Ein benutztes Taschentuch… nicht gerade archivierungsbedürftig, oder? In diesem Fall jedoch schon! Der blutrote Lippenstiftabdruck ist nämlich von niemand anders als Mario Montez (1935-2013), Travestie-Star der New Yorker Underground-Szene der 1960er und 70er.
1963 wirkte Montez in „Flaming Creatures“ mit, einem experimentellen Film des charismatischen Filmemachers Jack Smith (1932-1989). Das sollte die erste von zahlreichen Filmerfahrungen werden. Smith eröffnete Montez nicht nur einen neuen Betätigungsbereich, sondern machte ihn auch der avantgardistischen Filmszene bekannt. Montez, der sich nach der Hollywood-Diva María Montez benannt hatte, spielte zwischen 1964 und 1966 in 13 von Andy Warhols Filmen mit.
Nach „Flaming Creatures“ arbeitete Mario Montez, der nie eine formelle Schauspielausbildung absolvierte, an mehreren Projekten von Andy Warhol mit, unter anderem „Mario Banana 1 & 2“ (1964), „Batman Dracula“ (1964), „Camp“ (1965) oder „The Chelsea Girls“ (1966). Mit „Theatre of the Ridiculous“ gründete er seine eigene Theatergruppe.
1977 zog er nach Florida und beendete vorerst seine Karriere als Entertainer. Sein Privatleben hatte der Angestellte stets von seinem Bühnendasein getrennt. Von Drogen habe er sich stets ferngehalten, die Szene kaum frequentiert, erzählte er der taz 2012: „Ich war gewissermaßen der Langeweiler.“ Erst 2006 tauchte er wieder in einer Dokumentation über Jack Smith auf. Sein letzter filmischer Auftritt ist im Kurzfilm „A Lazy Summer Afternoon mit Mario Montez“ (John Heys u. Michael Bidner, 2011), wo Montez über einen Berliner Teich schippert und mit Fächer und Sonnenschirm ausstaffiert eine Klatschzeitschrift liest.
Berlin besuchte Montez bereits 2009 für ein Festival zum Filmschaffen von Jack Smith. Nachdem er sich in einer Performance von Ronald Tavels „The Life of Juanita Castro“ verausgabt hatte, hieß es: „Wer hat ein Taschentuch?“ Die Filmwissenschaftlerin und Kuratorin Karola Gramann, die immer ein Stofftaschentuch parat hat, zögerte nicht lange. „Das war eins meiner besten!“, verrät sie dem SMU im Gespräch. Das Taschentuch zu waschen, stand für sie außer Frage.
Gramann traf Montez regelmäßig, wenn er in Deutschland war, lud ihn 2012 zu ihrem eigenen Festival zu Jack Smith in Frankfurt am Main ein. Nach diesem letzten Aufenthalt in Deutschland brachte sie ihn zum Flughafen – und bereut bis heute, die Rechnung für den Burger weggeworfen zu haben, den Montez vor Abflug verspeiste. Karola Gramann überreichte kürzlich alle Materialien zu ihrem Filmfestival und den Recherchen zu Jack Smith dem SMU, wie auch dieses besondere Objekt. Damit ist Mario Montez nicht nur auf Filmrollen unsterblich geworden – sondern auch auf einem kleinen Stück Stoff im Archiv des Schwulen Museums.
Foto: Mario Montez mit Karola Gramann – vermutlich Marios Geburtstag am 20. Juli 2011 in Berlin, Dachterasse der DFFB am Potsdamer Platz. Privatbesitz Karola Gramann.