Diesen Sommer inszeniert mit Komische-Oper-Intendant Barrie Kosky erstmals ein selbsterklärtes „schwules jüdisches Känguru“ bei den Bayreuther Festspielen. Eine Konstante in der Arbeit des australischen Regisseurs ist die queere Perspektive – so auch bei den Werken Richard Wagners.
Aber was genau ist diese queere Perspektive? Und wie erlebt ein schwuler Australier wie Kosky die orgiastische Überwältigungsmusik von Richard Wagner? Kosky sagt in bestem Facebook-Deutsch zu seinem Wagner-Verhältnis: „It’s complicated.“
Die komplizierte Beziehung teilt er mit vielen Schwulen der Vergangenheit. Bereits 1873 veröffentlichte ein gewisser Dr. Th. Puschmann Richard Wagner: Eine psychiatrische Studie und meinte, der Komponist sei „psychisch nicht mehr normal“ wegen seines Interesses an „Männerliebe“. 1895 beschreibt Oskar Panizza in Bayreuth und Homosexualität den Parsifal als „Ersatzbefriedigung für Päderasten“. Der italienische Kriminologe Cesare Lombroso nennt Wagner 1897 in Genio e degenrazione „un psicopatico sessuale“. Walter Pater – Lehrer von Oscar Wilde – schreibt 1877 über den Tannhäuser-Mythos. Wobei Tannhäuser als Geschichte zwischen Sinnestaumel im Venusberg und keuscher Ritterwelt von Homosexuellen gern als Metapher auf ihr eigenes Leben interpretiert wurde. Auch von Oscar Wilde in Das Bildnis des Dorian Gray (1890/91). Siegfried Wagner nannte Tannhäuser seine Lieblingsoper und inszenierte sie 1930 bei den letzten von ihm geleiteten Festspielen – ein homoerotischer Triumph, trotz Protesten von konservativ-völkischen Wagnerianern.
Wie reagieren Zuschauer_innen und Kritiker_innen heute, wenn man Wagner queer interpretiert? Laufen sie immer noch Sturm, wie 1930? Was für Erfahrung hat Barrie Kosky im Laufe der Jahre mit Homophobie im Opernbetrieb gemacht, welche macht er noch immer als Intendant der Komischen Oper? Wie geht er mit den permanenten Anfeindungen um, vor allem von schwulen Großkritikern?
Barrie Kosky ist unser Gast im Rahmen der Siegfried-Wagner-Ausstellung und wird mit Kurator Dr. Kevin Clarke über Wagner diskutieren, nachdem die beiden bereits 2016 für RBB über Tschaikowsky und Homosexualität gemeinsam auf dem Podium in der Behrenstraße saßen.
In einem Statement für die Siegfried-Wagner-Ausstellung sagt Kosky übrigens zu Richard Wagner: „Seine in den letzten Jahrzehnten aufgedeckte Besessenheit für rosa Seidenunterwäsche und Korsette deutet darauf hin, dass Wagner ein Cross-Dresser war. Parsifal in Dessous komponiert! Was für eine Vorstellung!!!“