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Vortrag von Prof. Michael Zywietz: „Wie der Vater so der Sohn?“

23. März 2017 19:00

Es ist ein Phänomen, dass die Musik Richard Wagners ein schwules Publikum so extrem anzieht. Zwei von Wagners frühestens Bewunderern waren König Ludwig II. und Friedrich Nietzsche. Bereits 1873 veröffentlicht Dr. Th. Puschmann Richard Wagner: Eine psychiatrische Studie und meint, der Komponist sei „psychisch nicht mehr normal“ wegen seines Interesses an „Männerliebe“. 1895 beschreibt Oskar Panizza in Bayreuth und Homosexualität den Parsifal als „Ersatzbefriedigung für Päderasten“. Der italienische Kriminologe Cesare Lombroso nennt Wagner 1897 in Genio e degenrazione „un psicopatico sessuale“. Walter Pater – Lehrer von Oscar Wilde – schreibt 1877 über den Tannhäuser-Mythos.

Wobei Tannhäuser als Geschichte zwischen Sinnestaumel im Venusberg und keuscher Ritterwelt von Homosexuellen gern als Metapher auf ihr eigenes Leben interpretiert wurde. Auch von Oscar Wilde in Das Bildnis des Dorian Gray (1890/91). Ein berühmter späterer schwuler Wagnerianer war Thomas Mann, dessen Tod in Venedig von Wagners Tod in Venedig inspiriert ist. Auch in der Neuzeit haben sich schwule Künstler wie Craig P. Russell oder Barrie Kosky wiederholt mit Wagner auseinandergesetzt.

Seltsamerweise hat Siegfried Wagner mit seinen Bühnenwerken keine vergleichbare schwule Fangemeinde aufbauen können, obwohl seine stark autobiografischen Opern einem schwulen Publikum viele Identifikationsmöglichkeit<wbr />en bieten.

Prof. Michael Zywietz lehrt seit 2005 an der Hochschule für Künste Bremen und hat dort 2016 die Tagung „Homosexualität und Musik“ veranstaltet. Dabei hielt er einen Vortrag über die Schwierigkeiten, die die „heterosexuelle“ Musikwissenschaft in Deutschland mit Forschungsprojekten zu schwul-lesbischen Aspekten hat – besonders wenn es dabei „ums Eingemachte“ und um „die Fleischtöpfe“ geht, nämlich die großen Klassiker Händel, Schubert, Wagner usw. Denn dann macht sich Panik breit und beginnen die Verteilungskämpfe, weil viele fürchten, die „Schwulen-Lobby“ könnte die entsprechenden Komponisten ausschließlich für sich reklamieren und Gelder von öffentlichen Förderern würden dann nur noch in „Gay and Lesbian Studies“ fließen – oder noch ‚schlimmer‘, in „Queer Studies“.

Seinen ausgesprochen persönlichen, emotionalen und grundsätzlichen Vortrag aus Bremen wird Professor Zywietz für Berlin modifizieren und im Rahmen der Ausstellung „Siegfried Wagner: Bayreuths Erbe aus andersfarbiger Kiste“ über Richard Wagner und seiner Männerfreundschaften sprechen – und darüber, wie die Forschung damit umgeht.

Anhand von Richard Wagners autobiographischer Schrift Mein Leben unternimmt Prof. Zywietz den Versuch einer Typologie dieser „Freundschaften“ zu erstellen. Die Freundschaftsforschung untersucht die verschiedenen Formen von Freundschaft: aus strategischem Kalkül, Nutzfreundschaften vs. Tugendfreundschaften usw.  Freundschaft wird hierbei als Teil von Intimitätsdiskursen verstanden, die u. a. Affektgemeinschaft und Seeleneinheit voraussetzen können. Die Spielräume der Intimität erschließen sich nicht nur darüber was erzählt wird, sondern auch wie es erzählt wird.

Um den aufkommenden Homosexualitäts- bzw. Sodomieverdacht, der passionierten Liebe, der passionierten Freundschaft zu vermeiden, werden Vorkehrungen getroffen um davor zu schützen.

Die Art und Weise, wie in einer Epoche über Männerfreundschaft gedacht, erzählt und geurteilt wurde, hatte stets auch damit zu tun, wie die Einstellung der betreffenden Zeit gegenüber der Homosexualität war und ist. Wagners Mein Leben bietet reiches Material, um die verschiedenen Formen der Freundschaft zu analysieren.

Prof. Michael Zywietz arbeitet derzeit an einem Buch zur Gesamtheit der Freundschaften Wagners auf der Basis einer breiten Quellenanalyse. Dies ist eine erste öffentliche Präsentation seiner Forschungsergebnisse.

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