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Schätzchen des Monats: Jutta Grelle und ihre Flyersammlung „Der Kreis schließt sich“

1. August 2024

Berlin, du bist so wunderbar! Kaum eine*r weiß das so zu singen wie Jutta Grelle. Als unverwechselbares Gesicht der Berliner queeren Szene teilt sie in diesem Interview ihre bewegende Reise von Nürnberg nach Berlin und ihre tiefen Verbindungen zur Stadt und queeren Communities. Von ihren Anfängen in der Frauenbewegung über ihre prägende Zeit als Lichttechnikerin im legendären SO36 bis hin zu ihrer aktuellen Rolle im Schwulen Museum – Jutta verknüpft, wie sie selbst sagt, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in ihrer Erzählung. Was könnte die Verbindung zwischen ihrer Leidenschaft für Sexarbeiter*innen-Rechte und ihrer Vision für eine queere Altenpflege-Stiftung sein? Die Antwort gibt es hier!

Guten Morgen, Jutta! Auch hier fange ich mit den Fragen an, die ich unseren anderen Schätzchen stelle: Wer bist du, woher kommst du, was beschäftigt dich… Wer ist Jutta Grelle?

Jutta Grelle ist seit fast 35 Jahren in Berlin und kommt ursprünglich aus Nürnberg.

Uuhh, Bayern!

Aus Franken! Das muss streng getrennt werden, da sind die Franken eigen … (lacht) Ich habe alles Mögliche gemacht, bin aber seit Juni 2023 in der Verwaltung des Schwulen Museums. Das hat sich also gerade gejährt!

Warum Berlin?

Wie bei vielen anderen wegen der Liebe! Nicht aber wegen einer Person, sondern weil die Stadt Berlin die große Liebe in meinem Leben war, ist und sein wird. Deswegen habe ich mir auch aktuell die Berliner Bärin als Tattoo stechen lassen.

Das sieht ja ganz frisch aus!

Genau, drei Wochen alt. Ich liebe die Stadt einfach! Sie ist dafür da, sich selbst zu verwirklichen und die Menschen zu treffen, mit denen man das Leben verbringen möchte. Deshalb ist die Stadt auch gut zu mir. Ich war in den 1980er Jahren Teil der lesbischen Kreise Nürnbergs und hatte da Kontakt mit maßgebenden Macherinnen der Frauenbewegung. Da wiederrum geriet ich an Frauen, die sich für Kunst interessiert haben und das erste Künstlerinnen-Archiv gegründet haben. Über die kam ich mit Künstlerinnen und Projekten aus Berlin in Berührung, zum Beispiel das Pelze. Daher war ich immer wieder privat in Berlin. Ich werde nie das erste Mal vergessen, als wir über Dreilinden in Berlin ankamen, früh am Morgen zum Sonnenaufgang die Heerstraße runtergefahren sind und Berlin sehen konnten… Da war’s um mich geschehen, die Energie der Stadt ist da direkt in mich rein.

Du bist hier auch mit aktivistischen Kreisen der Sexarbeitenden verknüpft. Wie kam es dazu?

In meinen Freund*innenkreis hatte ich immer Dominas und andere Sexarbeitende. Ausschlaggebend für mich, um aktiv zu werden, war 2019 die Sexworker-Messe „World of Whorecraft“, auf der ich für die Deutsche Aidshilfe gearbeitet habe. Die Energie der Leute da hat mich umgehauen. Ich war zutiefst von der Fähigkeit von Sexarbeitenden berührt, Menschen die Scham vor der eigenen Körperlichkeit zu nehmen. So ein Empowerment gibt es in queeren Kreisen auch, aber in der Hinsicht können wir noch viel von Sexarbeiter*innen lernen.

Und womit hast du dich vor der Verwaltung des SMUs beschäftigt?

Ich habe in Nürnberg meine Ausbildung zur Gas-Wasser-Installateurin beendet und habe dann in Berlin einen Betrieb gefunden, wo ich mit Frauen arbeiten kann. Über meine Connections in der Szene habe ich auch direkt eine Wohnung gefunden, in der ich Anfang der 1990er in Berlin ankommen durfte. Das Schwule Museum kannte ich da schon, das war mir damals aber zu männlich, das war einfach nicht mein Raum. Der Weg hierhin war wirklich ein langer…

Nimm uns mit auf diesen Weg, was ist passiert?

Ich bin relativ schnell nach meiner Ausbildung zu einem Frauen-Kollektiv gewechselt, die beispielsweise die erste Heizungsmeisterin Deutschlands hervorgebracht hat. Über die Frauen-Kunst-Szene erreichte mich dann eine Anfrage, ob ich für Charla Drops und Eva Hass im Theater UNART in der Oranienstraße einen Spülkasten reparieren könnte, privat. Ich war zu dem Zeitpunkt ein Riesen-Fan von ihren Stücken und hab’s natürlich gemacht: Rühr meine Urne um, Tarnung vor dem Hunde, die Kunsthure im Einsatz… Nachdem ich dann öfter im UNART war, meinte irgendwann Eva zu mir, ich hätte ein unglaubliches Gespür für Licht und ob ich nicht Lichttechnik machen wollen würde… Gesagt, getan! Kurz darauf war ich im Praktikum bei der Lichtfirma Blendwerk.1994 hat sich die Chance ergeben, für das CAFÉ FATAL im SO36 als Lichttechnikerin zu arbeiten. Also habe ich das Licht für eine queere Standard-Tanz-Veranstaltung gemacht und wurde Teil der queeren SO-Familie.

Das hat dir bestimmt viel bedeutet, oder?

Ich war da bis circa 2001 und diese Jahre in den 90ern waren wirklich die prägendste Zeit für mich. Das merke ich auch, wenn ich alte Kolleg*innen, nicht nur auf Demonstrationen treffe: alle sind nachhaltig davon geflasht, wie großartig, intensiv und exzessiv diese Zeit war und wie viel wir mitgestalten durften.

Was hat die Zeit so prägend gemacht?

Der Zeitgeist, kurz nachdem die Mauer runter war, war einer der Freiheit, Kreativität und Möglichkeiten ohne Repression. Viele innovative, abenteuerlustige und risikofreudige Projekte sind zu der Zeit entstanden. Es gab viel Drogenkonsum, um das Nachtleben und die Arbeit danach zu überleben. Das alles war hochpolitisch, so auch im SO36. Zu einer Zeit, als es den Begriff ‚queer‘ im deutschsprachigen Raum eigentlich noch nicht so gab, haben wir die Queer-Party veranstaltet und ihn so geprägt. Das waren Partys, die auf jeden Fall einen Spaß-Faktor hatten, aber immer eine starke und provokative Message vermittelt haben. 1994 gab es z.B. die Queer-Party zum Thema AIDS, wo am Eingang Stationen aufgebaut waren, an denen verkleidete Mitarbeitende allen Besuchenden das Kaposi-Sarkom aufgemalt haben. Zu der Zeit gab es noch keine HIV-Medikamente, viel Stigmatisierung und die Menschen waren immer noch am Sterben… Wir haben das theoretische Aneignen von Begriffen also wirklich in die Praxis umsetzen wollen. Queer war für uns ein Begriff, der entgegen jeglichen Kategorisierungen steht: zusammen, von allen, für alle.

Was würdest du sagen, ist von diesem queeren Geist heute noch übriggeblieben?

Was ich wahnsinnig bedrückend finde, ist die Spaltung der queeren Community durch den Israel-Palästina-Konflikt. Was Russland und die Ukraine nicht geschafft hatten, ist jetzt durch Israel und Palästina passiert: es wird einander nicht mehr zugehört, gemeinsame Ziele werden nicht mehr umgesetzt… Aber sehr positiv sehe ich, dass die Entwicklungen von damals Früchte tragen. Queerness und das Gemeinsame steht im Fokus bei mir und vielen anderen. Menschen sind offen geworden für Sachen, die so nicht normativ zur Gesellschaft gehören durften.

Und hier möchtest du auch in Zukunft bleiben?

Glaubst du’s mir, ich saß neulich auf meinem Balkon und dachte: ich bin so dankbar! Wie privilegiert ich bin, dass ich in Kreuzberg sitze, meine Geliebte im Bett liegt und Berlin mir die Kraft gibt, durch alle Krisen zu gehen… Für die Zukunft träume ich heimlich von einer Utopie, in der ich den Jackpot gewinne und mit dem Geld eine Stiftung gründe, die sich um die Behausung queerer Rentner*innen kümmert. Ich bekomme das selbst mit, wie es Menschen aus der Entertainment-Branche im hohen Alter geht: viele sind auf Grundsicherung angewiesen und befinden sich in der Altersarmut. Für viele gibt es also keine adäquate Unterkunft im Alter. Deshalb möchte ich solche Pflegeeinrichtungen errichten, die dann auch auf die Bedürfnisse queerer Menschen eingehen; von Darkroom bis Streichelzoo wäre dann alles dabei.

Wir drücken die Daumen, dass das klappt! In der Zwischenzeit machst du es dir im SMU bequem.

Ja, ich habe schon an verschiedenen Orten als Personalerin gearbeitet, auf Dauer war die körperliche Arbeit in der Lichttechnik zu viel für mich. Vor dem Schwulen Museum war ich für neun Jahre bei der Deutschen Aidshilfe, aber ich denke, das SMU ist mein finaler Stopp. Hier habe ich alles, was mir wichtig ist: Kunst und Kultur, politische Inhalte und queere Community. Als ich die Stellenausschreibung in der Siegessäule gelesen habe, habe ich gar nicht drüber nachgedacht, ob ich den bekomme oder nicht, sondern einfach nur: den Job werde ich machen (beide lachen). Und so kam das dann auch.

Hat dich das SMU schon vor Herausforderungen gestellt?

Die Einarbeitung! Ich hatte noch nie so eine stressige Einarbeitungsphase, wie hier. In meinen ersten Wochen war ich dann wiederrum das erste Mal im Archiv und habe direkt Fotos von Hucky Fin Porzner entdeckt. Ich kannte Hucky persönlich und war von ihrem Tod 2020 mitgenommen. Mir ist also auch direkt zu meinem Beginn im SMU klar geworden, hier bin ich am richtigen Ort.

Deine Schätzchen stammen auch hier aus dem Archiv, nicht wahr?

Exakt, mein Schätzchen habe ich im Archiv gefunden. Damit schließt sich gewissermaßen auch wieder ein Kreis: es handelt sich bei ihnen um Flyer der queeren Veranstaltungen im SO36 der 1990er Jahre. Da habe ich gearbeitet, die habe ich besucht und lieben gelernt. Wir haben hier die House-Party Hungrige Herzen, ein als Stasi-Dokument getarnter Flyer der Queer-Party von der ich erzählt habe, die BIPoC Reihe MAGIC3, auf der ich gearbeitet habe, eine der tollsten Frauen-Partys Jane Bond, und natürlich ein Flyer der Gayhane, die ja bis heute veranstaltet wird.

Welchen Namen würdest du deinen Schätzchen geben?

Da muss ich kurz überlegen… „Flyersammlung SO36“ ist mir zu langweilig, das sind schließlich meine wunderbaren queeren 90er. Vielleicht wirklich „Der Kreis schließt sich“. Das ist eine mächtige Erfahrung, die ich machen darf.

Kannst du mir auch deine Schätzchen in drei Worte fassen?

Past, Presence, Future! Wir haben jetzt viel über die Vergangenheit und die Gegenwart geredet, aber ich hoffe, dass es auch in der Zukunft mit unserer queeren Bewegung weitergeht. Das ist nicht gegeben, gerade wenn ich mir das aktuelle politische Klima ansehe. Darum müssen wir uns kümmern, dafür müssen wir auch kämpfen.

 

(Interview: mino Künze)