Arne ist nicht nur ehrenamtlich im Schwulen Museum aktiv, sondern engagiert sich seit Jahren als Beiratsmitglied der Hannchen-Mehrzweck-Stiftung – einer zentralen Institution für queere Förderarbeit. Im Interview spricht er über den Wert des Stiftens, die Notwendigkeit, Haltung zu zeigen, und warum neben Sichtbarkeit auch finanzielle Unabhängigkeit gerade jetzt, in Zeiten politischer Anspannung und Kulturkürzungen, so entscheidend sind. Ein Gespräch über gelebte Solidarität, strategischen Aktivismus und die Kraft, die in einer gut vernetzten Community steckt.
Hi Arne! Dein letztes Interview mit dem Schwulen Museum war im Jahr 2020, als die Covid-Pandemie grad los gegangen ist. Damals warst du etwas am Leiden, weil alles zu war; du bist ja so eine Kultur-Maus!
Ja, in der Hinsicht bin ich wirklich zu allen Schandtaten bereit. Morgen bekommen mein Mann und ich Besuch, dann geht es ab ins Tipi am Kanzleramt. Gemeinsam sehen wir The Capital Dance Orchestra! So feiern wir 45 Jahre Freundschaft…
Wie bitte? Wie alt bist du denn?
65!
Der anstehende Besuch und du, ihr seid euch also mit 20 Jahren über den Weg gelaufen…
Genau, wir haben zusammen die Ausbildung in der Bank gemacht. Ich habe ja mein ganzes hauptamtliches Berufsleben in der Bank zugebracht, wobei ich seit 1985 im Personalbereich tätig war.
Da sprichst du direkt was an! Du bist ja nach wie vor ehrenamtlich im Schwulen Museum tätig, aber heute wollte ich dich auch zu deiner Tätigkeit als Beiratsmitglied der Hannchen-Mehrzweck-Stiftung befragen! In deiner hms-Kurzbio steht, du warst als Personalreferent u.a. für „Diversity & Inclusion“ zuständig – was bedeutet das eigentlich?
Der Gedanke dabei ist, dass vielfältige Gruppen von Menschen und Mitarbeitenden zu besseren Ergebnissen kommen, als Menschen aus nur einem Spektrum. Hintergründe kann das viele haben: rein banktechnisch gesprochen benötigt eine ganzheitliche Betreuung, wenn du nach einer Lösung für Kund*innen suchst, ein fachlich divers aufgestelltes Team. Du brauchst neben einem Kredit-Menschen beispielsweise auch einen Menschen, der sich mit Anlagen auskennt. Die Anfänge meiner Arbeit in diesem Bereich lagen aber darin, dass wir vor allem Frauen darin unterstützen wollten, voranzukommen. Das war in den 90ern! Damals durfte ich live erfahren, wie sich die Kommunikation und die Arbeitsweise geändert haben, als wir unsere erste Teamleiterin bekommen haben. Als schwuler Mann habe ich mich in der Kommunikation der typischen Hetero-Männer nicht unbedingt wohl und angenommen gefühlt – das wurde schlagartig anders, als die erste Frau da war. Das fand ich sehr beeindruckend, weshalb ich an diese Erfahrung anknüpfen wollte. 1999 habe ich dann gemeinsam mit einer Arbeitskollegin aus New York, wo ich zwei Jahre gelebt habe, ein queeres Netzwerk mitgegründet – mit der Unterstützung des Personalchefs. Je mehr ich mich mit Vielfalt auseinandergesetzt habe, desto klarer wurden die Kategorien jenseits der Geschlechter-Binarität, die mitgedacht werden müssen.
Siehst du eine Korrelation zwischen deinem Engagement in diesem Bereich und deiner eigenen Homosexualität?
Selbstverständlich, ich war gefühlt überall der erste schwule Mann, der sich am jeweiligen Arbeitsplatz geoutet hat. In dem Sinne war ich direkt betroffen! Aufgrund der Tatsache, dass ich mich geoutet hatte, galt ich oftmals als ‚was Besonderes‘. Und auch hier änderte sich das drastisch, als wir irgendwann fünf schwule Männer in der Abteilung waren. Auf einmal wurde gesehen: Aha, das sind zwar fünf schwule, aber doch unterschiedliche Männer! So bekam ich nicht mehr alle Vorurteile der Heteros auf mich drauf projiziert.
Könntest du mir aus’m Stand heraus deine Top-3-Maßnahmen für Diversität und Inklusion nennen?
Wovon ich eben gesprochen habe, wäre so eine: Repräsentation! Hier haben wir immer so 25% angestrebt, damit sogenannte ‚Minderheiten‘ einen relevanten Einfluss auf die Organisation haben können. Dann haben wir irgendwann Zielvereinbarungsprozesse eingeführt, über welche sogenannte „softe Faktoren“, wie Geschlecht oder sexuelle Orientierung, mit in die Zielvereinbarung aufgenommen werden konnten: Was machen Sie als Führungskraft konkret, um Frauen zu fördern? Wie können Sie eine Willkommenskultur für queere Personen schaffen? Solche Prozesse mit Zahlen festzuhalten, macht das Ganze nachvollziehbar!
Wie stand es um die Förderung von People of Color?
Das Unternehmen, in dem ich gearbeitet habe, hatte eine amerikanische Bank übernommen. Die US-Amerikaner waren zu der Zeit wirklich Vorreiter in der Hinsicht, im Gegensatz zu heute. Die mussten sogenannte ‚Equal Employment Opportunities‘ dokumentieren, mit dem Ziel strukturellem Rassismus entgegenzuwirken. So schwierig und unvollständig dieses Programm war, man musste ihnen zugestehen, dass Rassismus so überhaupt ein Thema war! Für Deutschland konnte man das nicht sagen, so meine Einschätzung zumindest.
Verstehe, das bringt uns eigentlich auch zur aktuellen politischen Lage. Du hast mit Sicherheit auch mitbekommen, wie die aktuellen Haushaltskürzungen des Berliner Senats für Kulturinstitutionen ablaufen. Gleichzeitig weißt du selber, wie essenziell Finanzierung ist – macht diese Situation was mit dir?
Ja klar, muss ich ganz ehrlich sagen! Ich war auch bei vielen Demos am Start, wobei ich nicht gedacht hätte, dass ich in meinem Alter noch dafür auf die Straße gehen muss. Wie wir Kultur fördern, oder eben nicht, ist ein ganz wichtiges Thema für eine Gesellschaft. Gerade für Berlin, als Bundesland, welches wirtschaftlich sehr stark vom kulturellen Angebot profitiert hat, seit der sogenannten politischen Wende. Da wird gerade viel kaputt gemacht, auch am internationalen Ruf Berlins.
In deinem letzten Interview hast du von dem Roman „Cabaret“ von Christopher Isherwood erzählt. In dem beschreibt Isherwood die Zeit in Deutschland, kurz bevor die Nazis an die Macht gekommen sind. Würdest du so weit gehen und Parallelen zu unserer aktuellen Lage ziehen?
Klar! Das ist das, was ich befürchte. Wenn ich schon sowas höre wie „Man muss der AfD eben auch entgegenkommen“ oder „Wir können die jetzt nicht einfach so ausgrenzen, die wurden schließlich gewählt“… Da gibt es auf jeden Fall Parallelen zu den Konservativen der 1920er Jahre, die den Nazis den Aufstieg ermöglicht haben. Wir haben das alles schon erlebt! Meine Eltern haben die Nazi-Zeit ‚nur‘ als Kinder erlebt, mit denen habe ich mich erst gestern darüber unterhalten. Die haben genug davon mitbekommen, um heute klare Stellung zu beziehen und uns zu warnen: Leute passt auf, lasst die Geschichte sich nicht wiederholen!
Mit wie viel Optimismus blickst du der Zukunft entgegen?
Ich sage ja immer, ich habe eine gesunde Portion Zweck-Pessimismus und genügend Anteile von Optimismus. Ich glaube schon, dass wir eine ganze Menge noch bewegen können. Ich hätte nicht gedacht, dass ich als Rentner das Gefühl haben würde, ich müsste noch so viel tun. Aber ich kann noch so viel tun und das ist gut so. Es gibt noch Handlungsmöglichkeiten! Solange ich Verbündete habe, verfalle ich nicht in totalen Pessimismus.
Bleibt dein Sicherheitsgefühl unberührt davon?
Nee, ganz und gar nicht. Ich habe letztens erst darüber nachgedacht, beim Anziehen meiner Regenbogen-Socken. Vor ein paar Jahren war das ein Zeichen von Stolz und Kampf, aber mittlerweile habe ich schon manchmal Gedanken wie „An welchen U-Bahn Stationen steigst du heute ein und aus?“… Es lässt mich nicht kalt das Ganze! Sorgenfrei können wir nicht sein, das zeigt sich mit den Anschlägen, die wir hier am Schwulen Museum hatten, und mit den persönlichen Morddrohungen, die uns über die Hannchen-Mehrzweck-Stiftung erreichen. Bei jüngsten Veranstaltungen der hms hatten wir beispielsweise nun auch extra ein Sicherheitskonzept bei den Ein- und Ausgängen…
Gehen wir doch nochmal zurück zur Stiftung, was genau machst du da?
In meiner Zeit in New York hatte ich gelernt, wie eng und solidarisch die Schwulen- und Lesben-Community miteinander sein können und hatte mir so eine Anbindung in Berlin gewünscht. Letztendlich habe ich das dann auch in der damaligen Homosexuellen Selbsthilfe und der Hannchen-Mehrzweck-Stiftung gefunden! Mein Anliegen ist es also, die queere Community als Ganzes nicht auseinanderdividieren zu lassen und dann auch Geld für queere Projekte zu sammeln. Gott sei Dank hat das Hannchen, also Andreas Meyer-Hanno, auch so gesehen. Ich bin damals von Andreas angesprochen und für den Vorstand rekrutiert worden. Zunächst waren wir zwar ein rein schwuler Vorstand, es war aber klar, dass wir nicht nur schwule Projekte fördern wollten. Dass es innerhalb der Community Macht- und Ressourcen-Gefälle gibt, war klar. Deshalb haben wir von Anfang an die Mittel von stärker privilegierten Menschen angenommen und umverteilt, beispielsweise an aktivistische Kontexte. Mittlerweile bin ich seit sechs Jahren im Beirat, wo ich mit meinen Kolleg*innen die Personen für den Vorstand wähle und Vorgaben erarbeite, in welche Richtung sich die hms weiterentwickeln soll. Auch behalten wir im Blick, was für Projekte so genehmigt wurden.
Ganz kurz, wo du den e.V. Homosexuelle Selbsthilfe erwähnt hast: hast du auch den Gossip zu dessen Auflösung? Den Verein gibt es seit letztem Oktober ja nicht mehr…
Ja, dem mangelte es einfach an Nachwuchs! Es gab leider nicht mehr genug Leute, die aktiv im Vorstand werden wollten, und auch die Mitgliederzahlen waren am Fallen. Ich denke so Dinge wie Crowdfunding sind stärker geworden und erlauben es, gezielt für einzelne Projekte Geld zu spenden. Das Modell der Homosexuellen Selbsthilfe wurde an der Stelle wohl einfach überholt. Das mag schmerzlich für viele klingen, die seit X Jahrzehnten den Verein begleitet haben, aber das Angebot an genügend Alternativen hat auch was Gutes.
Danke dafür, das hast du schön gesagt! Das Material, dass du zu unserem Gespräch mitgebracht hast, handelt auch von einer schwulen Selbstorganisation. Wollen wir darüber sprechen?
Ja! Das habe ich im Archiv des Schwulen Museums ausgegraben. Der Witz ist, dass unser Hannchen (Andreas) damals erzählt hatte, dass er in Braunschweig studiert hatte. Und ich hatte meine Coming Out-Zeit auch in Braunschweig! Ich kannte Andreas damals zwar nicht persönlich, aber die schwule Studierendengruppe „Arbeitsgruppe Homosexualität Braunschweig“ war mir ein Begriff. Als Andreas und ich uns Jahre später kennengelernt und über unsere Lebenswege ausgetauscht haben, war die AHB das verbindende Element: Hannchen hatte die Gruppe mitbegründet und mir damit ermöglicht, den ersten Kontakt zu anderen schwulen Männern zu knüpfen. Ich war ihm dankbar, dass er das mit auf den Weg gebracht hat. Das hat mir vieles erleichtert!
Ich sehe da einiges an Druckmaterial!
Ja, die Themengebiete waren breit gefächert. Hier ist zum Beispiel ein Flugblatt aus den 70ern, in dem Aufklärung und Entschädigung für den NS-Terror an den Homosexuellen gefordert wird. Als Hochschulgruppe hat die AHB sich aber auch viel mit der wissenschaftlichen Betrachtung von Homosexualität auseinandergesetzt, um einerseits ‚das schwule Individuum‘ zu stärken, aber auch um die Gesellschaft aufzuklären. Im übrigen habe ich auch meinen damaligen Freund auf einem AHB-Event kennengelernt. (beide lachen)
Was hat Meyer-Hanno nicht für die Community gemacht! Es scheint, als hätte er einen weiten Weg von der Arbeitsgruppe Homosexualität Braunschweig zur Hannchen-Mehrzweck-Stiftung zurückgelegt. Wie steht es momentan um die hms?
Der Stiftung geht es gut; ich erinnere mich noch, wie wir beim Stiftungskapital auf die erste Million hingearbeitet haben, mittlerweile sind wir bei ganzen fünf Millionen! Es kam auch immer wieder zu Spenden und Erbschaften von Menschen, die wir gar nicht kannten; dann wird uns da auf einmal ein Häuschen in Kassel hinterlassen – das ist schon was Tolles! Ich sehe das als Zeichen dafür, dass die Stiftung gute Arbeit leistet und auch für diese bekannt ist.
Welche Projekte siehst du besonders gern finanziell unterstützt?
Ich finde es total wichtig, dass bei der hms auch über den deutschen Tellerrand hinausgeschaut wird, wo queere Menschen mit Ressourcen versorgt werden könnten. So hat die hms dank einer Zustiftung beispielsweise den David-Kato-Fonds eingerichtet, von dem queere Menschen in sogenannten ‚Verfolgerstaaten‘ unterstützt werden Auch den aktuellen Waltraud-Schiffels-Fonds finde ich wichtig, der erschafft nochmal eine Aufmerksamkeit für die Emanzipation von trans* Personen. Ich war bei der Preisverleihung letztes Jahr dabei, das war wirklich sehr emotional.
Fällt dir etwas ein, was das SMU von der hms lernen könnte?
Ich denke, Lernen können wir immer voneinander, aber eigentlich muss ich gerade darüber nachdenken, wie wir hier im Museum immer diverser werden und dass wir uns das auch für Vorstand und Beirat der hms zum Ziel setzen. Da könnte die hms eher vom SMU lernen! (lacht) Hier gibt es so viele spannende Projekte; allein wenn ich an die allererste Ausstellung zum Thema Inter* denke, bekomme ich Gänsehaut.
Du bist ein Charmeur! Dennoch, wie schätzt du die Rolle der hms aktuell ein, wo der Senat vielen queeren Projekten den Geldhahn zu dreht?
Ja, da finde ich es schon ganz wichtig, dass es eben nicht nur staatliche Hilfe gibt. Die hms ist eine private Stiftung. Sie ist unabhängig und möchte unabhängig bleiben. In Zeiten, wo Staatsknete überall gekürzt wird, ist es wichtig, ein weiteres Standbein zu haben – wohlwissend, dass das Staatssäckl insgesamt größer ist. Aber umso wichtiger ist es, dass so eine Stiftung gestärkt wird. Deshalb appelliere ich an die Leute, die etwas zum Vererben und Stiften haben: bitte tut das auch! In dem uns als Stiftung Mittel überlassen werden, können viele konkrete queere Projekte umgesetzt werden. Das kann man dann auch auf der Webseite nachschauen, da ist alles transparent gelistet. Es ist essenziell, dass diese Menschen in der Community aufmerksam auf Institutionen wie die Hannchen-Mehrzweck-Stiftung werden.
Recht hast du, an das Schwule Museum kann man im Übrigen auch spenden! (beide lachen) Bleibst du uns denn noch etwas erhalten, lieber Arne?
Selbstverständlich, so alt bin ich ja noch nicht. Ich finde die Arbeit hier sehr spannend; gerade mit dem Zuwachs an internationalem Publikum machen die Schichten im Café besonders Spaß. Letzens erst hatten wir eine Familie hier, die aus der Ukraine geflüchtet ist und ihren Kindern queere Kultur zeigen wollte – weil sie das bisher so nicht kannten. Da kommt es schon mal vor, dass man sich halb in den Armen liegt, ganz emotional. Ich bin gerne hier, und bleibe das auch bis auf weiteres!
Interview & Foto: Yasmin Künze