burger Button

Mehrdimensional Kuratieren: neo seefried über Eberhardt Brucks, queere Zeitlichkeiten und Überfülle als Communityersatz

3. Februar 2025

Wer war Eberhardt Brucks? Und was hatten Faschingsbälle in den 1950er Jahren mit aktueller queerer Clubkultur zu tun? neo seefried hatte sich Anfang 2024 für die Kuration einer Ausstellung über die größte biografische Sammlung des Schwulen Museums beworben, sich durch eine Unmenge an Hinterlassenschaften gearbeitet und in kurzer Zeit ein komplexes und überraschendes Bild eines schwulen Lebens im 20. Jahrhundert gezeichnet, das überraschende Bezüge zu heutigen queeren Lebensfragen herstellt.

Hallo neo, ich freue mich sehr auf dieses Gespräch, weil wir bisher ganz selten kuratierende Menschen, die mit uns zusammenarbeiten, vorgestellt haben. Deshalb vielleicht mal eine ganz blöde Frage vorweg: Wie kommt man eigentlich zum Kuratieren?

Oh, es gibt viele Wege zum Kuratieren. Manche Leute sagen einfach: Ich kuratier jetzt! (beide lachen). Meiner war eine normative akademische Herangehensweise mit einer Ausbildung in dem Bereich. Ich habe im Bachelor „Außerschulische Kunstpädagogik“ studiert, dann aber gemerkt, ich will nicht nur Workshops machen oder nur in der Vermittlung arbeiten, also habe ich noch einen Master gemacht in Zürich, der nennt sich „Curatorial Studies“. Ich habe also einen akademischen Abschluss im Kuratieren.

Respekt! Deine Ausstellung, die gerade erfolgreich im Schwulen Museum läuft, ist „Strategien der Resilienz – Einblicke in das Leben von Eberhardt Brucks“. Für uns eine neue Erfahrung: Niemand ist mit dem Thema zu uns gekommen, sondern wir haben die Kuration dafür ausgeschrieben und du hast mit deinem Konzept überzeugt. Kanntest du das Schwule Museum schon, kanntest du vielleicht sogar schon die biografische Sammlung Brucks?

Das Schwule Museum kannte ich schon eine ganze Weile, eine Ausstellung dort war für mich sehr prägend: „HIV Stories – Living Politics“ (2019). Da war ich sehr lange drin und habe gemerkt, dass ich ein vertieftes Interesse an Archivmaterialien habe, wenn es um queere Lebensrealitäten geht. Vorher habe ich mich eher mit gegenwärtigen queeren Lebensrealitäten beschäftigt, aber jetzt konnte ich mich mal mit jemanden beschäftigen, der nicht mehr lebt, bei dem wir auf ein ganzes Leben zurückgreifen können. Der Open Call wurde mir von mehreren Leuten weitergeleitet mit den Worten: Hey, das ist doch das Richtige für dich! Und ich so: Ah ja? Ok, dann mach ich das! (lacht).

Was sind so Themen gegenwärtiger Queerness, mit denen sich deine bisherigen Ausstellungen beschäftigt haben?

Viele Berührungspunkte von Subkultur, Nachtleben und Clubkultur. Aber auch Fragen wie: was bedeutet es eigentlich, queerer Körper oder queere Person in unserer Zeit zu sein? Und was sind dabei die alltäglichen Auseinandersetzungen. Auch dieses Resilienz-Thema, das jetzt bei der Brucks-Ausstellung auftaucht, was ich vielleicht vorher eher als „Widerständigkeit“ oder „Reibungspunkte“ bezeichnet habe, interessiert mich: die Friktion und Spannungsfelder von normativer Gesellschaft und queerem Widerstand.

Ist „Resilienz“ nicht ein ziemlich akademischer Begriff?

Ultra! Aber seit Corona ist vielen Menschen der Begriff gängig, und ich hatte das Gefühl, viele Leute haben actually schon Bezugspunkte dazu. Und ich glaube, dass „Queer Resilience“ im Englischen anders verhandelt wird, „Queere Resilienz“ kennen wir vielleicht im Deutschen so noch nicht. Ich habe lange überlegt, ob ich einen solch akademischen Begriff verwenden soll, aber z.B. das Wort „Widerstand“ in Bezug auf jemanden zu verwenden, der Teil des NS war – kann man so nicht machen!

Dann reden wir doch mal über Eberhardt Brucks, den du irgendwann nur noch beim Vornamen genannt hast…

… Ebi!

…ja, wie einen guten alten Freund. Ein Künstler, der dem Schwulen Museum 2008 seine Wohnung überlassen hat, mit einer Überfülle an Material, das wir mal wieder ausstellen und neu kontextualisieren wollten. Kanntest du Eberhardts Geschichte vorher?

Ich wusste gar nichts über Eberhardt Brucks! Und wenn ich Führungen gebe, stellt sich meistens heraus, dass auch sonst niemand weiß, wer das ist. Was ich aber spannend daran fand: Mich mit jemand zu beschäftigen, der nicht etwas vermeintlich Großes geschaffen hat, der nicht der große Künstler war. In ein solches Leben einzutauchen und mich durch die Materialien zu wühlen.

Und wie muss man sich das Durchwühlen vorstellen? Das sind ja unfassbar viele Archivalien.

Ich hatte das Glück, dass es 2009 schon eine Ausstellung gab, für die die Sammlung schon aufbereitet war. Aber das war ja eine Zeit, als Digitalisierung theoretisch schon dagewesen wäre (beide lachen), aber was dann davon wirklich da ist, sind dann doch irgendwelche Ordner mit Listen, wo drinsteht, wo etwas sein müsste. Und da ich wenig Zeit hatte, habe ich Vorstellungen entwickelt von dem, wonach ich suche. Zum Glück gibt es ein Archiv mit Mitarbeitenden, die ich fragen konnte. Und dann habe ich die entsprechenden Kisten bekommen. Ich habe zwar auch selbst im Keller gesucht, aber da ist ja alles, von Plattenspielern über ein ganzes Bucharchiv, die ganzen Fotos, die Kunst, alleine wäre ich verloren gewesen, in der kurzen Zeit hätte ich das niemals hinbekommen.

Es gibt ja allein über 1000 Tonbänder, die Brucks privat aufgenommen hat, und über 100 Schmalspurfilme, von denen wenigstens ein Teil digitalisiert ist. Was war denn deine Idee, wonach du gräbst?

Am Anfang war das Resilienz-Thema. Ich war ja vorher nur kurz hier und habe mir erste Eindrücke verschafft, hatte Anhaltspunkte, wusste aber letztlich gar nicht, gibt es dazu viel oder wenig – es waren ja nur ein paar Kisten mit ein paar Zeitlichkeiten. Ich habe mich dann auf vier Themen festgelegt, die sich noch verändert haben, aber das sind jetzt eigentlich auch die Kapitel, die wir in der Ausstellung finden. Ich wollte beispielsweise die Liebesgeschichte von Eberhardt und Hansi zeigen, also habe ich z.B. nur die Briefe von den beiden angesehen, nicht die Arbeitskorrespondenz oder die Postkarten der Schwester. Ich habe aussortiert und sowas entschieden wie: die Familiengeschichte wird nur am Rand erzählt.

Wo ist denn das Resilienz-Thema in der Liebesgeschichte von Eberhardt und Hansi?

Dass sie in den 1950ern eine zehnjährige Beziehung geführt haben, als Homosexualität noch kriminalisiert wurde, finde ich außergewöhnlich. Die beiden durften nicht zusammenwohnen, beide sind religiös aufgewachsen, es gab so viele repressive Strukturen, dass man auch nach zwei Jahren hätte sagen können: das ist viel zu anstrengend, ich habe keinen Bock darauf, mir reicht es, wenn ich ab und zu mal Leute treffe, mit denen ich Sex habe.

Du hast mal was sehr Interessantes gesagt über die Sammel-Leidenschaft von Eberhardt, das war ja kein Messitum, aber so kurz davor…

 …Genau!

Du hast das Sammeln als queere Strategie beschrieben. Die Tonbänder, die ja für eine Folge des RBB-Podcasts „Deep Doku“ gerade aufgearbeitet wurden, sind zum Beispiel in ganz privaten Momenten aufgenommen worden, am Frühstückstisch oder beim Telefonieren. Hast du eine Ahnung, warum Eberhardt in solchen Momenten dachte: das muss jetzt unbedingt für die Nachwelt überliefert werden?

Ich habe das Gefühl, dass das Sammeln von so vielen unterschiedlichen Dingen für ihn die Möglichkeit war, festzuhalten: das ist meine Realität! Nach außen hin konnte er sie ja nicht zeigen. Durch das Sammeln und Anhäufen wurde es zu seinem Kosmos, in den er sich einigeln konnte. Er hat sich quasi Sicherheit durch Überfülle geschaffen. Andere haben sich Communitys gesucht, bei ihm war sein Kram seine Community (lacht).

Ich finde es ja ziemlich toll, wie du dich von naheliegenden Erzählungen emanzipiert hast: du erzählst nicht die ganze Lebensgeschichte, zeichnest auch nicht die Kontinuität der Verfolgung von der Nazi- und in die Nachkriegszeit nach, sondern findest überraschende Zusammenhänge, z.B. zwischen Eberhardts Teilnahme an Faschingsbällen und heutige queerer Clubkultur als zwei Formen von „pleasure-positive spaces“…

Ich glaube, viele finden das absurd, ich fand das am Anfang auch ein bisschen absurd, aber was ich in der Ausstellung immer versucht habe, ist, eine queere Zeitlichkeit herzustellen: in allen Themen gibt es eine gegenwärtige Relevanz, auch in den Faschingsfotos der 1950er, die für mich total absurd sind: Eberhardt ist dort mit Künstler*innen und anderen Queers zusammen, es gibt Promo-Vans und im Hintergrund sieht man das zerbombte Berlin. Heute sind wir, was queere Rechte und Kulturarbeit angeht, schon wieder ganz schön am Wanken, aber es gibt gewisse Orte, die uns atmen lassen, die uns Raum geben, um neue Energie zu tanken. Und das ist für viele Menschen in dieser Stadt Clubkultur, und war es auch schon immer. Dort schlüpft man auch in andere Rollen, so wie bei Faschingsbällen, man ist anonym oder wird nur von denen gesehen, von denen man gesehen werden will. Das hat natürlich wenig mit gegenwärtigem Fasching zu tun (lacht).

Wenn du über das Sichtbarwerden und dabei Geschütztbleiben erzählst, können wir ja mal auf das Ausstellungsobjekt kommen, auf das du noch mal besonders hinweisen wolltest…

Genau, das ist die Position von Genesis Kahveci, Fotografien mit dem Titel „Newfangled“/ „Erneuerungssüchtig“, die ja in dem Teil der Ausstellung zu sehen ist, in dem es um Eberhardts NS-Zeit geht. Ich dachte, kurz vor der Bundestagswahl, in einer Zeit, in der CDU und AFD gemeinsame Sache machen, ist es wichtig, eine junge trans weibliche Künstler*in vorzustellen, die genau von diesem Spannungsfeld erzählt: ich ziehe mich in meinen privaten Raum zurück, weil ich in der Gesellschaft draußen Angst habe vor Zurückweisung oder Diskriminierung, ich kann mir aber im privaten Raum mein Empowerment über meinen Körper wieder zurückholen. Und dadurch, dass sie das ja in den Ausstellungsraum trägt, trägt sie es wieder an eine ausgewählte Öffentlichkeit. Sie nennt das eine „stille Revolution“. Mich nervt das ja an der Identitätspolitik, dass gesagt wird: wenn du nicht auf die Straße gehst, dann bist du nicht politisch! Dem möchte ich mit diesem Objekt widersprechen und sagen, dass es viele Nuancierungen gibt von politischem Aktivismus, vor allem, wenn es um den Körper von trans Person geht, die gerade mehr gefährdet sind denn je.

Spannend! Nochmal zu dem politischen Impetus, „Raus auf die Straße“ und der identitätspolitischen Idee von der privaten Sphäre als Ort der Scham oder der Feigheit – hast du herausbekommen, ob Eberhardt Kontakte zur Schwulenbewegung hatte?

Er war Ende der 1940er in der Schweiz und hatte Kontakt zum „Kreis“ und hat dafür auch ein paar Zeichnungen gemacht. Was ich interessant fand: Eberhardt war ja eigentlich sehr zurückhaltend, dort trat er aber mit seinem Klarnamen auf, das hat sonst niemand gemacht zu dieser Zeit! Ich habe mich gefragt: Fühlte er sich da so sicher? War ein bisschen zu privilegiert? Oder war ihm das einfach egal? Solche Momente von „Ich scheiß da jetzt drauf“ gab es in seiner Biografie nämlich immer wieder mal. Jedenfalls hat er diese Kontakte gepflegt, in langen Brieffreundschaften, und er hat für den „Kreis“ immer wieder mal was gemacht, aber er hat sich nie aktiv engagiert.

…oder sich öffentlich dazu geäußert…

…genau.

Du hast die NS-Zeit angesprochen. Es gab durchaus schon kritische Rückmeldungen dazu, dass Fotos von jemandem in Soldatenuniform in der Ausstellung gezeigt werden.

Die Geschichte von Eberhardt ist eine von Mehrdimensionalität. Eberhard war nicht an Kämpfen beteiligt, sondern in Berlin stationiert, aufgrund einer Behinderung. Mir war es wichtig, ihn in Uniform abzubilden, weil er Teil des Systems war, und er hat innerhalb des Systems agiert. Das bedeutet aber nicht, dass er nicht gleichzeitig auch subversiv handeln konnte, das schließt sich gegenseitig nicht aus. Da geht es wieder um Nuancierungen: es gab ja sehr wohl Nationalsozialisten, die gerne schwulen Sex hatten, aber rechts waren. Eberhardt hat dagegen nach dem Krieg sehr deutlich gemacht, dass er dieser Ideologie nie gefolgt ist. Ich finde es sehr wichtig, solche Geschichten zu erzählen, weil im linken Spektrum Menschen oft heroisiert und auf ein Podest gestellt werden, und manchmal vergessen wird, dass das alles auch nur Menschen waren, Eberhardt eben auch. Ich frage mich: warum können wir nicht auch Geschichten erzählen von Mitläufern?

Es wäre ja auch absurd, in einer deutschen Biografie von jemandem, der 1917 geboren ist, diese Zeit auszusparen.

Total! Ich finde auch nicht, dass wir das als queere Geschichtsinstitution machen können! Ich finde auch nicht, dass ich mir das als kuratorische Position leisten kann, denn wie sieht das dann aus??

Du machst ja jetzt auch bei unserem neuen Format mit, den „Flashmobs“, bei denen man sich statt einer Führung kurz gemeinsam eine Sache genauer anschauen kann. Wie waren bisher deine Erfahrungen damit?

Wir hatte einen Flashmob zum Thema „Männlichkeiten“, bei dem der Fotograf Florian Hetz dabei war, und es war sehr interessant, wofür sich Menschen interessieren und wer in so einem offenen Gesprächsforum spricht, sich Raum nimmt. Es gibt ein Foto, auf dem ein trans männlicher Körper zu sehen ist, und ich hätte nie gedacht, dass das im Positiven so viel Raum öffnet! Es gab einen jüngeren Menschen, der fragte: „Warum hat der denn keinen Intimbereich?“ (beide lachen). Ich habe dann mitbekommen, dass andere junge Menschen die Person aufgeklärt haben und sehr gut Bescheid wussten, und dann haben wir in der Situation plötzlich ein ganz anderes Bild von Männlichkeit kreiert. Ein anderer Flashmob zu den Liebesbriefen wiederum hat dazu geführt, dass die Leute total berührt davon waren. Wir haben Teile davon vorgelesen, ich habe gefragt, wer selbst schon mal einen Liebesbrief geschrieben hat, und da haben wir herausgefunden, dass das keinen Unterschied macht zu heute, wenn queere oder straighte Menschen ihre Liebe miteinander teilen. Ich mag, dass dort solche gemeinschaftlichen Momente entstehen.

Das klingt toll! Hat dich Eberhardt eigentlich auch mal genervt?

Ja, der ist ja schon auch eine Nervensäge! (lacht.) Ich bin eigentlich gut mit ihm klargekommen, weil ich mich in vielen Dingen mit ihm identifizieren konnte, aber ich glaube schon, dass er manchmal sehr überzeugt von sich war. Seine schrullige und liebenswerte Art hat das aber wieder wettgemacht. Aber worüber sich viele Menschen, auch schon zu Lebzeiten, aufgeregt haben, ist seine Sauklaue! Niemand kann das lesen! Hätte da nicht ein Schriftexperte 2009 das alles transkribiert, ich hätte nichts davon lesen können. Selbst Hansi hat ihn immer gebeten: sag mal, kannst du nicht leserlicher schreiben? Ich wurde schon gefragt, ob das vielleicht nicht auch eine Strategie gewesen ist, so zu schreiben, dass das nicht alle lesen können. Also, ich weiß nicht, ob das eine bewusste Strategie war, aber das konnte definitiv nicht jeder lesen!

Du stellst in deinem eigenen Interview-Podcast „hooking up with…“ am Anfang immer fünf Fragen, davon wähle ich jetzt noch eine für dich aus und frage dich: was ist dein Lieblingstier?

(lacht) Momentan Pferde!

Wechselt das?

Ja, heute ist ja auch chinesisches Neujahr, und es fängt das Jahr der Holzschlange an, vielleicht wechsle ich noch zu Schlangen!

Vielen Dank, neo, für diesen schönen Flashmob mit dir!

 

Interview: Jan Künemund

Foto: Yasmin Künze