Die Rolle der Frau* in der Berliner Operette Frau Luna 1899 und die queer-feministischen Realitäten 2018. Mit Andreja Schneider und Christoph Marti (Geschwister Pfister), Vera Hofmann (Schwules Museum*) und Dr. Kevin Clarke (Operettenexperte)
2018 begeht das Schwule Museum das Jahr der Frau_en als queer-feministische Intervention. Schon am 17. Januar startet zum ersten Neumond des Jahres die ganzjährige Filmreihe 12 Monde, kuratiert von Vera Hofmann und Gästen. Darin finden starke weibliche* Subjektpositionen und Identifikationsfiguren einen Raum. Gezeigt werden alternative Sichtweisen auf Lebensrealitäten jenseits der gängigen hetero- und homonormativen Narrative und Repräsentationen Die Filmreihe eröffnet Einblicke ins Alltagsleben und Begehren von FrauenLesbenTrans*Inter und hinterfragt Beziehungsstrukturen und Machtgefüge. Es werden heilende Momente gesucht, utopische Phantasien und Zeugnisse des globalen Kampfes von Frauen* um Respekt, Selbstbestimmung und Entfaltungsräumen.
Fast zeitgleich kehrt am 11. Januar kehrt die erfolgreiche Produktion der Paul-Lincke-Operette Frau Luna ins Tipi-Zelt am Kanzleramt zurück, auf der anderen Seite des Tiergarten. Das Stück wurde 1899 in Berlin im Apollo-Varietétheater am verruchten Südende der Friedrichstraße uraufgeführt, mit einer Titelheldin, die als Frau einen ganzen Mondstaat regiert, sich weigert den Konvention zu entsprechen, und die sich stattdessen lieber (sexuell und politisch) nimmt, was ihr gefällt und so oft es ihr gefällt. Ohne Scham und Schuldgefühle.
Das sind Dinge, die fürs Deutsche Reich um 1900 unerhört waren. Sie zeigen, wie emanzipiert die Ur-Operette (aus dem Pariser Demi-monde-Milieu kommend) einmal war, bevor sie von den Nationalsozialisten nach 1933 zur biederen alten Märchentante degradiert wurde, als die viele sie aus dem Fernsehen und von abschreckenden Theaterproduktion kennen.
Die Berliner Neuinszenierung von Bernd Mottl – mit einem betont queeren Cast – erinnert an diese liberalen Urzustände des Genres.
Wir wollen diskutieren, wieso der emanzipatorische Zug der Operette später verloren ging und warum sich heute so viele Menschen schwer damit tun, die heteronormative Normen sprengende Utopie der Ur-Operette neu zu entdecken und wertzuschätzen. Was bedeutet es für Darsteller_innen wie Andreja Schneider eine Rolle wie Frau Luna zu spielen? Mit welchen Frauen*-Klischees und Vorurteilen wird sie konfrontiert? Und wieso nehmen Männer jetzt Frauen auch noch ihre Rollen weg, etwa Christoph Marti, der als Frau Pusebach in Frau Luna auftritt? Ist diese Form von Cross-dressing ebenfalls Teil der Wiederentdeckung der Ur-Operette? Welche Erfahrungen hat Marti als ‚Frau‘ auf der Bühne gemacht (als Dolly in Hello Dolly und Clivia in Nico Dostals Clivia), im regulären Staatstheaterbetrieb unter Kolleg_innen, aber auch als Reaktion aus der queer-aktivistischen Szene?
Und wie sieht Frau Luna heute aus, wenn man das Stück aus queer-feministischer Perspektive betrachtet? Lässt sich aus der Mond-Thematik mehr herausholen, als viele bislang dachten? Der Neumond steht bekanntlich für Erneuerung in jedem Zyklus, dafür dass Dinge immer wieder neu ans und ins Licht kommen. Bringt Frau Luna im Tipi neues Licht in die deutsche Operettenszene, auf die Barrie Kosky mit seinen Komische-Oper-Produktionen auch schon ein deutlich queeres Schlaglicht geworfen hat? Ist der Mond mehr als nur eine Metapher für unsere Träume?
Über Machtpolitik, kosmische Liebe, heilende Momente, utopische Phantasien, sexuelle Selbstbestimmung und die Zustände im Showbusiness für Frauen* und Frauen*-Darsteller_innen wollen wir diskutieren mit Vera Hofmann, Kuratorin der 12 Monde-Filmreihe sowie Kuratorin des Jahr der Frau_en im Schwulen Museum, Dr. Kevin Clarke, Operettenexperte und Autor des Buchs Glitter and be Gay: Die authentische Operette und ihre schwulen Verehrer, sowie mit Andreja Schneider und Christoph Marti von den Geschwistern Pfister. Angefragt ist ein_e weiter_e Darsteller_in aus dem Cast von Frau Luna.