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Ulrich Enzensberger: Christian Enzensbergers eigensinniges Coming-out 1968

28. September 2017 19:00

Christian Enzensberger (1931-2009) im Schwulen Museum Berlin? Wer in seinen Werken nach dem Wort schwul sucht, muss lange suchen. Homosexuell? Schwul? Nichts. Weder in seinem philosophischen Werk Nicht Eins und Doch (2013), noch in seinem autobiografisch inspirierten Roman Was ist was (1987). Dabei entwickelt er philosophierend vor den Augen des Lesers intimste Gefühle; dabei lassen die Neigungen seines Romanhelden, eines gewissen Christian, scheinbar an Eindeutigkeit nichts zu wünschen übrig. Aber was bedeutet: Eindeutigkeit?

Bis 1968 ist Christian Enzensberger nur als Übersetzer hervorgetreten – 1962 durch die Übertragung von Gedichten des in Deutschland bis dahin unbekannten Giorgos Seferis, der 1963 den Nobelpreis erhielt, und durch seine bis heute unübertroffene deutsche Fassung von Lewis Carroll´s (Alice im  Wunderland / Alice hinter den Spiegeln, 1963). Sein schillernder Essay Größerer Versuch über den Schmutz, 1968, war ein Coming-out in mannigfaltiger Hinsicht: als freier Schriftsteller, als unerhörter Schmutzfink, als Philosoph und als – ja, aber als was genau? Wo in diesem mehr als zweideutigem Text, in diesem Chor, komponiert aus verschiedensten Stimmen, ist die Stimme des Autors? Wer ist es, dem er das Wort „schwul“ in den Mund legt? Ulrich Enzensberger, *1944, Verfasser u.a. einer Geschichte der Berliner Kommune I (1967-1969), versucht eine Antwort im Sinne seines Bruders.