Von Bühnenlichtern zu Archivschätzen: Nicoles Herz schlägt für kreativen Selbstausdruck und soziale Veränderung. Ein Sabbatjahr und ein unerwarteter Jobwechsel bringen sie schließlich ins Schwule Museum, wo sie ihre eigene Vergangenheit im Archiv entdeckt. Wer bereit ist, sich von ihrer Begeisterung anstecken zu lassen, versteht Verwaltungsarbeit nach diesem Interview vielleicht auch als kreativen Akt.
Nicole! Du bist seit 2019 am Schwulen Museum und hast davor schon diverse Städte unsicher gemacht. Hast du Lust, dich vorzustellen?
Ja klar, ich heiße Nicole Otte und ich bin die Verwaltungsleitung hier im SMU, aber ursprünglich komme ich aus dem Theaterbereich. Hier in Berlin bin ich seit 2005, wo ich das Ballhaus Ost und das tak (Theater Aufbau Kreuzberg) mitgegründet habe. Ich habe auch als freie Produktionsleiterin gearbeitet, an Orten wie das Theater unterm Dach und dem Deutschen Theater. Viel wichtiger noch finde ich aber mein Projekt mit geflüchteten Menschen aus Syrien im Nordirak, bei dem ich mit Theaterpädagog*innen, Regisseur*innen, Schauspielenden und Traumatherapeuten zusammen arbeiten durfte. Wir haben also Theater- und Schauspielworkshops angeboten und damit Selbstermächtigungsstrukturen aufgebaut. Das fing 2015 an, und mit einigen Teilnehmenden von damals habe ich noch heute Kontakt.
Das ist nicht wenig, was du da gemacht hast; wo warst du, bevor du nach Berlin gekommen bist?
Von 1999 bis 2004 war ich in Köln. In meinen Kölner Jahren war ich sehr politisch und ehrenamtlich aktiv in der queeren Szene. Beispielsweise war ich Vorstandsmitglied im Schulz, habe eine Jugendtheatergruppe geleitet, mit der ich auch beim EuroPride aufgetreten bin, und war Mitgründerin des Veranstaltungs- und Kampagnen-Bündnisses Unser Dorf soll schöner werden.
Dich treiben queere Themen ja richtig in die Aktion!
Das stimmt, ich bin seit 24 Jahren ehrenamtlich aktiv. Vor fünf Jahren habe ich mich der Tresen-AG des Sonntags-Clubs angeschlossen und bin jetzt seit zwei Jahren Teil des Vorstands dort. Das war dann auch wirklich schön, das Jubiläums-Ausstellungs-Projekt lieben. kämpfen. tanzen. im SMU mitzuleiten.
Wie sah dein Weg vom Theater ins Museum aus?
2018 habe ich ein Sabbatjahr gemacht, für das ich mir Selbstfürsorge vorgenommen hatte. Im Endeffekt habe ich dann aber auch viel Zeit und Energie darein gesteckt, mein Woven Theatre Project voranzubringen. Ich war in dem Jahr also auch viel im Irak. Als dann eine politische Wende kam, in der viele Fördergelder vom Irak zurückgezogen wurden, war ich stark damit beschäftigt, Eigenmittel zusammenzusuchen und irgendwie einen guten Abschluss für das Projekt zu finden… Danach war ich erst mal fertig damit, an ein Haus gebunden zu sein und wollte eigentlich als Freie arbeiten. Freund*innen haben mich dann auf eine Stellenanzeige im Schwulen Museum hingewiesen. Nach etwas hin und her habe ich dann am letzten Tag des Jahres meine Bewerbung geschrieben und abgeschickt. Nachdem ich verhandeln konnte, dass ich meine Hündin Silva ins Büro mitbringen kann, habe ich eine Woche später den Vertrag unterschrieben.
Und wie gefällt es dir jetzt bei uns?
Im Theater hast du jedes Jahr 6 bis 8 Wochen Sommerpause. In der Zeit war ich immer reisen, das vermisse ich schon. Außerdem war an den Orten, an denen ich früher gearbeitet habe, die Taktung der Produktionen auch sehr eng, deshalb war man quasi alle zwei Wochen in einer neuen Welt. So gesehen ist es hier im Museum schon etwas ruhiger,, dafür ist aber unsere Community sehr abwechslungsreich. Politische und gesellschaftliche Kämpfe entladen sich in unserem Mikro-Kosmos nochmal ganz anders! Der Reiz ist ein anderer, der kann einiges kompensieren. Aber die Arbeit im Irak vermisse ich schon sehr, ich würde gerne nochmal vor Ort sein und alte Bekannte treffen.
…und was reizt dich so an der Verwaltungsarbeit?
Es klingt öder als es ist (lacht). Was wirklich toll ist an der Verwaltung, auch wenn es nicht danach aussieht: man kann ziemlich viel mitgestalten. Im Grunde genommen gehen alle Aspekte des Museums einmal durch die Verwaltung, alle Veranstaltungsflyer, neue Ehrenamtliche, Ausstellungsanträge und jedes Werkzeug, das unsere Werkstatt braucht… In der Verwaltung weißt du über alles Bescheid. Im Prinzip ist die Verwaltung also ein Steuerungsinstrument. Das macht unheimlich Spaß, weil du damit den Kolleg*innen Dinge ermöglichen kannst, indem du beispielsweise Budget freischaufelst. Natürlich muss ich schauen, den Sack auf der anderen Seite auch wieder zuzumachen; manchmal spiele ich also auch Bad Cop, um die Zahlen im Griff zu behalten…
Das erklärt also deinen kompetenten Auftritt, das steht dir!
(lacht) Danke dir. Wenn man den Apparat verwaltet, gehört es dazu, im Hintergrund zu operieren.
Jetzt warst du ja nicht immer im Hintergrund, denn dein Schätzchen erzählt eine andere Geschichte…
Das stimmt (lacht). Ein wichtiger Ankerpunkt für mich in Köln war das rik Magazin, für das ich die Kolumne Nickie O. geschrieben habe – ein schrecklicher Name, den sich der Chefredakteur und mein bester Freund ausgedacht hat. Nickie O. hat dann in einem sehr schwulen Magazin für lesbische Sichtbarkeit gesorgt. Ich habe vor allem lesbische Künstler*innen porträtiert, mit Interview und Foto. Als ich 2019 im SMU angefangen habe, ist mir aufgefallen, dass ich schon längst im Archiv des Museums anwesend war, eben durch das rik Magazin: meine gesamte Kölner Zeit in Politik und Ehrenamt ist darin abgebildet.
Was macht das mit dir?
Das war schon witzig, in der rik ist alles drin. Ich hab das natürlich mitbekommen, wie wir Magazine verschickt haben. Dass jede Ausgabe dann im größten Bewegungsarchiv Deutschlands landet, macht nur Sinn. Mir ist dann auch klar geworden, dass ich selbst aktiv werden kann im und für das Archiv. Zum Beispiel habe ich dann die Poster der queeren Playboy-Ausgaben für das SMU-Archiv akquiriert.
Gibt es vielleicht etwas aus deinen jungen Jahren, von dem du dir wünschst, es wäre nicht für alle Zeiten archiviert?
Meine schrägen Frisuren! (lacht) Es gibt schon echt ein paar lustige Bilder mit furchtbaren Outfits.
Das ist ja jetzt alles wieder in! Ich kann es nicht abwarten, selbst ein bisschen durch die rik zu blättern und mich inspirieren zu lassen. Danke Nicole!
(Interview: mino Künze)
Bild: Yu Mitomi