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Trans* Pride Woche – Insta-Live mit Jonathan

24. Juni 2021

Jonathan verbindet nichtbinären und trans* Aktivismus mit Kunst. Im Rahmen unserer Trans* Pride Woche haben wir mit ihm gesprochen. Das Interview ist ein Transkript des Live-Talks am 22.6.2021. 

SMU: Hallo zusammen! Ich bin Orlando, ich bin Praktikant im Schwulen Museum. Diese Woche haben wir Trans* Pride Themenwoche und heute ein Live mit Jonathan. Stell dich doch mal vor!

Jonathan: Ich bin Jonathan, meine Pronomen sind er oder auch neutrale Formulierungen. Ich bin nichtbinär und trans*, und ich mache ganz viel Online-Aktivismus. Gerade hauptsächlich online, sonst aber auch auf der Straße oder in Gremien zum Thema Geschlecht und Sexualität, generell Queer-Feminismus. Aber mein Fokus liegt schon auf Geschlecht – nichtbinären Geschlechtern vor allem, weil es mich auch selbst betrifft. Und das verbinde ich mit Kunst. Ich bin auch selbstständiger Künstler und illustriere. Das ist eine ganz bunte Mischung. Zum Thema „bunt“ hab ich mich heute auch etwas schick gemacht. (Er zeigt sein Augen-Make-Up.) Ich war etwas nervös, ob ich das wirklich mache oder doch nicht. Dann habe ich meine toxische Maskulinität geboxt. Und jetzt habe ich etwas pinke Augen und freu mich auf den Talk!

Ich bin auch ein bisschen pink, ich habe hier das offizielle SMU-T-Shirt an. Das ist die Abkürzung vom Schwulen Museum… Jonathan, warum bist du denn eigentlich aktivistisch?

Ich glaube, für mich hat sich das so ein bisschen entwickelt. Es gab keinen Morgen, wo ich aufgewacht bin und dachte: „So, jetzt werde ich aktivistisch!“ Sondern es hat sich eher etabliert. Es hat damit angefangen, dass ich selber schon länger wusste, dass ich queer bin und mich auch mit den Belangen auseinandergesetzt hab. Spätestens ab dem Zeitpunkt, wo ich sagte: „Jo, ich bin nichtbinär, probiert doch mal keine Pronomen für mich zu benutzen“, weil ich noch gar nicht wusste, wo es hingeht, was mir guttut und was mir nicht guttut. Da fing’s an, dass ich gemerkte habe, wie krass es einfach ist, als nichtbinäre Person irgendwie gesehen werden zu wollen und repräsentiert zu sein – beziehungsweise nicht repräsentiert zu sein – und was das für einen großen Unterschied macht. Dass ich mich Anfang 20 überhaupt das erste Mal von nichtbinären Geschlechtern gehört habe, zeigt einfach schon deutlich, dass wir viel mehr Repräsentation von nichtbinären Realitäten brauchen. Durch meinen Alltag habe ich angefangen, wütend zu werden, weil es mit den neutralen Formulierungen für mich wenig geklappt hat, oder auch einen neuen Namen zu etablieren. Generell hatte das Thema trans Geschlecht super wenig Aufklärung, zumindest in meinem Dunstkreis, und ich musste anfangen, die Menschen aufzuklären, wenn ich wollte, dass sie irgendwie mit mir respektvoll umgehen. So hat sich das entwickelt, ein bisschen aus der Not heraus. Und da ich generell auch immer gemalt habe und Kunst gemacht habe, auch Soundkunst, fing das auch an, sich in meiner Kunst zu etablieren. Ich habe dann noch mehr Motive gemalt, die mit geschlechtlicher Vielfalt zu tun hatten oder dem Ausleben vom eigenen, wahren Selbst, queer-feministische Themen, Körperbilder… alles, was dieses Thema trans* und nichtbinärer Aktivismus beinhaltet. Somit habe ich das irgendwann auch auf meinem Instagramaccount gemacht und habe mehr darüber geredet, was es eigentlich bedeutet, nichtbinär zu sein. Somit hat sich das eigentlich entwickelt. Eigentlich hat der Aktivismus mich gefunden.

Du hast gerade schon die Kunst und Instagram angesprochen. Gibt es noch andere Kontexte, in denen du aktivistisch bist?

Ja, natürlich. Ich bin gerade an einer Universität. Das bedeutet, das wir hier natürlich auch Hochschulpolitik machen. Auch in der Stadt, wo ich hier bin, gibt es natürlich auch lokale Gruppierungen, die sich für die Belange von LGBTIQA+ Menschen engagieren. Das sind natürlich auch die Plätze, wo ich hingehe und sage: „Jo, ich würde gern mitmachen, ich würde mich gerne engagieren.“ Oder: „Ich habe euren Aufruf gelesen für eure letzte Veranstaltungen.“ Wenn dann nur binär gegendert wurde, dann habe ich sie aufmerksam gemacht. Auch in Hochschulpolitik habe ich einfließen lassen, dass mensch die Belange von trans* und nichtbinären Personen berücksichtigt. Ich habe mit Lehrkräften gesprochen, Diversitätsbüros, mit queeren Arbeitsgemeinschaften hier. Es hat sich dann auch soweit ausgebreitet, dass ich dann irgendwann auch begonnen habe, mit Regional- und Kommunalpolitiker*innen zu sprechen, auf CSD-Ebene. Ich denke, dass mensch auch den privaten Aktivismus nicht unterbuttern sollte. Privater Aktivismus, was bedeutet das? In dem eigenen persönlichen Umfeld beginnt es ja eigentlich, dass mensch die Menschen sensibilisiert, mit ihnen in Kontakt kommt, mit ihnen darüber spricht, wie es ist, queer zu sein, trans zu sein, nichtbinär zu sein. Dort beginnt, darüber zu reden, sich dafür einzusetzen, dass zum Beispiel nichtbinäre Pronomen in die Sprache etabliert werden, neutral gegendert wird. Meinetwegen beginnt das schon im Familienchat, wenn ein Familienmitglied was postet und mensch dann drauf reagiert und etwas ergänzen möchte, was wichtig ist, um nichtbinäre Realitäten darzustellen… oder trans oder queere Realitäten. Eigentlich ist überall ein kleines bisschen Aktivismus drin und ich glaube auch, jede queere Person ist auch irgendwo ein kleines bisschen aktivistisch unterwegs. Mensch muss nicht gleich die Rebellion anfangen… obwohl… doch, vielleicht!

Das ist ja ein extrem breites Bild, das du da aufgezeigt hast! Was hat denn für dich Aktivismus mit Community zu tun?

Ziemlich viel! Grade zum Zeitpunkt, wo ich angefangen habe, mehr über queere Realitäten zu sprechen, fing es an, dass ich den Kontakt zu anderen Menschen gesucht habe, die queer sind, die ähnliche Lebenssituationen haben wie ich, wie zum Beispiel ihre Geschlechtsidentität herauszufinden. Das ist ja ein Prozess, der sich ziemlich ziehen kann, wo mensch ganz viel entfusseln muss. Was von mir ist eigentlich das, was ich als Geschlecht empfinde? Was ist Gender Performance – also wie mag ich mich kleiden und anmalen? Wie will ich mich geben, was hat das damit alles zu tun? Was sage ich jetzt zu Tante Irmgard auf der Familienfeier? Da war es für mich persönlich super wichtig, einfach Menschen zu haben, mit denen ich mich auseinandersetzen konnte, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben oder auch ganz andere – und wir darüber sprechen konnten. Und gemeinsam Strategien entwickeln, wie wir mit bestimmten Situationen auch für uns gut umgehen können. Irgendwann kommt, glaube ich, für jede Person, die queer ist oder irgendwie aus dem Raster fällt, der Moment, wo mensch sagt: „Das reicht mir jetzt an Aktivismus, ich muss jetzt erstmal in den Selbstschutz gehen.“ Diese Balance zwischen sich für Rechte einsetzen und sich gleichzeitig einsetzen für die eigene mentale Gesundheit ist etwas, das mir schwerfällt. Da tut es mir gut, mich mit anderen auseinanderzusetzen. Wir haben jetzt gerade einen Livestream auf Instagram, und Social Media ist einfach ein krasser digitaler Space für queere Menschen, um sich zu vernetzen. Wenn ich morgen zum Beispiel eine Kolumne raushaue zu Safe Spaces, nehme ich meine Gedanken, packe sie in ein Format und setze sie da hin. Der schöne Moment ist eigentlich, wenn dann die Community oder die Leute, die das lesen, darauf reagieren und sagen, was sie auch so empfinden, wo sie Dissonanzen empfinden, wo sie andere Erfahrungen gemacht haben. Dieser Austausch ist einfach so wertvoll. Dadurch, dass ich mit anderen Menschen in Kontakt komme – sei es auf der Straße oder sei es in Sozialen Netzwerken – sensibilisiere ich mich auch für die Bedürfnisse und Perspektiven der anderen. Dadurch wird mein Horizont total erweitert und auch mein Aktivismus, weil ich dann merke: Das funktioniert total gut. Oder: Hier haben Menschen Probleme, zum Beispiel bei gegenderter Sprache. Das ist ein großes Thema  in der Mehrheitsgesellschaft, wo ich in meiner queer-feministischen Bubble gar nicht so viel diskutieren muss, ob es wichtig ist oder nicht. Aber wenn mensch in den Sozialen Medien ein paar Blasen weiterhüpft, merkt mensch schon, dass es noch viel Redebedarf gibt. Da gemeinsam zu interagieren, mit Menschen in Kontakt zu kommen, zu gucken: Wo sitzt jetzt eigentlich die Krähe schief? (lacht) Dieser Lernprozess ist ein sehr wertvolles Gut für mich. Und da wir alle in einem großen Lernprozess sind, ist es für mich ein krasses Tool, diese Communityplattform, wo Menschen sind, die trans oder nichtbinär sind, aber auch behindert, neurodivers, Bi_PoC, Menschen, die noch ganz andere Perspektiven mitbringen, andere Erfahrungen, andere Diskriminierungsformen, wo sich Situationen ganz anders auflösen und ganz andere Probleme mit sich bringen. Das ist super spannend, natürlich auch oft super erschreckend, aber auch super schön für mich zum Lernen und Sensibilisiert-Werden für meine Art, mit Menschen umzugehen, mit aktivistischen Sachen umzugehen und Räume zu schaffen, die barriereärmer sind, wo mensch sich gut und sicher austauschen kann. Jetzt habe ich sehr viel geredet… Community ist auf jeden Fall sehr wichtig für Aktivismus, finde ich. Gerade im Austausch und um Kritik anzunehmen.

Danke für die Zusammenfassung! Weil du gerade das Thema Sprache angesprochen hast, würde ich kurz überleiten zu einer Frage, die wir bekommen haben. Wir haben vorher einen Fragesticker in der Story gepostet und eine Person hat gefragt, was es mit nichtbinären und genderneutralen Pronomen auf sich hat. Vielleicht magst du deine persönliche Perspektive erzählen oder auch generell wissenswertes?

Ich glaube, es kommt drauf an, in welchem Umfeld mensch sich bewegt. Im deutschsprachigen Raum gibt es ja das große Problem, dass es kein wirklich etabliertes neutrales Pronomen gibt. Im Englischen ist ja they/them inzwischen fast angekommen. Das ist sehr cool, obwohl es dort natürlich auch noch Probleme gibt, es als das „wahre“ Pronomen anzuerkennen. Im deutschsprachigen Raum existieren hauptsächlich Neopronomen. Neopronomen sind quasi neue Pronomen, also Pronomen, die extra dafür erfunden oder aus anderen Sprachen entlehnt wurden, um eine neutrale Form von Ansprache zu etablieren. Im Chat wird gerade geschrieben: „Im Deutschen gibt es xier.“ Das ist eines dieser Neopronomen. Es gibt auch hen, das kommt aus dem Schwedischen. Nin ist auch ein neutrales Pronomen, was oft benutzt wird. Ich sehe auch manchmal, dass eos benutzt. Das ist quasi eine Abkürzung von „er oder sie“. Das finde ich irgendwie ganz sweet, weil ich es noch den Bezug zur deutschen Sprache hat. Für mich persönlich würde es nicht in Betracht kommen, weil „er oder sie“ ist wieder so eine binäre Sache, die aufgefächert wird. Aber das muss jede Person selber entscheiden. Je nachdem in welchem Umfeld du bist, ist es natürlich einfacher oder schwieriger, so ein Pronomen für sich selbst zu etablieren. Wenn ich jetzt in einer queeren, feministischen, bunten Community bin, wo alle schon ein bisschen im Thema drin sind, ist es natürlich einfacher – wenn auch nicht immer ganz einfach – für sich Pronomen zu etablieren, zum Beispiel nin oder hen. Manchmal klappt es ja, zumindest im kleinen Freundeskreis. Dann gibt es den Komplex der konservativen Mehrheitsgesellschaften, wo mensch wahrscheinlich mehr auf Gegenwind stößt, und leider auch viel Feindlichkeit.

Ist das für dich persönlich auch ein Grund, warum du keine Neopronomen verwendest?

Ja, auch. Ganz am Anfang meiner Reise, habe ich versucht, keine Pronomen für mich zu etablieren, oder neutrale Formulierungen zu nutzen. Ich habe mich da hauptsächlich Jona genannt und nicht Jonathan. Jona ist ja auch ein geschlechtsneutraler Name. Das hat aber einfach echt nicht gut funktioniert. Es war einfach jedes Mal so, dass ich misgendert wurde, hauptsächlich mit alten Pronomen angesprochen wurde. Name war tatsächlich gar nicht so das Riesenproblem, Pronomen aber doch, weil es nichts gab, wo mensch mustermäßig zurückgreifen konnte. Ja, das ist auf jeden Fall ein Grund, warum ich selber keine Neopronomen verwende. Ich bin außerdem in der privilegierten Situation innerhalb der nichtbinären Community, dass ich mich wohlfühle mit dem binären Pronomen er/sein. Grade in konservativen Kreisen ist es so schon relativ schwer als trans* Person und dann kann ich wenigstens auf das „altbackene“ er/sein zurückgreifen und fühle mich damit sogar wohl. Das ist ja der Punkt, dass mensch sich wohlfühlt und gesehen und angesprochen fühlt. Deswegen kommt es zu den Pronomen, die ich gerade nutze. Vielleicht ändert sich das nochmal und dann sag ich Bescheid!

Alles klar! Zu dem Zeitpunkt möchte ich alle, die zusehen, darauf hinweisen, dass wir eure Fragen beantworten. Wenn ihr irgendwelche Fragen an Jonathan habt, schreibt sie in den Chat. Sonst habe ich natürlich auch noch jede Menge Fragen an Jonathan. Dann stelle ich vielleicht meine nächste Frage, während ihr alle nachdenken könnt. Du hast ja jetzt schon viel über nichtbinären Aktivismus oder nichtbinären trans* Aktivismus gesprochen. Warst du auch jemals in binären oder zumindest nicht dezidiert nichtbinären trans*aktivistischen Umfeldern aktiv?

Ja und nein. Ich glaube, das verschwimmt immer ein bisschen. Gerade in den Sozialen Medien gibt es ja keine hundertprozentig abgesteckten Räume, wo auf der Tür draufsteht „Nichtbinärer Aktivismus“ und „Binärer Aktivismus“. Wenn ich mir jetzt das Prinzip Kommentarspalte angucke, und es gibt einen Beitrag zur Gewinnerin von Germany’s Next Topmodel, die in diesem Jahr eben eine trans* Frau war. Was super cool ist, auf der einen Seite… ist ein anderes Thema! Da gibt es diese lange Kommentarspalte, wo sich sehr viele unterschiedliche Menschen treffen. Da gibt es Kommentar, wo ich meinen Rucksack mit den Nichtbinärer-Aktivismus-Argumenten auspacke und dann gibt es wieder andere Argumente, wo ich noch ganz anders anfangen muss und wo ich meinen Binär-Trans-Aktivismus auspacke. Da geht es hauptsächlich darum: „Das Geschlecht, was dir bei der Geburt zugeschrieben wurde, muss dein Geschlecht sein“, solche Haltungen auseinanderzufusseln. Ich glaube, dass beide Aktivismus-Communities schon viele ähnliche Argumentationsketten auch benutzen müssen, weil es auch um Geschlechtlichkeit geht und Freiheit und Expression. Zusätzlich kommt natürlich beim nichtbinären Aktivismus noch dazu, dass das Geschlechter sind, die generell noch nicht so etabliert sind in der Gesellschaft, weil sie ganz lange durch den Kolonialismus ausradiert wurden usw. Trotzdem würde ich nicht sagen, dass binärer trans* Aktivismus leichter ist. Überhaupt nicht! Aber es sind andere Punkte, an die angeknüpft werden muss als zum Beispiel bei nichtbinärem Aktivismus. Beziehungsweise beim nichtbinären Aktivismus sind es noch viele kleine andere Punkte, die eingearbeitet werden sollten, wenn mensch mit Menschen redet, die es nicht verstehen, oder die trans*exklusiven Feminismus machen. Da gibt es schon einen krassen Unterschied. Manchmal sage ich nicht explizit, dass ich nichtbinär bin, einfach, um weniger Angriffsfläche zu bieten in bestimmten Runden. Dann ist es eher binärer trans* Aktivismus. Aber es verschwimmt! Ich werde niemals meinen nichtbinären Aktivismus ausschalten. Wenn dann eine Person kommt und sagt: „Es gibt nur zwei Geschlechter,“ sage ich trotzdem, auch wenn ich in meinem Binär-Trans*-Aktivismus-Modus bin: „Ne.“ Das verschwimmt ein bisschen. Ich bin sehr froh, eine große Community zu haben, wo viele Leute sich gegenseitig unterstützen.

Es gab noch eine Frage im Chat. Eine Person hat gefragt: „Gibt es Grabenkämpfe um die Akzeptanz von nonbinary in der trans* Community?“ Du hast es angesprochen, aber würdest du das auch als Grabenkämpfe bezeichnen?

Grabenkämpfe… Was ist ein Grabenkampf und was ist ein Kampf um Existenzrecht? Grabenkämpfe ist so ein Begriff, der ist auf der einen Seite natürlich ernst zu nehmen, auf der anderen Seite… Als wäre das was, was nicht so wichtig wäre? Oder wo sich die Community in sich selbst zerschlachtet? Klar, es gibt eine Diskrepanz innerhalb der trans* Community von binär trans* Leuten, die zum Beispiel nicht die Existenz von nichtbinären Geschlechtern anerkennen, was ich super traurig finde. Es macht mich auch wütend, aber es macht mich hauptsächlich traurig. Das, was uns eint, ist, dass wir es alle kennen, wenn uns das Geschlecht nicht geglaubt wird. Wenn wir sagen: „Ich bin das und das Geschlecht.“ Und das Gegenüber sagt: „Ne, ich nutze jetzt weiter deinen alten Namen, deine alten Pronomen usw.“ Nur, weil nichtbinäre Geschlechter nicht so etabliert sind – aus Gründen – arbeiten wir natürlich noch gegen ganz andere Windmühlen an, leider auch oft innerhalb der Community. Aber ich kenne auch viele binär trans* Menschen, die supercoole Allies sind. Und das ist wiederum schön.

Ein sehr schöner Abschluss für die Frage! Ich habe grad gesehen, du hast einen Dino in der Hand. 

Mein kleiner Ankylosaurus ist das, glaube ich. Es ist kein Ankylosaurus, der hat noch kleine Hörner, aber ich habe jetzt den Namen vergessen. Ich brauche immer was in der Hand zum Rumspielen. Das gibt meinem ADHS-Kopf dann ein bisschen was zu tun, ist ganz schön zur Konzentration.

Meine nächste Frage, und das passt zum Kontext Museum: Welche Rolle spielt denn die Kunst in deinem Aktivismus?

Erstens: eine große. Ich glaube, ich würde eher sagen: Was spielt der Aktivismus in meiner Kunst für eine Rolle? Kunst ist für mich ganz viel Ausdruck. Das zieht sich von meinen Illustrationen, die auf Instagram auch visuell zu sehen sind über Sound, über Theater, über Texte, über lyrische Zeilen, alles, was irgendwie unter Kunst fallen kann… Performance… das ist auch geprägt von meinem Sein. Und mein Sein ist eben ganz viel queer – queere Realität und queeres Leben. Diese Sachen nutze ich dann natürlich auch, um Dinge auszudrücken, die ich mit Sprache und Texten nicht ausdrücken kann. Wie fühlt sich eigentlich nichtbinäres Geschlecht an? Das begegnet mir recht häufig, wenn ich mit Menschen rede. Da weiß ich nie so richtig, wie ich das beantworten soll, weil ich finde, dass das etwas ist, was sich nicht so gut in Worte fassen lässt, jedenfalls nicht für mich. Und da hilft mir die Kunst ganz viel weiter, weil Kunst Sachen ausdrücken kann, die mir vielleicht gar nicht so bewusst waren. Über Farbe, über Linien, über bestimmte prickelnde Sounds, über kleine Gestalten und Figuren, die sich irgendwie aus meinem Unterbewusstsein hervorkramen. Das verknüpft sich in vielen Fällen natürlich total gut, grade, wenn es um queere Repräsentation geht. Wenn ich eine neue Person kennenlerne, die mich inspiriert, egal, ob ich die persönlich kennenlerne oder als Autor*in, inspiriert mich das natürlich auch, mich visuell auszudrücken und das künstlerisch umzusetzen. Oder bestimmte Kämpfe… grade Genderexpression, mit Make-Up in meinem Fall… Das künstlerisch umzusetzen, finde ich sehr wichtig und es transportiert nochmal ganz andere Inhalte. So auch mit Sound! Mit Sound kann mensch auch alles ausdrücken, was für mich nicht visuell funktioniert. Das ein supercooles Tool, um die Grenzen zu sprengen dieses Aktivistischen. Jedes Wort wird von der Community unter die Lupe genommen und seziert. Kunst hat viel mehr Freiheit, da kann ich schneller, brachialer, deutlicher, farbenfroher und intensiver Sachen ausdrücken, die mich in der Seele berühren und nicht nur im Kopf.

Ich feier das sehr, dass du grad das Wort brachial benutzt hast. Mensch merkt auch, wie leidenschaftlich du bei dem Ganzen bist. Eine Person hat gerade geschrieben: „Nonbinär fühlt sich für mich endlich vollständig an.“ Das ist doch schön!

Das kann ich nur teilen. Schön gesagt.

Würdest du sagen, dass queere oder trans* und nichtbinäre Kunst allgemein einen aktivistischen Anspruch haben muss?

Ich glaube, da ist die Frage, die sich dahinter verbirgt: Was ist eigentlich Aktivismus? Wo fängt das an und wo hört das auf? Ich glaube, ich kann aktivistische Sachen tun, ohne dass ich mir dessen bewusst bin. Es kommt auch sehr auf das Umfeld an. Ich glaube nicht, dass Kunst irgendeinem Anspruch genügen muss, außer dem Anspruch der Person, die die Kunst macht. Ein Gemälde zum Beispiel kann natürlich trotzdem in irgendeiner Funktion aktivistisch sein, in einem bestimmten Kontext. Sagen wir mal, eine Person porträtiert sich selbst – die Person ist zum Beispiel nichtbinär – und macht das aus einer ganz anderen Intention heraus. Aber in dem Moment, wo das Portrait zu sehen ist, wo auch zu sehen ist, dass das eine nichtbinäre Person ist, weil bestimmte Themen angesprochen werden, weil es in einer bestimmten Ausstellung ist, weil es an einem bestimmten Ort ist und so weiter, dann ist das schon für mich eine Form von Aktivismus. In dem Moment, wo dieses Gemälde sichtbar ist, wo etwas sichtbar ist, was sonst immer unsichtbar gemacht wird, wie nichtbinäre Menschen, das würde für mich auch schon eine Form von Aktivismus erfüllen. Ich würde es auch als Form von Aktivismus interpretieren, wenn ich im Supermarkt an einem Regal vorbeigehe und ein Sternchen zwischen die männliche und die weibliche Form setze anstatt des Bindestrichs mit einem Edding… was ich natürlich nie mache! (lacht) Das ist für mich eine Form von Aktivismus, und warum sollte das nicht Kunst sein?

Es hat grad eine Person im Chat geschrieben: „Ist queere Kunst nicht immer aktivistisch in einer queerfeindlichen Welt?“ 

Ja… (überlegt) Ja und nein. Ich seh ein großes Ja in meinem Kopf bei der Frage. Wenn mensch jetzt davon ausgeht, mensch versucht etwas deutlich zu machen, was von außen eigentlich angefeindet, dann ist ja jede Repräsentation von Queerness auch aktivistisch. Somit ist auch eine Person, die eine bestimmte Genderexpression hat, die nicht erwartet wird, aktivistisch. Ja, ich würde sagen, es kommt wieder auf den Kontext an. Auch, wenn mensch sagt: „Ich male dieses Selbstportrait nur für mich und leg’s in die Schublade“, dann ist es trotzdem aktivistisch, weil ich mich selbst damit wahrscheinlich empowere. Mich als queere Person. Ja, wahrscheinlich schon. Queere Kunst ist wahrscheinlich immer aktivistisch. Auch, wenn es nicht immer intendiert ist. Wenn jemand noch was dazu zu sagen hat, schreibt es gerne in den Chat, weil ich bin mit dieser Frage grad etwas allein und ich lebe von Diskussionskultur!

Zu allen anderen Themen könnt ihr auch Fragen stellen. Ich hatte gerade einen spannenden, spontanen Gedanken. Aktivismus wird oft als Ehrenamt verstanden, im Sinne von: Es ist Arbeit, aber auf jeden Fall gratis, grad wenn’s Selbstermächtigungsaktivismus ist. Gleichzeitig ist Kunst zwar auch prekär, aber vielleicht will mensch mit Kunst auch Geld verdienen. Ist dann nicht die Gefahr, wenn ich queere aktivistische Kunst mache, dass mir dann gesagt wird: „Naja, das ist ja Aktivismus, deswegen braucht mensch nicht so die Bezahlung oder Anerkennnung in der Kunstwelt.“ 

Hula! Große Frage. Ich würd‘ mich jetzt nicht als eine Person bezeichnen, die krass im Kunst-Business ist. Also auf dem Kunstmarkt, im Sinne von „der Kunstmarkt“, der existiert. Deswegen kann ich aus dieser Perspektive nicht unbedingt was sagen, was der Kunstmarkt zu meinen Illustrationen sagen würde. Aber um deine Frage von Anfang an aufzugreifen, ob Aktivismus immer ehrenamtlich ist: An sich ist Aktivismus ganz oft ehrenamtlich, weil mensch oft keine finanzielle Entlohnung bekommt für das, was mensch tut. Es sei denn, es ist ein Aktivismus in einem Verein, der bestimmte Gelder für Personen hat, die bestimmte Sachen machen. Dann kriegt mensch da vielleicht einen Euro. Ich finde es allerdings ein doofes Prinzip. (lacht) Es ist eben ein Haufen Arbeit! Und wenn ich mir einfach anschaue, wieviel Zeit, Energie – auch Freude – aber auch Kraft und Ressourcen ich in meinen Aktivismus reinstecke, allein um meine Posts auf Instagram vorzubereiten… Wäre ich dafür bezahlt, selbst bei Mindestlohn, müsste ich mir keine Sorgen um meine Miete machen. Aber ich muss mir Sorgen um die Miete machen, weil es eben nicht bezahlt wird. Das finde ich irgendwie doof, denn es ist eine Arbeit, die viel Bedeutung hat und die Gesellschaft weiterbringt. Nicht nur eine Person, die Brot backt, sollte für das Weiterbringen der Gesellschaft entlohnt werden, sondern auch eine Person, die sich politisch einsetzt. Dementsprechend sollte queere Kunst auch entlohnt werden und das auch anerkannt werden als Kunst. Nur, weil ich etwas ausdrücke, was zu einer marginalisierten Gruppe gehört und was vielleicht unter den Aspekt Aktivismus fallen würde, heißt es ja nicht, dass es keine Kunst in dem Sinne ist, die nicht entlohnt werden soll. Es gab ja auch viele feministische Künstler*innen, die ja trotzdem ihre Werke verkauft haben, obwohl das auch eine Art von Iteration war, Körper anders darzustellen oder die „weibliche Lust“ darzustellen. Ich glaube, die Situation, in der wir grad sind, ist einfach doof. Weil es eben viel Arbeit ist. Die Aspekte, was Lohnarbeit und was keine Lohnarbeit sein soll, finde ich ein bisschen doof und schwammig. Und gegenüber allen künstlerisch aktiven Person nicht nett.

Das ist gut formuliert, ja. Wir sind langsam am Ende angekommen. Deshalb mein allerletzter Aufruf, sich unten im Chat zu betätigen. Sonst werden wir das Live auch auf jeden Fall auf unsere Seite stellen. Noch eine Frage: Wird queere Kunst außerhalb der Community wahrgenommen? 

Ich glaube, das kann mensch nicht so pauschalisieren. Ich glaube, es kommt immer drauf an, was „außerhalb der Community“ bedeutet. Es gibt ja viele Ausstellungen, grade zur Pride und zu den CSDs, die im öffentlichen Raum stattfinden – grade Kunst, queere Kunst, die im öffentlich Raum steht. Deswegen wird sie natürlich wahrgenommen. Gleichzeitig ist natürlich der Fokus der Mehrheitsgesellschaft nicht auf queer liberation, sondern auf Künstler*innen, die vielleicht schon etabliert sind, oder Künstler*innen, die gerade ganz andere Themen ansprechen. Deswegen würde ich sagen, es ist eine marginalisierte Form der Kunst, weil es auch marginalisierte Themen sind, die darin repräsentiert sind. Aber es gibt natürlich immer eine Chance, wahrgenommen werden. Grade durch Verbündete, wie zum Beispiel feministische Kollektive, die vielleicht nicht unbedingt queer-feministisch sind, aber die Allies sind in dem Moment und queere Kunst ausstellen. Oder Kooperationsprojekte mit Museen, mit Menschen, die lehren, wo zum Beispiel ein Vortrag in der Schule gehalten wird: „Queerness in der Kunst“. Wo die Schüler*innen, dann lernen, dass es noch ganz andere Bereiche am Kunstmarkt gibt, die gar nicht so repräsentiert sind im Mehrheitsbild der Kunst. Das ist sicher ganz gut zur generellen Sichtbarkeit der queeren Community.

Dann kommt jetzt meine allerletzte Frage: Wenn Zeit, Geld oder Raum keine Rolle spielen würde, welches künstlerische und aktivistische Projekt würdest du dann verwirklichen? 

Ich glaube, ich würde eine multimediale, stadtweite Installation machen. Das geht sogar low-budget! Und zwar würde ich Sticker oder ähnliches drucken und ein paar queere Menschen in die Stadt schicken. Oder auch mehrfach marginalisierte Menschen, die auch queer sind, eigentlich jegliche Diskriminierungsformen, die dann Sticker haben, die sie auf Dinge im öffentlichen Raum kleben können. Zum Beispiel auf ein bestimmtes Plakat: „Das ist sexistisch!“ Oder: „Hier ist es super trans*feindlich!“ Also zum Beispiel eine Aussage aus einem Werbeprospekt oder einem Plakat oder bestimmte Aussagen in Museen… jetzt nicht unbedingt im Schwulen Museum. Aber wenn es um berühmte Dichter geht, deren Queerness ständig verschwiegen wird, könnte mensch das auch einfach schön dranpatschen. Also die Queerness dieser Welt sichtbar machen für Menschen, denen sie noch unsichtbar ist. Dieses ganze Wissen, was wir uns durch unsere queere Community so zusammenklauben oder was im Schwulen Museum großteils ausgestellt ist, das mensch das einfach sichtbar macht, dort, wo alle Menschen sind. Und sagt: „Wir sind hier! Wir existieren! Das geht so nicht, das geht so nicht. Wir ballern euch jetzt mal zu, was uns so tagtäglich entgegenschlägt.“ Ich glaube, das wäre ein großes Statement. Ich hätte auf jeden Fall Spaß, die Städte zu bekleben, und ich glaube, viele Menschen auch. Und ich glaube, es wären viele Menschen einfach überrascht, wie krass die Queerfeindlichkeit ist, sei es Interfeindlichkeit oder Ace-/Arofeindlichkeit. Das ist ja etwas, was gar nicht so sichtbar gemacht wird. Was für eine coole Möglichkeit, das zu tun. Wenn wir Zeit und Raum hätten… ich würde es eigentlich überall machen. Jetzt wird’s Zeit. Jetzt musst du mit mir die Stadt bekleben!

Falls deine Aktion was wird, sag uns auf jeden Fall Bescheid! Ich schließe mit deinem Zitat: „Die Queerness dieser Welt sichtbar machen, dort, wo sie noch unsichtbar ist.“ Das ist quasi deine Mission. Ich sehe schon, im Chat haben wir auch ein paar Verbündete. Vielen, vielen Dank, Jonathan, dass du dir die Zeit genommen hast, auch wenn es technisch ein bisschen holprig begonnen hat! 

Vielen Dank für die Einladung! Es war mir eine Freude, deine Fragen zu beantworten. Vielen Dank an alle, die dabei waren. Und vielen Dank an das Schwule Museum Berlin. Tschau!