Die Geschichte einer chemischen Substanz namens DNCB ist der Ausgangspunkt für unser Projekt. DNCB wurde in Film- und Fotolabors als Bestandteil der Farbverarbeitung eingesetzt. Es konnte noch in den 90er Jahren leicht über Kodak bestellt werden. Im Jahr 1986, während der sogenannten AIDS-Krise, entdeckten Ärzte und Patienten in San Francisco durch Selbstversuche, dass DNCB auf der Haut eine positive Wirkung auf das Immunsystem hatte und eine Behandlungsmethode für Kaposi-Sarkom darstellte. Sie engagierte sich für die medizinische Erforschung der Substanz und gründeten die ersten unabhängigen Guerilla-AIDS-Kliniken. Wir – Kerstin Schroedinger (Berlin) und Oliver Husain (Toronto) – waren fasziniert von der Überschneidung von Film und Medizin in dieser spezifischen Konstellation. Aus unserer heutigen Perspektive ist es sehr berührend und stark, dass in einem Moment, in dem der technologische Fortschritt die chemische Entwicklung analoger Filme quasi obsolet machte, einer der Bestandteile dieses Verfahrens einen anderen, nicht-filmischen Gebrauchswert erhielt. Darüber hinaus haben die radikal unabhängigen Aktionen und Einstellungen von AIDS-Aktivist*innen und -Künstler*innen in den späten 80ern und frühen 90ern eine neue Relevanz im heutigen reaktionären politischen Klima.
Aus unserer Recherche haben wir eine experimentelle installative künstlerische Arbeit entwickelt, die Verbindungen zieht zwischen Selbstmedikation und unabhangigen Filmentwicklungslaboren durch ein Verflechten von Materialexperimenten, historischer Forschung und Performance. In der Präsentation im Schwulen Museum installieren wir die verschiedenen Elemente von Sound, Text, Video, Film und Performance in einer vielschichtigen Anordnung. Wir suchen dabei Fragen an heutige Gesundheitsdiskurse zu stellen und die Verbindungen von biologischen und sozialen Körpern anhand der historischen Krise und ihrer Behandlungsmethoden zu rekonstruieren.
Oliver Husain ist ein in Toronto lebender Filmemacher und Künstler mit einem besonderen Interesse an theatralischen und filmischen Konzepten von Zuschauerschaft und Inszenierung. Husain’s Videoinstallation “Isla Santa Maria 3D” wurde 2017 im Forum Expanded der Berlinale und im Kunstverein Nürnberg gezeigt. 2018 wurden seine Arbeiten in Einzelausstellungen im Remai Modern Museum of Contemporary Art, Saskatoon; der Galerie Susan Hobbs, Toronto; Republic Gallery, Vancouver und Galerie Clages, Köln präsentiert.
Kerstin Schroedinger arbeitet in den Bereichen Film/Video, Sound und Performance. Ihre historiographische Praxis befragt die Mittel der Bildproduktion, historische Kontinuitäten und ideologische Darstellungen der Repräsentation. Zu ihren jüngsten Arbeiten gehören Bläue (Video, 2017) und Der angebliche Körper (Performance), aufgeführt beim Images Festival Toronto und bei Les Complices* Zürich 2017. Ihre Arbeiten wurde unter anderem im Whitney Museum of American Art, Anthology Film Archives New York, Forum Expanded der Berlinale, Internationales Filmfestival Toronto gezeigt, Ausstellungen unter anderem im MIT List Visual Arts Center Boston (2016), PhotoCairo #6 (2017), Kunstpavillion Innsbruck (2017).
Foto: DNCB, Videostill, O. Husain/K. Schroedinger, 2018
Eine Kooperation mit der Berliner Senatsverwaltung Kultur und Europa, Toronto Arts Council, Pro Helvetia und der Schweizer Kulturstiftung.


