Bremen 1979. Menschen aus „Nah und Fern“ sind eingeladen, sich am 30. Juni um 11 Uhr am Bremer Hauptbahnhof zu treffen und gemeinsam zum Markt zu „latschen, schweben, schreiten“ und zu „torkeln“. Dort würden schon die „Feen der Muse“ mit „kulturellen, informative[n] und sonstige[n] Aktivitäten“ auf sie warten. Nach zwei Stunden „soviel nervenaufreibendem Stress“ gehe es in den Bürgerpark. Programmpunkte: auf der Wiese liegen, „picknicken, klönen, dösen“. Um 20 Uhr konzentriere sich alles auf das „gewaltige Finale“ im Kulturzentrum Schlachthof mit Chansons, Newcomer-Kabarett, Theater, Sketchen und Liedern. Es wird darauf hingewiesen, dass „mann/frau sich da mit feuchten und trockenen Nahrungsmitteln auf den Füssen halten“ könne – um „das Spektakel überhaupt zu überleben“.
Was sich wie das Programm zu einem Stadtfest liest, steht auf der Ankündigung zu einer der ersten Stonewall-Demonstrationen zum Christopher-Street-Day in Deutschland, zu der die „SchwAB“ (Schwule Aktion Bremen) eingeladen hatte. Unter dem Titel „Schwuler Karneval“ versammelten sich in Bremen 800-900 Demonstrant*innen, um ihre politischen und gesellschaftlichen Forderungen in bis dahin ungewohnter Art und Weise auf die Straße zu tragen. Neben den Proteststandards Fahne, Banner, Megaphon, zog man hier auch kleine Musikwägen durch die Stadt und gab sich unangepasst „karnevalesk“: manche*r geschminkt, manche*r in „Fummel“. Andere kamen dem kreativen Anspruch des „Karnevals“ nach, indem sie originelle Protest-Objekte herstellten, wie den „Leichnam“ der „Klischee-Lesbe“ mit Zigarette, Fliege und Hosenanzug, der vor der Bremer Bürgerschaft „aufgebahrt“ worden war (siehe Bild).
Einen Monat später fand das „Homolulu“-Treffen in Frankfurt statt. Eine Mischung aus politischem Kongress und Festival, der die „schwule Kultur blühen“ lassen würde, so der Einladungsflyer. Der Ansatz der Bremer „Karnevalist*innen“, lebensweltliche und ästhetische Ausdrucksformen mit politischer Aktion zu verbinden, wurde hier aufgenommen, intensiviert und bis zur „tagesschau“ in die Öffentlichkeit getragen. Damit war der „Schwule Karneval“ ein Auftakt zu einem Sommer der neuen kulturellen Sichtbarkeit von Homosexuellen geworden.
Text von Dorna Safaian (wissenschaftliche Mitarbeiter*in im DFG-Projekt „Bilder der Empörung“ der TU Berlin/Universität Siegen)