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Schätzchen des Monats: Felicia Rolletschke und die SNAP-Momente

1. September 2024

Wir reden mit dem süßesten Nerd des Schwulen Museums: Felicia Rolletschke ist auf dem Land aufgewachsen und hat viel Zeit in Online-Communities verbracht. Wie bei vielen anderen queeren Jugendlichen, ist auch bei ihr das Internet ein wichtiger Teil ihrer queeren Formungsgeschichte. Heute ist sie die neue pädagogische Leitung für Queer Outreach im Schwulen Museum und verbindet Mathematik, Psychologie und Aktivismus zu einem kraftvollen Mix aus Bildung und Empowerment. In diesem Interview erzählt sie von ihrer Leidenschaft für trans* Aktivismus, der inspirierenden Arbeit mit jungen Menschen und den SNAP-Momenten, die das Leben radikal verändern können. Was hat Felicia zu der Kämpferin gemacht, die sie heute ist, und wie will sie die queere Jugend in Berlin unterstützen?

 

Hallo Feli! Zu Beginn erst Mal ein Geschenk für dich…

Oh wow, ist es das, was ich denke? Das sind meine Visitenkarten, vielen Dank!

Genau, druckfrisch und von Hand geliefert. Ich muss dich jetzt auch darum bitten, dich vorzustellen; du kannst gerne deinen Spickzettel benutzen!

Na gut, ich bin Feli und ihr könnt für mich die Pronomen „sie/keine“ benutzen. Ich komme eigentlich aus der Mathematik und der Psychologie, deshalb trifft man mich oft in Schachclubs an… Ich bin ein richtiger Nerd, ich organisiere Dungeons and Dragons-Gruppen und game viel—zur Zeit sitze ich nochmal am Elden Ring DLC (lacht) Ansonsten bin ich gerne in Restaurants, ich liebe Restaurant-Cruising!

Was sind so deine Themen?

Ich mache seit acht Jahren viel zu Trans*Aktivismus, bin da zum Beispiel beim Bundesverband Trans* aktiv und beantworte Medienanfragen. Ich gebe auch Antidiskriminierungsseminare und -workshops für alle, die Lust drauf haben, also von kleinen Organisationen bis zu internationalen Firmen. Vor sechs Jahren bin ich über meine Arbeit beim Bode-Museum hier am Schwulen Museum gelandet. Am Bode-Museum habe ich Sex Education für Schulklassen gemacht, basierend auf kunsthistorischen Darstellungen.

Das kommt mir doch bekannt vor, die „Let’s talk about Sex”-Kisten waren von dir?

Genau! Das transportierbare Programm von „Let’s talk about Sex“ habe ich mitentwickelt. Die Leitung dieses Projekts hatte Beziehungen zum SMU und hat mich dann auf das Museum aufmerksam gemacht. Also bin ich direkt hergekommen und habe angefangen, Workshops und Führungen zu geben — über die Jahre hinweg waren das mit Sicherheit über 200 Führungen.

Das sind wirklich viele! Wo hast du das gelernt?

In meinen ersten Jahren des Mathematik-Studiums war ich in einer Studentischen Austauschorganisation im Business Bereich. Die Leute waren eigenartig, aber sie haben mir beigebracht, professionelle Workshops zu geben. Das war dann wie eine Ausbildung und ging auch ganze zwei Jahre.

Wow! Und jetzt setzt du diese Macht für die gute Seite ein (beide lachen).

Genau, in dem Verein habe ich Time-Management und Leader Workshops gemacht, heute benutze ich diese Fähigkeit für andere Themen. Also, seit zehn Jahren nutze ich diese Skills für mich und natürlich für soziale Zwecke. Führungen wiederum sind dann einfach nur eine Abwandlung davon… Ich denke über Führungen als Mischung aus Workshop und Theater nach: es gibt eine Performance, Leute sehen und hören dich, du bindest sie mit ein, und im besten Fall gibt es eine emotionale Reise mit Lernerfahrung.

Und jetzt, was machst du jetzt am SMU? Was steht denn auf deiner Visitenkarte drauf?

Seit einem Monat bin ich die pädagogische Leitung für Queer Outreach, juhu! Ich koordiniere und entwickle die Art und Weise, wie queere, junge Stimmen im Museum gehört werden, und wie das Museum an queere, junge Menschen in der Stadt herantritt. Das mach ich intern, extern und auf einer kooperativen Ebene mit anderen Institutionen. Wir wollen zum Beispiel einen Jugendbeirat im Haus gründen, der strukturell am SMU mitarbeiten kann.

Wie ist das Museum in dieser Hinsicht bisher aufgestellt?

Immer besser! Allein, dass die Stelle existiert, ist ein Ausdruck davon, dass Jugendarbeit immer wichtiger wird. In den letzten Jahren war auch klar zu verfolgen, wie sich mehr junge Menschen eingebracht haben, als Teil des Teams, im Ehrenamt oder als Publikum in den Ausstellungen. Die Perspektive junger Menschen einzubeziehen, wird auch noch stärker werden.

Inwiefern hat dein eigenes Alter mit deiner Fähigkeit zu tun, mit jungen Menschen arbeiten zu wollen und zu können?

Meiner Einschätzung nach sind es so 70% Skills und 30%, in der Nähe des Alters zu sein. Ich bin jetzt 30 und habe in den letzten zehn Jahren viel Nachhilfe gegeben, war also immer im Kontakt mit jungen Menschen. Es gehört einfach dazu, Menschen auf Augenhöhe zu begegnen, auch wenn sie jünger sind als du. Eigentlich ist das eine Selbstverständlichkeit, aber es auf eine Art zu machen, die nicht komisch ist, das sind die Skills… Und dass ich chronisch online bin, hilft natürlich auch: ich bin viel auf YouTube, Reddit und Instagram. Es ist schon wichtig zu wissen, was in der Welt abgeht.

Was an dieser Arbeit bereichert dich so?

Vielleicht etwas blöd gesagt: es ist inspirierend. Ich ziehe aus ihr viel Hoffnung für die Welt. Wenn man aus dem Fenster rausschaut, gibt es gefühlt eintausend Gründe, hart pessimistisch zu sein: das Klima wandelt sich, Faschismus wächst… Es ist wirklich schlimm! Aber einer der schönsten Sachen, die ich aus meiner Arbeit und meinem Aktivismus ziehen kann, ist Hoffnung. Wenn ich sehe, wie politisch, fordernd und clever die 18-Jährigen von heute sind… Viel weiter, als ich es mit 18 war! In dem Alter stand ich mit einem Schild auf dem Marktplatz und habe gegen Atommüll demonstriert. Das ist zwar auch schön, aber die Menschen, die ich beispielsweise in meinen Workshops kennenlerne, verstehen so viel von der Welt und machen so sinnvollen Aktivismus! Da gibt es unglaubliche intersektionale Perspektiven, die ich so mit 18 nicht hatte.

Hast du eine Ahnung, woran das liegt?

TikTok! (beide lachen) Das mag zwar eine pseudo-globale Vernetzung sein, aber wenn irgendwo in der Welt Shit passiert, ich sag jetzt zum Beispiel Palästina, dann sehen das junge Menschen. Du bekommst das mit, du kannst das sehen! Meine Generation hatte Facebook und YouTube als Informationsquellen, das war einfach nicht das gleiche.

Das stimmt, es hat sich viel verändert in den letzten zehn Jahren. Ich denke an die Moderation von Inhalten über die Plattformen, aber auch an das Verhalten der Nutzenden selbst online — Leute sind ja viel mehr gewillt, Sachen zu teilen.

Ja, die Inhalte waren andere. Damals gab es einfach kein LeftTube, also links positionierte Menschen, die bildungspolitische Inhalte machen. Und heute gibt es halt große Persönlichkeiten, die progressive Politik auf YouTube machen, mit riesengroßen Publiken. Dadurch ist das Einordnen von politischem Geschehen auf der Welt viel leichter als junge Person: du kannst dir kommentierte Fassungen ansehen, du hast einen Chat oder eine Kommentarspalte, mit der du dir Feedback einholen kannst… Die Leute die da rauskommen, sind dann sehr gut darin geübt, politische Analysen zu machen, weil sie regelmäßig damit interagieren.

Erlebst du manchmal auch die Umkehrseite einer verhältnismäßig frühen Politisierung im Online-Space? Ich meine damit diskriminierende Bewegungen, wie das Incel-Movement.

Ich sehe die selten. In einem Workshop letztens hatte ich so einen aus der Jungen Union. Da dachte ich mir auch: was stimmt nicht mit dir, dass du 19 bist und so konservativ sein willst? In der Hinsicht ist der Gender-Divide wirklich heftig, das merk ich schon. Aber sonst erlebe ich das wenig an den Orten, an denen ich bin.

Glück gehabt! Wollen wir über dein Schätzchen reden?

Ja klar! Ich habe hier den Ordner „MY SNAP MOMENT“ aus dem Archiv. Das ist die Sammlung der Besucher*innenbeiträge der SNAP-Wand, aus unserer Ausstellung „Love at First Fight! Queere Bewegungen in Deutschland seit Stonewall“. Die Idee der Snap Momente basiert auf einem Text von Sarah Ahmed über ein Interview mit Sylvia Rivera. In diesem erzählt Rivera von einem Moment während der Stonewall Riots, in dem körperlich spürbar war, dass sich etwas ändert. Sowas wie ein Shift, ein Momentum, in dem die Anwesenden gemerkt haben, sie können etwas ändern und Sachen ändern sich gerade. Das ist mit „SNAP“ gemeint, schlagartig ist dieses mächtige Bewusstsein da. In LAFF! wird mit der Snap-Wand die Frage gestellt, welche Snap-Momente die Besuchenden hatten: an welchem Punkt haben unsere Gäste gemerkt, es kann sich was in ihrem Leben ändern? Was jetzt im Endeffekt rauskommt, ist eine queere Sammlung von Coming-Out-Momenten, Momenten von Aktivismus und Community. Und weil das Museum international in so einer einzigartigen Position ist, sind es Geschichten aus der ganzen Welt und aus allen Altersgruppen. Das sind unfassbar intime Beschreibungen, die uns mitnehmen in nicht nur alltägliche, sondern auch extreme und intensive Momente queerer Existenz.

Was ist deine Snap-Geschichte?

Gute Frage… Ich habe einige Snap-Momente, aber einmal habe ich einen Job verloren, weil die neue Chefin keine trans* Personen da haben wollte…

Ist das noch in der fiesen Mathe-Welt passiert?

Ganz genau. Das war ein Job, den ich richtig geliebt habe. Den habe ich dann einfach verloren. Ich weiß noch, wie ich danach mit ein paar Leuten draußen stand und wie ich geweint habe, weil das so verletzend war. Das hat mich so radikalisiert, im Kampf gegen Transfeindlichkeit… Dieser Moment informiert ganz grundlegend meinen Aktivismus bis heute. Ich würde sagen, das ist ein klassischer Snap-Moment: du merkst, jetzt muss sich was ändern. Die andere wirklich große Sache war letztes Jahr, als der Suizid der trans* Person Ella Nik Bayan am Alexanderplatz passiert ist. Ich war mit anderen trans* Personen die Tage danach an dem Ort, um ihn zu bewachen und vor Vandalismus zu schützen.

Das sind alles recht tragische Geschichten…

Das stimmt, aber was sie eint, ist primär ihre Intensität. An der Wand hängen zum Beispiel auch viele Geschichten von Prides! Die erzählen dann davon, wie ein Paradigmenwechsel stattgefunden hat und die Personen sich und ihre Queerness neu kontextualisieren konnten.

Was verbindet dich mit deinem Schätzchen?

Der wichtigste Teil am Workshop-Machen ist, dass du Spaß dran haben musst, zu sehen, dass Menschen sich entwickeln. Das ist, was im Kern jedes Workshops passiert. In diesem Snap-Stories liest man genau das, es ist auf die gleiche Art: du siehst, wie Menschen eine glücklichere, selbstbewusstere und erfülltere Version von sich werden.

Das ist sehr wertvoll. Danke für diese Einblicke, Feli!

 

(Interview & Bild: mino Künze)