Wir trauern um unseren ehemaligen Archiv- und Sammlungsleiter Dr. Jens Dobler, der am 13.09.2024 gestorben ist. Während seiner Tätigkeit im SMU von 2010 bis 2015 legte er das Fundament dafür, die Archivarbeit zu professionalisieren und damit unsere einzigartige Sammlung in der Öffentlichkeit bekannt und für die Wissenschaft zugänglich zu machen. „Ohne seine Vorbereitung, seine Kenntnis der Bestände, seine Umsicht und seine Organisation hätte 2013 der Umzug des Archivs vom Mehringdamm in die Lützowstraße auch leicht im Chaos enden können“, erinnert sich Kristine Schmidt, wissenschaftliche Mitarbeiterin im SMU-Archiv und damalige Kollegin von Jens Dobler. „Mit seiner freundlichen und ruhigen Art hat er das Team und auch die Ehrenamtlichen in dieses riesige Projekt eingebunden und mitgenommen.“
Seine Beiträge zur queeren Geschichtsschreibung, insbesondere zur überraschend ambivalenten Rolle der Berliner Polizei in den ersten Dekaden des 20. Jahrhunderts, sind bahnbrechend und eine bleibende und inspirierende Grundlage der Forschung. In der kontroversen Debatte um die Anerkennung lesbischer Frauen als Verfolgte des NS gehörte Dobler zu denjenigen Historiker*innen, die dafür plädierten, den Tatbestand der Verfolgung komplex zu fassen und nicht am Wortlaut des § 175 festzumachen. Auch sein letztes Buch ist wegweisend und eröffnet ein neues, bisher wenig beachtetes Forschungsfeld. Unter dem Titel „You have never seen a dancer like Voo Doo“ rekonstruierte Dobler das „unglaubliche Leben“ des Willy Pape. Pape war ein Weltstar des Varieté Theaters der Weimarer Zeit und damit eine*r von vielen Protagonist*innen dieser vitalen queeren Subkultur, von denen wir häufig nicht einmal den bürgerlichen Namen kennen. Mit Projekten zur queeren Geschichte der Stadt Berlin leistete Dobler auch als Ausstellungsmacher Grundlagenarbeit: Seine Ausstellung zur queeren Geschichte von Kreuzberg und Friedrichshain („Von andereren Ufern“, 2003) und vor allem die Schau „Verzaubert in Nord-Ost“ (2010) eröffnete einen vielschichtigen Blick auf die faszinierende und heute noch manchmal vernachlässigte faszinierende LSBITI*-Geschichte des Ostens der Stadt. Auch im Schwulen Museum unterstützte Jens Dobler zahlreiche Ausstellungsprojekte mit fundiertem historischen Wissen und umfassendem Einblick in unsere Bestände. 2013 ermöglichte er mit „Neues aus der Sammlung“ einen spannenden Einblick in unsere Sammlungsarbeit. Im gleichen Jahr kuratierte er die Wanderausstellung „lesbisch. jüdisch. schwul“, die bereits an vielen Orten gezeigt wurde und immer noch wird.
Nach seiner Zeit im Schwulen Museum leitete Jens Dobler bis 2022 die Polizeihistorische Sammlung im Polizeipräsidium Berlin. Seit Oktober 2022 bearbeitete er für die Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft, in deren Vorstand er von 2007 bis 2022 Mitglied war, das Forschungsprojekt „Die Plünderung des Instituts für Sexualwissenschaft von Magnus Hirschfeld in der NS-Zeit“, das vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste gefördert wird.
„Jens Doblers Beiträge zu unserem kollektiven Wissen sind tiefgreifend“, sagt Ben Miller vom Vorstand des Schwulen Museums. „Es ist unmöglich, über die queere Geschichte Deutschlands zu schreiben, ohne entweder auf seine akademischen Argumente oder auf Sammlungen, die er zu bewahren und zu fördern half, zu stoßen. Als ich ein sehr junger Wissenschaftler war, hat er meine Arbeit mit Respekt und Ermutigung unterstützt. Wir werden ihn zutiefst vermissen.“
Sein Andenken in Ehren zu halten, ist für uns Auftrag, uns weiter intensiv für Aufbau, Erhalt, Erschließung und die öffentliche Sichtbarkeit unserer Sammlungen zu engagieren.
Foto: Jens Dobler bei der Eröffnung der Ausstellung „exhibiting queer“ am 3. Juli 2014 im Schwulen Museum (Axel Wippermann, Archiv Schwules Museum)