Heute rücken wir Dennis Lalla ins Rampenlicht: als junger Musik-Fanatiker, Community Organizer und Skinhead hat Dennis einst die niedersächsische Provinz verlassen, um den Berliner Mythen der Jahrtausendwende auf den Grund zu gehen. Dabei graste er die typischen Hotspots der queeren Szene ab, darunter den Sonntags-Club und das Schwule Museum. Im Gespräch erzählt er von seiner Arbeit in der Eurovision-Song- Contest-Community – yes, that’s a thing! – und zeigt uns ein ähnlich aufgedonnertes Fundstück aus dem Archiv des Schwulen Museums, das sich einen besonderen Platz in Dennis Herz ergattert hat.
Hallo Dennis! Danke, dass du dich heute mit mir unterhältst. Mich interessiert tatsächlich zuallererst, wie ich dich doch für dieses Gespräch begeistern konnte; ich erinnere mich, dich schon mal vor einem Jahr angefragt zu haben…
(lacht) Du weißt ja, irgendwann muss man sich einfach seinem Schicksal ergeben, so tat ich es eben auch. Aber ich bin jetzt gerne hier!
Wie das Schicksal es eben so will! Stellst du dich allen vor, die dich noch nicht kennen?
Klar: Ich bin Dennis und komme gebürtig aus der Nähe von Hamburg, wobei Berlin schon immer meine Traumstadt war. Ende der 1990er war ich mit Freunden bei der Loveparade, kurz darauf habe ich mich als Touri von Berlin, vom Flair und der Leichtigkeit, faszinieren lassen. Ich erinnere mich, dass ich einmal an der Eberswalder-, Ecke Danziger Straße stand, neben mir ein Mann im Rock und Schulrucksack, und auf der anderen Seite eine ältere Dame, ganz distinguiert angezogen, sehr schick… Ich habe sie etwas verschämt angeschaut, sie guckt zurück und im nächsten Moment zucken wir alle mit den Schultern und sind weitergegangen. Das klingt banal, aber das kannte ich einfach nicht! Weder aus Hamburg noch aus Hannover, wo ich als junger Erwachsener hingezogen bin. Anfang der Nuller-Jahre hat dann der Umzug nach Berlin auch geklappt!
Das klingt, als ob du die Urteilsfreiheit in diesem Moment wirklich genossen hast!
Ja, jede Jeck ist anders, heißt es doch so schön. Die Jahrtausendwende ist auch einfach Mythos für Berlin, mit all den Clubs in den kaputtesten Hinterhöfen. Beispielsweise habe ich den Pfefferberg kennengelernt, als der noch aus alten DDR-Buden bestanden hat und auseinanderfiel. Da haben viele schwule Partys stattgefunden, für keine 5 Mark… Ich habe dort Jahre später, bereits im renovierten Zustand, auch einige Veranstaltungen mitorganisiert!
Was für Veranstaltungen waren das?
Na gut, dazu muss ich erstmal gestehen, dass ich ein großer Grand-Prix-Fan bin. Dementsprechend waren es Grand-Prix-Veranstaltungen, die ich zusammen mit Freunden gehostet habe. Gemeinsam haben wir das Eurovision-Weekend ins Leben gerufen. Jeden Sommer haben wir ein dreitägiges Event organisiert, wo reale Grand Prix-Teilnehmende als Gäste aufgetreten sind. Für jedes Jahr gab es ein Partnerland, das mit uns gemeinsame Sache gemacht und Künstler*innen mitgebracht hat. Wir hatten zum Beispiel die allererste Grand-Prix-Gewinnerin Lys Assia zu Besuch, die hat 1956 gewonnen! Daraus ergaben sich dann auch kleinere Formate, wie der Fan-Vision Song Contest, ein kleinerer Wettbewerb für kleinere Stars. Mittlerweile ist das allerdings auch größer geworden: wer da jetzt gewinnt, bekommt für das entsprechende Jahr das Recht, ein Party-Wochenende für die Community auszutragen.
Wow, ich habe noch nie davon gehört… Das sind ja Einblicke in eine richtige Subkultur! Was fasziniert dich so an der Eurovision, dass du so viel Arbeit in dessen Community steckst?
Ich habe nicht die geringste Ahnung! Ich habe das als Kind bei meinen Großeltern gesehen, habe die Abende auf meinem Kassettenrekorder aufgenommen, sogar meine Benjamin Blümchen Kassetten mit den Aufnahmen überspielt… Wenn ich die Lieder aufgenommen habe, blökte dann natürlich immer die blöde Kuckucksuhr oder meine fiese Schwester kam rein und hat Lärm gemacht (beide lachen). Das hat sich einfach fortgesetzt. Als ich von organisierten Fangemeinden Wind bekommen habe, musste ich Teil davon werden. In Berlin war der Anschluss dann auch nicht schwer.
Gibt es etwas per se Queeres an der Eurovision?
… es ist ein unfassbar schwuler Wettbewerb. Auch die Fans bestehen, meiner Einschätzung nach, zu 80% aus schwulen Männern. Ich weiß auch nicht, warum sich das über die Jahre so entwickelt hat.
Ich habe mir sagen lassen, dass du vor deiner Zeit als Mr. Eurovision mal ein Punk warst…
Das lehne ich ab! Ich war ein Skinhead! Aber das ist wohl wahr, ich organisiere bis heute mit alten Bekannten einen Skin- und Punk-Stammtisch im Sonntags-Club. Ich war damals in der queeren Skinhead-Szene unterwegs, so richtig mit nass-rasierter Glatze und Springerstiefel. Ein paar Fotografien davon waren Teil unserer Ausstellung „lieben. kämpfen. tanzen.“ zu 50 Jahren Sonntags-Club. In den alten Programmheften des Clubs bin ich ein paar Mal zu sehen; die sind auch Teil der SMU-Sammlung und liegen im Archiv.
Kanntest du zu deinen Sonntags-Club-Zeiten schon das Schwule Museum und hättest du gedacht, dass du ein Dutzend Jahre später für dieses arbeiten würdest?
Das Schwule Museum kannte man einfach, das schon. Da frühere Kolleg*innen für die Arbeit aus dem Sonntags-Club ins Schwule Museum gewandert sind, war ich im Laufe der Jahre auch in ein paar Ausstellungen. Irgendwann habe ich von diesen auch eine Führung durchs Archiv bekommen; ich erinnere mich gut, wie beeindruckend ich das damals fand. Als ich später dann beruflich im Archiv gelandet bin, dachte ich mir „Moment mal, das sah doch alles ganz anders aus…“ – faszinierend, wie sowas funktioniert!
Wie kamst du zu deiner Stelle bei uns?
Die entspringt einer Stellenkonstruktion der Linken, die vor etwa 5 Jahren eintausend Stellen in einem Programm für Kunst und Soziales in der Stadt verteilt haben. In dem Rahmen habe ich mich hier und da beworben. Zu dem Zeitpunkt hatte ich einen ganz guten Draht zu meiner Sachbearbeiterin beim Arbeitsamt, die wusste auch, dass ich im queeren Bereich tätig war – ich hatte quasi ein Outing bei ihr (lacht). Und kurz darauf hat sie mir die Anzeige des Schwulen Museums über die freie Stelle der Kulturorganisations-Assistenz geschickt. Da habe ich natürlich direkt hingeschrieben, das Bewerbungsgespräch überstanden und den Job bekommen. Heute erledige ich überall im Museum Aufgaben, die dazu beitragen, dass der Museumsbetrieb und die hauseigenen Veranstaltungen reibungslos laufen können.
Nun wolltest du mir im SMU-Archiv auch noch etwas zeigen; was hast du mitgebracht?
Ein Bildnis der Marcel André! Eine der Grand Dames der Berliner Travestie-Szene der 1970er. Die Fotografie ist lebensgroß und wirklich beeindruckend. An einen meiner ersten Tage bin ich beinahe in dieses Kunstwerk reingelaufen, als ich selbstständig unten im Archiv umhergewandert bin. Ich habe Marcel André nie live gesehen, aber sie ist ja eine Legende, und das finde ich faszinierend.
Was verbindet dich mit deinem Fund? Es handelt sich bei dem, ähnlich wie bei der Eurovision, durchaus um ein glamouröses Subjekt…
Es war Liebe auf den ersten Blick! (lacht). Da die Fotografie eins der wenigen Werke ist, das unten frei rumsteht und ich arbeitstechnisch oft im Archiv bin, war und bin ich viel mit diesem Bildnis konfrontiert. Manchmal, wenn die Arbeit im Büro mich frustet, gehe ich gerne ins Archiv und atme einen Moment mit Marcel Andrédurch. Wobei ich deine Vermutung über einen Hang zum Glitz & Glamour bei mir ungern bestätigen würde.
Kannst du das Bildnis der Marcel André in drei Worten zusammenfassen?
Dann müsste ich doch das Wort benutzen: Glamour, Show, Selbstbewusstsein!
Und wenn du es einer Person schenken dürftest, an wen würde es gehen?
An meine Stiefmutter! Wir haben eine leicht verkorkste Familiengeschichte, aber sie hat sich toll um mich gekümmert, obwohl ich sie erst kennengelernt habe, als ich 17 Jahre jung war. Heute hat sie zwei schwule Söhne, einen eigenen und mich, ist eine wirklich schicke, selbstbewusste Frau, die ihr ganzes Leben gegen unterdrückerische Systeme gearbeitet hat, und liebt Berlin, auch wenn sie gerne in der Provinz lebt. Sie könnte mit Sicherheit viel mit diesem umwerfenden Kunstwerk anfangen.
(Interview & Foto: mino Künze)