Im Juli spricht Michael Fehlhaber alias Michael Waentig über seine Reise von einem zurückhaltenden Architekten zu einem unverzichtbaren Ehrenamtler im Schwulen Museum. Durch die Herausforderungen und Erfolge bei der Archivierung der Aktion Standesamt 1992, gewährt er uns persönliche Einblicke in seine unkonventionelle Lebensgeschichte. Warum die Homo-Ehe zu seinem Herzensthema wurde und welche unerwarteten Entdeckungen er dabei machte, verrät er uns hier:
Hallo Michael, ich freu mich auf unser Gespräch heute. Wie darf ich dich den Leuten online vorstellen?
Da gäbe es schon eine erste Besonderheit: wenn ich mit dem SMU auftrete, dann oftmals als Michael Waentig, quasi als Künstlername. Bürgerlich heiße ich allerdings Michael Fehlhaber.
Warum ein Künstlername?
Als ich angefangen habe, im Museum Aufsicht zu machen, habe ich den Mädchennamen meiner Mutter benutzt, Waentig also. So auch heute, wenn ich Texte schreibe. Michael Waentig ist etwas freier, der muss nicht Architekt sein, so wie ich es von Haus aus bin.
Interessant! Erzähl uns bitte mehr von deinem Werdegang.
Ich habe Architektur und Stadtplanung in Aachen studiert. Das war eine absolute Diaspora, was schwules Leben angeht. Während des Studiums haben ich und ein paar schwule Kommilitonen eine schwule Studentengruppe gegründet. Unserer Recherche nach war das die erste in Deutschland, Mitte der 60er Jahre. Lediglich in Maastricht gab es eine Schwulengruppe im AStA, mit der wir in Kontakt standen und auch Wochenendworkshops gemacht haben. Durch mein Studium habe ich mich generell der Teamarbeit zugewendet. Ich habe schnell gelernt, dass es nicht den ‚einen Star-Architekten‘ gibt, sondern ‚die Gruppe‘ mit vielen Talenten.
Warst du in deinem professionellen Leben auch schwul vernetzt?
Überhaupt nicht. Ich war bei der Arbeit nicht geoutet, ich habe mich generell nie geoutet. Mein amerikanischer Neffe hat sich mit 20 Jahre, das war 2015 geoutet. Da kam mir zum ersten Mal die Idee, dass ich auch so einen Moment haben könnte. Ich hab darüber nachgedacht, wie mutig er gewesen ist und wollte dann auch aktiv werden. So bin ich im Übrigen auch im Schwulen Museum gelandet! Bei meiner Familie habe ich mich trotzdem nie geoutet, meine Liebhaber habe ich immer einfach mitgebracht. Ich musste nichts erklären, die waren eben da. Und da es über die Jahre zwei, drei Beziehungen waren, konnten sich alle schon einen Schluss draus ziehen.
Wir brauchen mehr Einblicke in deine Anfänge beim Schwulen Museum!
Ich kenne das Schwule Museum schon sehr lange, weil ich Anfang der 80er Jahre im Berlin Museum Andreas Sternweiler kennengelernt habe. Wenig später hat der ja das Schwule Museum mitgegründet und ich habe das immer über die Presse mitverfolgt. Das erste Mal vor Ort war ich natürlich im alten Standort, am Mehringdamm. Das waren wirklich sehr enge Räumlichkeiten… 2015 bin ich dann mit meiner Nichte hergekommen, die gerade aus Chicago zu Besuch war. Es war schön, Homosexualität nicht mehr als Familiengeheimnis zu behandeln. Ich habe das Informationsblatt zum Ehrenamt im SMU nach Hause genommen. Eine förmliche Bewerbung und ein Kennenlerngespräch später, ging mein Ehrenamt hier los.
Wie hat dein Ehrenamt ausgesehen?
Professionell war meine erste wirklich tolle Arbeit, die ich gemacht habe, in einer Forschungs- und Entwicklungsabteilung zu der Mikroverfilmung von Zeichnungen für Archiv und Bibliothek. Dementsprechend habe ich mich für das Ehrenamt im Archiv beworben. Offiziell ging es Februar 2016 los, mit der Bearbeitung der Mix-Kisten. Die Arbeit war ernüchternd, die Suche nach der richtigen Rubrik oft mühsam, aber so habe ich die Struktur des Museumsarchiv sehr gut kennengelernt. Nach 1 ½ Jahren hatte ich so viel gelernt, dass ich mir zugetraut habe, ein wirkliches Thema zu bearbeiten. Durch meine Archivarbeit wusste ich, dass es mehrere Kisten zur Homo-Ehe gibt, die nicht aufgearbeitet sind. Also habe ich mich diesem Thema zugewandt. In etwa drei Wochen werde ich den gesamten Bestand aufgearbeitet haben.
Warum ausgerechnet die Homo-Ehe?
2001 waren ja die ersten Partnerschaften möglich, 2017 die Ehe. Ich bin mit einem Paar befreundet, das beide dieser Schritte sofort wahrgenommen hat. Und auch darüber hinaus, alle meine Freunde sind schwule Paare. Das Projekt ist eine Hommage an Freiheit und Wille zur Partnerschaft. Für mich hat sich das Thema nie gestellt, obwohl ich es nicht abgelehnt habe und ich noch nie eine Beziehung ohne Romantik hatte. Aber ich wollte in meinen Beziehungen immer gut zurechtkommen. Ich habe nicht das Gefühl, unglücklich zu sein, wenn ich allein bin.
Sehr nobel von dir, dein Ehrenamt um die Ehe zu zentrieren, wenn du selbst davon keinen Gebrauch gemacht hast.
Das stimmt, das hat mir aber auch eine gewisse Distanz zum Thema gegeben. Ich hatte einen Studienfreund, der vor langer Zeit an Aids gestorben ist. Er war verpartnert, die beiden hatten ein gemeinsames Leben und eine gemeinsame Wohnung. Nach seinem Ableben haben die Eltern des Partners ihn aus der Wohnung geschmissen und er musste alles an wertvollen Geschenken, wie Schmuck, zurückgeben. Das war für mich einer der ersten Ausrufezeichen, trotz aller Distanz. Das ist absolut ungerecht! So wurde das langsam auch Thema für mich…
Kannst du näher beschreiben, was dich daran reizt?
Im Nachhinein ist diese Anekdote ausschlaggebend für meinen Fokus geworden. Die Aktion Standesamt, und alles, was sich daraus mit Volker Beck und Manfred Bruns entwickelt hat, folgte der Grundidee, die gleichgeschlechtliche Partnerschaft auf juristische Beine zu stellen. Das find ich toll und richtig. Das sind keine sozialfreundlichen Kompromisse, sondern: Gleiche Rechte für gleiche Liebe!
Das macht Sinn, eine moralistische Diskussion hat an der Stelle nichts verloren.
Auch interessant ist, dass sich Ansätze der Konservativen zum einen auf den berühmten Artikel 6 beziehen, also dem Schutz von Ehe und Familie, und zum anderen auf die Unterstellung, dass Homosexuelle keine Kinder bekommen könnten. Das sind wertkonservative Vorstellungen, die mit der Wirklichkeit nichts zu tun haben und somit auch nicht mit der juristischen Wirklichkeit in Einklang zu bringen sind.
Ich sehe hier in deinem Schätzchen geht es auch um die Ehe für alle…
Ja, das Geniale ist, dass im Artikel 6 nicht spezifiziert steht, dass es sich um Mann und Frau handeln muss. In meiner Recherche konnte ich herausarbeiten, dass die Aktion Standesamt 1992 mit dem §1353 den Weg zur Ehe für alle gewiesen hat. 25 Jahre vor der Ehe für alle wurde eine kleine Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuches vorgeschlagen, die 2017 zum Gesetz wurde. Sie liest sich: „Die Ehe wird von zwei Personen verschiedenen oder gleichen Geschlechts auf Lebenszeit geschlossen.“ Früher hieß es: „Die Ehe wird auf Lebenszeit geschlossen.“ Klein aber fein. Ich arbeite seit 2017 an diesem Projekt, bin auf diesen siegesreichen Paragrafen erst 2020 gestoßen. Kaum zu glauben, dass diese Lösung schon seit 1992 in der Welt gewesen ist.
Was macht dein Schätzchen so besonders?
Die Aktion Standesamt war eine der aufsehenerregendsten Kampagnen in Deutschland. Alles, was in Deutschland dazu geschrieben wurde, ist in dieser Archivkiste des Schwulen Museums zu finden. Und wir sehen: Jedes Blatt in Kleinkleckersdorf hat darüber berichtet. Und das ist für mich auch das Mutige der beteiligten Personen, da mussten sich Paare melden, die zusammen die Ehe eingehen wollten. Die haben ihre Namen genannt, sind an die Öffentlichkeit gegangen. Ich denke, dass diese persönliche Identifikation das Ganze sehr gut in der Bevölkerung verankert hat. Die Meinungsbefragungen zu dem Thema wurden danach immer besser!
Was hat es für dich bedeutet, als 2017 die Ehe für alle eingeführt wurde?
Das war nicht so sensationell, weil das 2013 und 2015 bereits in der Luft lag. Es gab Wahlen, bei denen man dachte, sie würden die Diskussion dahin bringen. Als die Ehe für alle dann erst Jahre später kam, hat es sich irgendwie selbstverständlich angefühlt, nicht wie ein großer Gewinn. Ich habe mich nur geärgert, dass ich mit meinem SMU-Projekt noch nicht fertig war!
Bist du der Homo-Ehe gegenüber auch kritisch eingestellt?
Ein Zitat von dem Journalisten Hans-Ulrich Jörges find ich schon toll: „Wer glaubt denn an die Zersetzung der Gesellschaft, wenn sich Lesben und Schwule ausgerechnet das umstrittenste und gefährdetste Institut der bürgerlichen Gesellschaft als Traumziel ihres Lebens auserkoren haben: die Ehe.“ Persönlich sehe ich da nicht wirklich ein Problem. Ganz im Gegenteil, das ist etwas, was ich bei meinen Freunden bewundere: diese kritische Institution, oder anders, Partnerschaft generell, Zweisamkeit, zu wählen und 30, 40, 50 Jahre zusammen zu sein… Das finde ich anerkennenswert und mutig, damals wie heute noch, egal unter welchen Gesichtspunkten, ob verfasst oder nicht, ob freiwillig oder mit dem Ehesiegel. Ich schätze das immer noch sehr hoch ein, wenn man das macht.
So romantisch! Das hast du sehr schön gesagt, Michael. Vielen Dank!
Interview: mino Künze