Lange Zeit war die Überzeugung, ein gemeinsames und identisches Diskriminierungsschicksal zu teilen, Dreh- und Angelpunkt sexueller, geschlechtlicher und anderer, z.B. antirassistischer Emanzipationspolitiken. Das Bekenntnis zu einer solchen gemeinsamen Identität, die im politischen Kampf stark und wertvoll gemacht werden soll, gehört klassischerweise zum schwulen und lesbischen Comingout. Queerpolitik hat seit den 1990er Jahren diese Gemeinsamkeit infrage gestellt und Identität als Grundlage politischer Organisation abgelehnt, weil mit der sogenannten Identitätspolitik Vereinheitlichungszwänge einhergehen würden und andere Ungleichheitsverhältnisse in den Hintergrund träten. Neuerdings sieht sich “Queer” aber selbst dem Vorwurf ausgesetzt, Identitätspolitik zu betreiben. Die Siege der Rechtpopulist*innen würden auf das Konto einer übertriebenen, auch queeren, Identitätspolitik gehen.
Was ist dran an diesem Vorwurf? Was steht bei politischen Kämpfen mit und ohne Identität jeweils auf dem Spiel, und müssen sie sich überhaupt ausschließen? In dieser Queer Kitchen wollen wir nach einem kurzen Input von Volker Woltersdorff zur Geschichte und Zielsetzung von Identitätspolitiken gemeinsam darüber diskutieren, welches Verhältnis wir zu welchen Identitäten einnehmen können und wollen. Wir wollen respektvoll unterschiedliche Beweggründe austauschen und ausloten, welche Konfliktlinien sich daraus ergeben und wie wir sie bearbeiten können.
Volker Woltersdorff alias Lore Logorrhöe ist freischaffender Kulturwissenschaftler und Queertheoretiker und daneben ist er Bio-Bauer auf einen kleinen Hof im Berliner Speckgürtel.