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Neuer Archiv- und Sammlungsleiter

2. Mai 2018

Ab 01.06.2018 hat das Schwule Museum einen neuen Archiv- und Sammlungsleiter: Dr. Peter Rehberg. Er hat bisher vor allem akademisch, publizistisch und journalistisch gearbeitet. Rehberg promovierte an der New York University in Germanistik und hat an mehreren Universitäten in den USA und Deutschland geforscht und gelehrt, u.a. an Cornell, Brown, Northwestern und der Universität Bonn. Von 2011 bis 2016 war er DAAD Associate Professor an der University of Texas in Austin und im Frühjahr 2018 war er Max-Kade-Professor an der University of Illinois in Chicago. In Berlin war er zuletzt am ICI Berlin –  Institute for Cultural Inquiry tätig.

Akademisch hat er hauptsächlich in den Feldern Queer Studies, Medienwissenschaften und Popular Culture veröffentlicht, zum Beispiel zu den Themen Pornografie und Eurovision Song Contest. Seine Monografie zu queeren Fanzines mit dem Titel Hipster Porn: Queere Männlichkeiten, affektive Sexualitäten und neue Medien erscheint dieses Jahr bei b_books. Sein aktuelles Forschungsinteresse liegt an der Schnittstelle von Queer Theory und Bildern arabischer Männlichkeit. Dieses Projekt präsentiert er aktuell auch auf einer Konferenz zu Postkolonialismus und Ausstellungskultur, Titel: „Hipster or Arab? Queer Male Forms at Schwules Museum, Berlin“.

Journalistische Texte hat Peter Rehberg u.a. für Merkur, Zeit Online und taz geschrieben, für den Freitag verfasst er regelmäßig Kulturkommentare; von 2005-2006 war er Kulturredakteur der Siegessäule und von 2006-2011 Chefredakteur des schwulen Monatsmagazins Männer. Peter Rehberg hat einen Erzählband und zwei Romane geschrieben, die im Männerschwarm Verlag erschienen sind.

Zu seiner künftigen Arbeit im SMU sagt Rehberg: „Keine Frage, die Aufgabe des Schwulen Museums ist es, LGBTIQ*- Geschichte und Kunst zu sammeln, zu archivieren und zu dokumentieren, gerade weil sie in nicht-queeren Institutionen unterrepräsentiert ist. Der französische Philosoph Michel Foucault hat davon gesprochen, dass die Herausbildung von einem ‚Gegen-Gedächtnis‘ notwendig sei. Diese Aufgabe sehe ich für meine zukünftige Arbeit im Schwulen Museum als zentral an. Gerade weil queer in den deutschen Institutionen bisher kaum vertreten ist, erfüllt das Schwule Museum eine wichtige Aufgabe nicht nur als Archiv und Ausstellungsraum, sondern auch als sozialer Treffpunkt und Diskursraum. Als ein auf diese Weise politisch verstandener Ort, ist das Museum nicht konfliktfrei. Bestehende Konflikte sollten aber weder als Grabenkämpfe zelebriert, noch mit falscher Versöhnungslogik oder hegemonialen Vorstellungen davon, wer hier das sagen hat, zugekleistert werden. Auch innerhalb der queeren Community sind unsere Interessen und Begehren offensichtlich nicht immer dieselben. Das muss offen gesagt werden können und auch in seiner politischen Dimension verstanden werden, ohne diese Fragen zu ideologisieren. Den gegenwärtigen und zukünftigen Konflikten muss sich das Museum stellen, denn sie sind ja viel mehr als die Genervtheiten innerhalb einer Szene, sondern auch beispielhaft für die LGBTIQ*- Kultur und Politik in Deutschland. Wie können wir, anstatt imaginäre und essentialisierende Identitätszuschreibungen gegeneinander in Stellung zu bringen, wieder über den Begriff der Solidarität reden, ohne unsere Verschiedenheiten zu vergessen?“

„Queer“ versteht er dabei nicht einfach nur als einen Sammelbegriff von sexuellen und geschlechtlichen Minderheiten wie lesbisch, schwul oder trans: „In unserer gegenwärtigen sozialen, politischen und wirtschaftlichen Lage kann es nicht anders sein, als dass die Fragen nach Sexualität und Gender immer intersektional gestellt werden zum Beispiel im Zusammenspiel mit Ethnizität, Rasse und Klasse. Im letzten Jahr hat das Schwule Museum dieses Anliegen mit seinen Veranstaltungen zum Postkolonialismus schon beeindruckend präsentiert. Dieses Jahr führt es diese Perspektivierung mit einem vielschichtigen Programm zum Jahr der Frau_en weiter (auf das ich sehr gespannt bin, wenn ich es nach meiner Rückkehr aus den USA, wo ich seit Anfang des Jahres arbeite, selbst miterleben kann). In diesem erweiterten Selbstverständnis sehe ich auch eine große Chance für die Positionierung des schwulen Museums innerhalb der deutschen Museumslandschaft. Vielen Institution würde eine Nachhilfestunde in queer und Intersektionalität mehr als guttun. Das Schwule Museum spielt hier eine wichtige Rolle und hat eine außerordentliche Expertise.“

„Wenn ich den Namen des Schwulen Museums in diesem Sinne als queer, feministisch und intersektional auslege, ist damit aber nicht nur eine thematische Erweiterung gemeint, auch wenn die immer wichtig ist. Es geht dabei auch um queer als ein kritisches Konzept: Ich würde immer dafür plädieren, unsere unterschiedlichen Erfahrungen nicht nur zum Ausgangspunkt der Behauptung einer Identität zu machen, sondern zugleich die Kategorie der „Identität“ mit zu befragen. Nicht nur die lesbische Sichtbarkeit und den schwulen Stolz zu fordern oder zu feiern, sondern in Verbindung damit auch immer zu fragen, was bedeutet es, Sexualität an das Sichtbarkeitsparadigma zu knüpfen? Wer wird unsichtbar, wenn wir sichtbar werden?“

„Das führt nicht nur zu den Anfängen der Queer Theory von vor fast 30 Jahren, sondern auch zur homosexuellen Emanzipationsbewegung nach Stonewall, dessen 50. Jubiläum wir nächstes Jahr feiern. Denn damals wie heute es geht es ja nicht nur darum, Sexualität frei auszuleben, und sich gegen Homo- und Transphobie zur Wehr zu setzen – auch wenn das absolut entscheidend und unverzichtbar bleibt! Es geht aber auch darum, Sexualität als Anlass zu verstehen, einen anderen Blick auf die Welt zu werfen, sie zum Anlass von Kunst und zum Anlass eines anderen Denkens zu machen.“

Worauf er sich bei seiner Arbeit deshalb besonders freut „ist das Zusammenspiel im Umgang mit historischen Dokumenten und künstlerischen Arbeiten, die uns die Dinge auf unterschiedliche Art zeigen. Ästhetik ist ja viel mehr als die Illustration sozialer und politischer Geschichte. Kunst hält immer alternative Entwürfe bereit. Vielleicht sind sie noch nicht verwirklicht, oder vielleicht spielen sie sich in einer Dimension des Alltags oder der Intimität ab, die nicht unbedingt von der Geschichtsschreibung aufgegriffen wird. Aber im Museum können sie zugänglich gemacht werden. Intimität und Öffentlichkeit kommen hier zusammen. Insofern ist das Schwule Museum gerade als ästhetischer Ort zugleich immer ein sozialer und politischer Ort.“

„Ich bin sehr neugierig darauf, was die Sammlung des Schwulen Museums in dieser Hinsicht alles zu bieten hat und sehe in der Betreuung der Sammlung eine große Verantwortung. Lassen sich diese Ideen und Ansprüche im Arbeitsalltag des Museums verwirklichen, wenn es darum geht, Anfragen zu bearbeiten, Neuerwerbungen zu archivieren, den Katalog zu systematisieren oder mit den Interessen der verschiedenen Gruppen des Museums umzugehen? Sollte die Lage einmal unübersichtlich werden, halte ich mich an ein Motto, das mich bei meinem aktuellen Job hier an der University of Illinois at Chicago gerettet hat. Ich halte kurze inne, setze mich hin und frage mich: What would Beyoncé do?“