Sappho, Übertragen von Hans Rupé, mit 13 Zeichnungen von Renée Sintenis. Berlin: Holle & Co. Verlag [1936]
Sappho (* um 612 v. Chr.) war die bedeutendste Dichterin der griechischen Antike. Der Überlieferung nach lebte sie auf der Insel Lesbos inmitten eines Kreises junger Schülerinnen, Freundinnen und Geliebte. Sapphos Lyrik huldigt der Schönheit des Weiblichen: »Sappho’s poems are a powerful challenge to the widespread notion of a monolithic phallic economy, the triumph of unqualified masculine subjectivity in the culture of the West. Sappho celebrates neither housework, nor fertility, nor the role of the good wife. Rather, she celebrates the memory and longing of the absent lover, and the love and pleasure that women share on soft beds. We… cannot write the story of sexuality without Sappho. We must cope with this woman who shakes the foundation of Western culture and the history of sexuality…with this woman who speaks of her desire.« (Page Dubois, Sappho is Burning, 1995)
So erstaunlich auf den ersten Blick Erscheinungsjahr und –ort des bibliophilen Bändchens erscheinen: Im Berlin des Jahres 1936 stand dank der Olympiade die antike griechische Kultur hoch im Kurs.
Erstmalig 1921 hatte die frauenliebende Berliner Bildhauerin und Grafikerin Renée Sintenis eine griechische Sappho-Ausgabe illustriert. Ihr Lehrer (und damaliger Ehe-mann) Emil Rudolf Weiß, ein Wegbereiter der modernen Typografie, schuf damals die an alten Minuskelhandschriften angelehnte elegante Schrifttype, die in der späteren, deutschsprachigen und gekürzten Ausgabe durch eine konventionelle Serifenschrift ersetzt wurde. Sintenis Radierungen wurden in die Ausgabe von 1936 übernommen, »hauchzarte Umrisse ihrer Figurinen, die in ihrer zerbrechlichen Schönheit den Text mit graziöser Anmut begleiten« (Jürgen Eyssen). Bei aller Klassizität und Zurückhal-tung scheint in den umrisshaften und dennoch kraftvollen Strichzeichnungen klar die Schöpferin der bewegten Bronzeplastiken durch.
Zur Person
Renée Sintenis (1888 – 1965 Berlin) wurde in den 1920er Jahren berühmt durch ihre kleinformatigen Tierplastiken. Doch schuf sie auch Porträtköpfe, weibliche Figurinen und illustrierte mehrere Bücher. In der Zwischenkriegszeit verkörperte die 1,79 m große androgyne „Riesin mit Bubikopf“ (S. Kettelhake, Renée Sintenis. Berlin, Bohème und Ringelnatz, Berlin 2010) den Archetypus der selbstbestimmten, modernen ‚Neuen Frau‘. Zwar war sie 1934 auf der Ausstellung Entartete Kunst vertreten und wurden ihre Werke aus öffentlichen Kunstsammlungen entfernt, doch erhielt sie anders als viele Kolleg_innen kein Ausstellungsverbot und konnte unter dem NS-Regime trotz schlechter Auftragslage weiter arbeiten. Nach 1945 lebte Sintenis mit ihrer Lebensgefährtin, der offiziell als „Hausmädchen“ fungierenden Magdalena Goldmann, bis zu ihrem Tod in der Innsbrucker Straße in Schöneberg. 1948 war sie die erste Preisträgerin des Kunstpreises der Stadt Berlin, später wurde sie in die Akademie der Künste berufen, aus der die Nationalsozialisten sie wegen ihrer jüdischen Großmutter ausgeschlossen hatten.
Mit ihrer Kunst bewegte sich Sintenis im Rahmen dessen, was Frauen in der als ‚unweiblich‘ geltenden Domäne der Bildhauerei gerade noch zugestanden wurde. Stellvertretend für die damals vorherrschende geschlechtsbasierte Geringschätzung ihres Œuvres ist ein Zitat des mit dem Ehepaar Sintenis/Weiß befreundeten Kunst-historikers Julius Meier-Graefe, der ihre Werke durchaus schätzte: »Diese ist Künstlerin, weil sie weiblich bleibt, also kindhaft.«
(Foto: Renée Sintenis)