Jahren hat sich zumindest im Output über das Archiv viel getan; allein Tareks Publikation „Nicht die Ersten“… Im Rahmen des Seminars werden auch Kurzvideos erarbeitet, die sich kreativ mit dem Komplex auseinandersetzen wollen. Diesen Prozess haben wir ja mit dir, Yasmin, auch mit einem Workshop begleitet. Das SMU war ein breitaufgestellter Kooperationspartner für den Kurs!

Wie haben die Studierenden auf das Thema reagiert, auch hinsichtlich der Möglichkeit, visuell dazu zu arbeiten?

Mit großem Interesse! In meiner ersten Sitzung saßen 40 Personen, obwohl der Kurs für eine deutlich kleinere Gruppe konzipiert war. In der Auseinandersetzung habe ich dann aber auch gemerkt, dass Penetration ein tabuisiertes Thema ist: die Studierenden waren vorsichtig, haben sich langsam an den Raum herangetastet und geschaut, wie wird hier überhaupt gesprochen. In Bezug auf die Videoarbeiten habe ich schon eine Einschüchterung gemerkt, vielleicht auch ein Respekt. Die Arbeiten sollten auf dem Archivmaterial des SMUs und der individuellen Recherchen basieren. Ich finde diese Einschüchterung normal, gerade wegen dem Status von Archiven als unantastbar. Mit der Zeit sind dann aber wirklich kreative Ideen entstanden, auf deren Realisierung und Veröffentlichung wir aber noch ein bisschen warten müssen. Für mich war es sehr schön, diesen Prozess zu beobachten.

Es bleibt spannend! Was steht jetzt für dich an?

Ich mache erst mal in aller Ruhe mein Auslandssemester an der New York University fertig. 2026 bin ich wieder zurück in Berlin, und ich bin mir sicher, ich komme mit neuen Ideen! Das Schwule Museum wird von diesen nicht verschont bleiben!

Wir freuen uns drauf!

 

Interview & Foto: Yasmin Künze