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arcHIV

Kategorien

arcHIV begann mit der Sichtung der HIV-bezogenen Materialien im Archiv des Museums, einer der größten Sammlungen zu HIV in ganz Deutschland. Zuerst arbeiteten wir uns durch die HIV-bezogenen Presseartikel und Veröffentlichungen von Organisationen, neben anderen Quellen, und konnten uns hierfür an den auf den laminierten Seiten sichtbaren Kategorien orientieren, die dankenswerterweise bereits vor Jahren bei der Katalogisierung dieses Bestandes erstellt wurden. Diese Gruppierungen, und nicht nur die Materialien die dadurch geordnet werden, stellen bereits an sich Reflexionen über bestimmte Denkrichtungen dar, die aus konkreten zeitlichen Umständen, Orten und sozio-politischen Positionen hervorgingen. Als wir begannen in den Materialien nach Spuren dessen zu suchen, was uns zu fehlen schien, stach der Umschlag mit der Beschriftung Lesben besonders hervor weil er einer der sehr wenigen war, der komplett leer war. Statt sofort zu versuchen diese Leere zu füllen mit Materialien von anderswo, machten wir uns stattdessen erst einmal auf die Suche wo sich Spuren lesbischen Lebens und Wirkens in den anderen Materialien der gleichen Sammlung finden ließen. Dabei trat immer zu Tage, wie sich Lesben – als Gruppe oder als Individuen – in die HIV-Epidemie eingriffen, oder in diese verwickelt wurden: beispielsweise wie ihre Körper Gegenstand der Forschung der medizinischen Forschung wurden, wie sie Geld sammelten und Sorgearbeit leisteten für Personen mit HIV, sie wurden als Konkurrenz angesehen wenn es um die Verteilung öffentlicher Gelder ging, und wurden wahlweise als Gruppe angesehen, die kein Risiko hatte sich mit dem Virus anzustecken, oder eben doch. Beginnend mit Allgemein und endend mit dem Umschlag Lesben, sind hier ausgewählte Materialien ausgestellt, jeweils unter den Originalumschlägen, in denen sie aufbewahrt wurden. Hiermit versuchen wir einen Teil des Archivs direkt in das Museum zu bringen um von den Besucher*innen erforscht und erfahren zu werden.

Du Darfst – Ein Film über Lesben, HIV und Moral

Im Umschlag mit der Beschriftung Österreich stießen wir auf ein Veranstaltungsprogramm aus Wien, in dem eine Filmvorführung eines „Safer-Sex-Videos für Lesben“ namens Du Darfst – Ein Film über Lesben, HIV und Moral beworben wurde. Der Titel des Films bezieht sich auf einen Werbespot der damaligen Zeit, in dem ein fettarmes Produkt beworben wurde, und welches man bevorzugt essen solle anstelle der fettreicheren Variante um Gewicht zu verlieren. Der Safer-Sex-Film wurde 1991 von S.A.F.E. (Sapphos Allerotische Film Edition) in Deutschland produziert, aber war weder im Archiv des Museums zu finden, noch in anderen Archiven in Berlin und Wien, die wir durchforsteten. Durch bekannte Aktivistinnen der damaligen Zeit wurden wir auf bildwechsel aufmerksam gemacht, ein Archiv und ein Ort für „Frauen und ihre Communities, die direkt in Medien, Kultur und Kunst“ aktiv sind. Die Archivperson hat uns zurück nach Berlin gewiesen zu Manuela Kay, einem Mitglied des S.A.F.E.-Kollektivs. Manuela Kay hat uns erlaubt Auszüge aus dem Film in dieser Ausstellung zu zeigen, uns laminierte Filmbeschreibungen in Deutsch und Englisch zur Verfügung gestellt, und eine Kopie des Films an das Archiv des Museums gespendet.

AIDS-Statistik

Als AIDS (Acquired Immune Deficiency Syndrome) – vorher bekannt unter dem homophoben Namen „Gay-Related Immune Disease“ [Schwulen-bezogene Immunkrankheit] – zuerst zu Tage trat, wurde die Krankheit so gedacht, dass sie nur vier Gruppen betreffen solle, die unter dem problematischen Label der vier Hs liefen: “homosexuals, heroin users, hemophiliacs, and Haitians” [Homosexuelle, Heroinnutzer*innen, Bluter*innen sowie Menschen aus Haiti]. Diese Labels wurden zuerst in Policy-Dokumenten in den USA verwendet, fanden aber zum Teil auch in Europa Verwendung, so beispielsweise in einer Empfehlung zu Einschränkungen von Blutspenden von 1983 für den Ministerrat des Europarates. In seiner Analyse der sozialen Konsequenzen dieser rassistischen, homophoben und drogennutzer*innen-feindlichen Kategorien, beschreibt Paul Farmer HIV als eine „Diskriminierungsepidemie“ („epidemic of discrimination“) – und baut dabei auf auf Paula Treichlers frühere Verwendung des Begriffs der „Bedeutungsepidemie“ („epidemic of signification“). Deutlich ist, dass die Verwendung dieser Kategorien durch Personal in Medizin und Gesundheitswesen enorme soziale und politische Implikationen nach sich zog. Die Besonderheiten des deutschen Kontextes gegen indessen oft verloren im traditionellen Fokus auf die vier Hs. Präsentiert hier sind einige der frühesten epidemologischen Publikationen zur Verbreitung des Virus in den ersten zehn Jahren der Epidemie. Auch hier sehen wie ähnliche problematische Gruppierungen, wie beispielsweise die realitätsreduzierende und rassistische Verwendung des Begriffs Afrikaner. Mit der Zeit entwickeln sich neue, vermeintlich präzisere Begrifflichkeiten, auch wenn diese eigentlich nur die Ausweitung der bisherigen vorurteilsbehafteten Begrifflichkeiten darstellt, so wie Homosexuelle Fixer oder Heterosexuelle Partner von Risikogruppen. Wie laden Sie ein neben dem Nachdenken über die mit Politik-beladenen Kategorisierungen auch zu überlegen welche Personengruppen komplett aus dem Raster fallen, und denen vielleicht auch gar nicht erst die Anerkennung als Menschen, die es wert sind beachtet und geschützt zu werden, zuerkannt wird?

 

Tweets Jürgen Baldiga

Auszüge aus den Tagebüchern von Jürgen Baldiga (1959 – 1993), basierend auf TB • JÜRGEN BALDIGA), kuratiert von Aron Neubert.
Auswahl der Tweets für die Ausstellung durch Eugen Januschke.

(30/9/1990)
sei ein held.
scheiß an die decke.
vergess aber nicht,
die blumen zu gießen.

(24/8/1993)
jens h. ist tot
alf ist auch tot
kann das mal
aufhören

(10/9/1993)
melitta hat jetzt polette
und pepsi wieder.
ob es einen tuntenhimmel gibt?

(17/9/1993)
bin aidskrank und habe
irgendwie die lust verloren,
mich immer wieder dagegen
aufzubäumen anzukämpfen.
es ist eh sinnlos. der kampf
ist verloren. auch ich werde
sterben. an aids.

(1/10/1993)
jürgen läßt sich einen
port legen und dann
künstliche ernährung.
gestern war ein horrotag.
nur kotzen. nur fieber.
ging überhaupt nichts.

(11/10/1993)
wieder im avk. wegen dem port.
werden aber erst meine
lungenentzündung behandeln.
morgen früh eine bronchioskopie
und noch ne magenspiegelung.
überall schieben sie die schläuche rein.

(12/10/1993)
meine sonne u. liebe diesen
mann über alles. wie er sich
den arsch aufreißt wegen mir.
er weiß was abgeht, sagt
selbst endstadium.
bringt mich aber noch zum lachen,
albert mit mir rum, so daß ich aids
für ein paar augenblicke vergesse.

(17/10/1993)
was kann ich tun
hoffen auf die wunder
der medizin
u. mich heute gebadet
schaffe sowas alleine
nicht mehr
mir ist immer nur noch
schlecht
heute geweint in den
armen von u.

(6/11/1993)
morgen komme ich raus
aus dem avk. die infusionen
gehen mir auf den keks.
muss mich damit abfinden.
zuhause gehts ja weiter.
auf meinem rechten auge sehe ich
teilweise nur verschwommen.
scheißen kann ich auch wieder.
lachen geht auch noch.
u. lieben ist wunderbar.

(15/11/1993)
gestern mit rollstuhl im schwuz
gewesen. die schwuztunten
haben mir einen tisch gemacht
mit dicken sessel und alle waren
total lieb zu mir. bergmann-pohl
fragte mich, wieviel ich wiege.
55 kg. soviel wie sein übergewicht.
einen schönen abend gehabt.
#warmthwhichonlyfirecangive
@aronneubert
photographs
@juergenbaldiga
november 1993 – at home in bed
[@mejekokunmi]

(26/11/1993)
es ist schön freunde zu haben
die sich kümmern.
v. legt mir blumen vor die tür.
b. schläft bei mir wenn u. nicht
kann. bin etwas besser drauf.
habe aber trotzdem kaum noch
lust diese krankheit zu ertragen.
bin oft einsam mit meinen gedanken.

(30/11/1993)
u. ist negativ.
welch eine freude.
habe geschrien am tel.
bin so berührt.
er wird leben
und weiterhin so
eine frohnatur sein.

(3/12/1993)
Habe mich entschlossen nicht
Mehr weiter zu leben. Bin die
Qualen leid, auch wenn es schwer
Fällt, aber so geht es einfach nicht
weiter.

ICH BIN TOT

 

Das Archiv

Jasco Viefhues hat auch Regie geführt bei dem Film „Rettet das Feier“
Transkript:

00:00:17
Aron Neubert: Da ist Napoleon.

00:00:18
Axel Wippermann: Genau.

00:00:23
Axel: Da sind ja jetzt auch Fotos von Jürgen drin.

00:00:25
Aron: Ja, deswegen, die hatten wir nämlich mal …

00:00:26
Axel: Da kommen ja auch ab und zu immer mal Anfragen, ne?

00:00:35
Axel: „Haben Sie Fotos von Jürgen Baldiga?“

00:00:38
Axel: Es gibt ganz oft Nachfragen, dass jemand über Jürgen recherchiert oder auch speziell über Napoleon Seyfahrt, und dann werden wir Ehrenamtler oder auch Hauptamtler losgeschickt und müssen diese Fotos dann suchen. Dann gibt es ein paar Möglichkeiten, wo die sein können. Einmal in der Sammlung Baldiga und aber auch dann unter dem Stichwort, aber auch noch wieder in ganz anderen Zusammenhängen.

00:01:04
Aron: Da ist ein Foto von Jürgen.

00:01:09
Axel: Ja, das ist /

00:01:09
Aron: aber nicht was/ Das sind Fotos, die Jürgen gemacht hat, das zumindest.

00:01:15
Axel: Genau.

00:01:15
Aron: Und die Beiden. Das ist ein Bild von Ronaldo Hopp.

00:01:22
Axel: Ja, da bist du auch drauf.

00:01:23
Aron: Jürgen.

00:01:26
Axel: Das ist Jürgen, und das ist Aaron.

00:01:28
Aron: Ich glaube, dass ist ein riesengroßes …

00:01:30
Axel: Das hing jetzt kürzlich noch hier im Museum.

00:01:31
Aron: Echt? Okay. Das ist ja riesengroß, oder?

00:01:36
Axel: Nein, das ist nicht hier. Das hat Ronaldo glaube ich noch in Privatbesitz.

00:01:41
Axel: Also es gibt eine Serie, da muss Aaron vielleicht gleich nochmal mehr zu erzählen, von Tellern, die Jürgen mit Porträts seiner Freunde gemacht hat. Und einer – ich glaube, es sind schon zwei bei uns – einer ist leicht lädiert, da wird jetzt gerade eine Kiste für gebaut, weil der gesprungen ist, damit man den in die Hand nehmen kann und das ist für / Wann war das ungefähr?

00:02:13
Aron: Das war in der Ausstellung 1991 in der Galerie Bellevue in Berlin, da hat Jürgen die Teller gemacht mit Fotos. Also es sind wirklich Originalfotos, die dann irgendwie auf diesen Teller draufgeklebt wurden und mit einer Schicht nochmal fixiert und versiegelt wurden.

00:02:35
Axel: Das ist ja für 1991 was Tolles. Heute können wir digital /

00:02:38
Aron: Ich glaube das wird gar nicht mehr gemacht.

00:02:40
Axel: Porzellan überall bestellen und kaufen, aber damals war das wirklich was ganz, ganz Tolles und die sind alle noch handsigniert von ihm. Da steht ja auch die Jahreszahl, 91.

00:02:51
Aron: Genau.

00:02:51
Axel: Der Grafikschrank ist jetzt noch nicht so richtig sortiert – das ist jetzt etwas, wo wir Neuzugänge auch so reinlegen. Also das Interessante ist, dass nach dem Umzug das Archiv ja zum ersten Mal so richtig / also die ganzen Zusammenhänge sind da zum ersten Mal wirklich hergestellt worden. Und jetzt finden wir aber trotzdem immer noch an ganz vielen verschiedenen Stellen Sachen von Jürgen und das ist jetzt auch das Ziel, die alle konzentriert an eine Stelle zu bringen. Also wir haben jetzt kürzlich noch so riesige Formate in Pappröhren, die lagen irgendwo hinten und jetzt so nach und nach ist das alles wieder an einer Stelle.

00:03:33
Interviewer: Wann hast du das an das Schwule Museum gegeben?

00:03:42
Aron: Gute Frage, das war …

00:03:42
Axel: Muss ich auch mal überlegen.

00:03:44
Aron: Nach dem alten Schwulen Museum, Anfang 2000, vor zehn Jahren vielleicht oder so, ging das ans Schwule Museum, erst einmal an das alte Schwule Museum an Mehringdamm, wurde da aufbewahrt und verstaut, und Axel ist eigentlich der Glücksfall, der passiert ist, dass das ganze Material von Jürgen da angesetzt wurde und das akribischst sortiert und archiviert und zugeordnet wurde, und das ist jetzt erst die letzten drei Jahre passiert. Er hat damals gesagt, ich muss jedes einzelne Bild in der Hand gehabt haben, um diesen Nachlass zu kennen und um zu wissen, um was es eigentlich / womit du es zu tun hast und dann habe ich gedacht, okay, also die Bilder kenne ich alle und dann kann ich Fragen beantworten, die es gibt – da sind wir ein ganz gutes Team, glaube ich.

00:04:38
Axel: Das ist auch so, wenn ich dann mal daran sitze und verschiedene Porträts sehe und ich weiß es nicht so genau, und er kriegt ganz schnell die Zusammenhänge mit, weil er ja auch Teil dieses Lebens war. Also das ist auch ganz wichtig bei der Arbeit, das hat man ganz selten: Wenn man als Fotohistoriker irgendwo sitzt und versucht, Nachlässe zu sortieren, dann muss man normalerweise unglaubliche Recherchen anstellen um die Leute zu identifizieren und das ist jetzt ganz toll – das ist sozusagen Teil dieses Lebens, was man jetzt so vor sich ausbreitet.

00:05:26
Aron: Das ist der Gedichtband von Jürgen, der damals erschienen ist im Maldoror… FlugSchriften, nannte sich das.

00:05:34
Axel: „Mannsbilder Nummer 1.“

00:05:35
Axel: Genau.

00:05:36
Axel: Jürgen, Jürgen.

00:05:42
Aron: Es sind doch viele Sachen von ihm.

00:05:48
Axel: Ja genau. Die geile Sau vom Plakat!

00:05:51
Aron: „Mannsbilder“ nennt sich das, Nummer eins. Manchmal tauchen hier halt so Sachen auf im Archiv und Mario, der nicht im Bild sein will, der trägt dann halt immer – so ist die Zeitung jetzt auch hier bei uns gelandet – die Sachen hierher. Westberlin der frühen Achtziger. Naja, und Jürgen hat halt am Anfang Gedichte geschrieben und Collagen gemacht und das ist sozusagen das Heft. Wobei vorher, die haben wir auch hier, aber die sind in einem Schrank, weil da gibt es nur die beiden Exemplare und das sind so Originale. So eine Art Fanzine, würde man heute dazu sagen, hat er gemacht. Die sind auch ziemlich toll, auch mit Texten von ihm, Briefe an seine Mutter und solche ganz verrückten Sachen und eben Collagen dazu.

00:06:53
Axel: Da sowas in einem Fotoarchiv natürlich auch immer ganz interessant ist oder ganz wichtig ist, dass man / und das spricht auch immer gegen eine Digitalisierung, obwohl man die Originale dann vernichtet, weil das gab ja auch mal so eine Marotte, „Lassen wir doch alles digitalisieren und dann sparen wir Platz.“ und so etwas – also erst einmal hat ein Foto immer auch eine Aura, also eine Materialität und dann ist gerade bei Pressebildern immer die Rückseite ganz wichtig, weil, wenn man in eine Ausstellung geht, ist niemals oder ganz selten / Es gibt auch sehr gute Ausstellungen, wo schon mal die Rückseite gezeigt wird, aber das ist für eine Recherche natürlich eine ganz wichtige Quelle, die Rückseite eines Fotos.

00:07:39
Aron: Das sind die Bilder, die in der Ausstellung in Bethanien waren – die sind gerahmt und sind ziemlich tolle Abzüge.

00:07:45
Axel: Ja, die kann man auch so wieder ausstellen.

00:07:49
Aron: Ja. Und hier hat Axel vorgeordnet.

00:07:52
Axel: Das ist sozusagen die zweite Kategorie von Ordnung, wenn man sagt, dass das die Erste ist, dann ist das die Zweite und die Dritte sehen wir gleich. Hier habe ich jetzt in einer Kiste alle Selbstporträts, die ich bisher gefunden habe, zusammengefasst. Die können wir auch mal zeigen. Also hier sind Selbstporträts bis zu einer gewissen Größe, weil es passt dann auch nicht alles da rein.

00:08:16
Aron: Zeige du die mal.

00:08:29
Aron: Also, das war mal ein Schnappschuss. Jürgen hatte sich – wann war das, 1991 – eine kleine Kamera gekauft, er hat sonst immer mit einer großen Spiegelreflexkamera fotografiert und irgendwann kam so eine kleine Panasonic dazwischen, und dann hat er auch mal einen Farbfilm eingelegt. Und das war Weihnachten 1992. Weil du gestern nach 1993 gefragt hast, was das für ein Jahr war, das ging irgendwie ziemlich heftig los mit Ende 1992 dazu – es war wirklich Weihnachten, und Jürgen ist ziemlich krank geworden. Genau. Dann gibt es irgendwie verschiedene / Die sind jetzt nicht geordnet.

00:09:24
Axel: Nein, die sind überhaupt noch nicht geordnet, das ist nur unter dem Aspekt Selbstporträt. Die waren auch in keiner Serie, sondern alle einzeln. Das wird wahrscheinlich auch gerahmt gewesen sein.

00:09:38
Aron: Das war sicher auch in einem kitschigen alten Wahlrahmen.

00:09:42
Axel: Es steht jetzt auch nichts hinten drauf. Man sieht Klebereste, also das war irgendwo aufgeklebt, und das ist dann wirklich ein Caravaggio-Zitat.

00:09:53
Axel:
So, das ist eigentlich der Zustand, wie wir die Bilder mal aufbewahren wollen, also staubdicht, aber ohne diese Plastikfolien. Und das ist die Serie, die Aaron über Jürgen gemacht hat.

Diversität

Videoclip über die Diversität der Erfahrungshintergründe und Perspektiven von Menschen, die sich zu HIV/Aids engagiert haben bzw. engagieren, darunter Aids-Selbsthilfe, Pflege, Sexarbeit, Drogenkonsum und -hilfe, Migrationserfahrungen und DDR.Dieser Videoclip vermittelt zusammen mit dem Videoclip über Trauer (zu sehen im Schwerpunkt „Sterben“ in dieser Ausstellung) einen Eindruck der Bandbreite der Interviews der Berliner AIDS Oral History Sammlung.Die Sammlung ist ein Projekt des Schwulen Museums Berlin und zugleich Teil des European HIV/AIDS Archive, in dem auch weitere Interviews mit Berlinbezug zu finden sind.Weitere Informationen zum Clip Diversität

Metadiskussion Nr. 1

Ausschnitt aus der Eröffnungsveranstaltung der Berliner AIDS Oral History Sammlung. Das Video der gesamten Veranstaltung findet sich hier.Außerdem gibt es das Transkript des Videos:

Ute Hiller: Ähm mir sind immer noch wieder Sachen eingefallen: „Ach, das könntest du noch …, Mensch, das, das hast du jetzt nicht berichtet“. Und also so, was ich spannend fand, war einfach dieses Im-darüber-berichten und dann anschließend Noch-mal-nachdenken entstehen wieder neue Verbindungen und neue Ideen dazu. Und das fand ich wirklich etwas, was mir an dem Interview sehr viel Freude gemacht hat, wo ich mir denke, ja, eigentlich sollten wir das häufiger machen, auch wirklich mal diesen Blick zurück machen und auch fürs Hier und Jetzt und das, was in der Zukunft kommt, weiterdenken.
Carsten Schatz: Das finde ich, das ist Material, das / und das / in dem Clip hab ich’s gesehen. Also, da kann was entstehen, das ist toll. Also, sag ich mal, für zukünftige Historiker*innengenerationen ist das irgendwie ein kleiner Goldschatz. Und das- ähm das freut mich. Also, das hab ich da gesehen und das ähm fand ich gut.

Bernd Boßmann: Ja. Ähm ich hätte viel, viel, viel mehr hören wollen zum Thema „Trauer“ grade, ähm das ist so ein Tabuthema. Und ähm irgendwie ist es immer so scheu. Dann / wenn du persönliche Sachen rausgibst, dann bist du ja emotional dabei, das ist was anderes. Aber allgemein die Gesellschaft lässt das Trauern oder redet über das Trauern und Traurig-sein und die verschiedensten Emotionen und sowas noch nicht. Und vielen ist das immer so lästig, wenn man mit denen darüber redet, weil sie wollen es nicht. Und meine Eltern wollten nie darüber reden, auch wo’s an deren Sterben ging. Und ähm gestern rief mich ein guter Freund an, dass er sagte, er hätte jetzt die Diagnose, dass er eventuell noch anderthalb bis zwei Monate zu leben hätte, ist ein junger Mann, und ob er mit mir reden könnte. Und das machen wir dann auch morgen und es wird sehr intensiv sein, was passieren kann und wie auch man dahin gehen kann, da / Also, der ähm trauert ja um seinen Tod als noch Lebender. Trauer ist ein riesen Ding und ist ähm eine Sache, die nie aufhört. Es wird immer ähm davon gesprochen: „Ja, wenn das dann vorbei ist …“ oder: „Na, jetzt muss ja langsam gut sein“. Trauer hört nie auf. Ist aber nicht immer gleich, sondern es sind an die zehn bis noch mehr Emotionen, die zusammen das Ding Trauer ausmachen. Trauer ist für sich keine eigene Emotion, und da gehört Wut dazu und ähm Lustigkeit und Lachen und Schimpfen und ähm alles Mögliche, und die verändert sich. Und ähm aber dadurch, dass wir immer das auch zulassen, die Emotionen und die Verbindung / die Bindung da ähm lassen, haben wir immer noch ’nen Bezug zu denen, die verstorben sind. Und das ist für mich was ganz, ganz Wichtiges. Und ähm das ist auch das Schöne, dass die nicht verloren sind, sondern die sind nicht mehr da, nicht mehr hier da, ne?

Maria Bormuth: Also, ich muss sagen, wir haben im ähm Projektteam tatsächlich diskutiert, ob wir deinen ähm Beitrag so mit reinnehmen, weil er wirklich sehr persönlich ist und sehr nahe geht. Und das war so ein bisschen die Überlegung, ’ne Triggerwarnung oder so was mit dranzumachen (lacht).
Mehrere Teilnehmer: (Lachen).

Maria Bormuth: Ja, weil ich meine, genau, Tod und Sterben ist halt nicht so ein Thema, das man irgendwie ähm sich so spontan einfach mal anguckt, sondern das muss auch mal vorbereitet sein und so weiter. Also, wir haben es tatsächlich diskutiert, haben uns dann aber dafür entschieden, weil es wirklich einfach gut ist.

Eugen Januschke: So, auch / also, wir haben ja ähm schon vor diesem BAOHS-Projekt im EHAA einige Interviews gemacht. Also einige / Also dutzende Interviews so und sind immer wieder auf den Umstand gestoßen, ähm dass das Thema „Trauer“ schwierig ist. Auch wenn wir uns das immer wieder vorgenommen haben in den Interviews, hat es irgendwie doch sehr oft geklappt, dass man also wirklich Stunden miteinander geredet hat und dann Trauer sozusagen halt dann doch nicht so vor- ähm -kam darin. Und diese Entscheidung, eben ähm zwei Clips zu machen und einen explizit zu Trauer, war eben ’ne bewusste Setzung. Also, wie jetzt dann auch in der Archivausstellung eben ist einer von den neuen Schwerpunkten eben auch „Sterben“ es / um einfach das als Thema gesetzt zu haben. Das heißt noch nicht, dass man’s unbedingt vielleicht gut gemacht hat, aber ähm es halt zumindest angegangen ist und es als Thema im ähm Raum steht.

Carsten Schatz: Ich will mal sagen, das ist ein Ausschnitt, das ist ein Ausschnitt auf das, was ich erlebt habe, da in den / also selbst meins ist nur ein Ausschnitt an das, was ich mich / an das ich mich erinnere. Ne, das wird ergänzt, sozusagen durch die Perspektiven anderer. Aber ähm zehn oder zwölf Interviews ist natürlich nicht das, was / was das / was AIDS in dieser Stadt ausgemacht hat so ähm in seiner Tragik, manchmal auch in seiner Komik, ja, in seiner Lust manchmal auch und ähm eben auch in seiner tiefen Trauer. Ähm und ich glaube aber, das ist genau das, worüber ihr am Anfang davon gesprochen habt. Also, aus meiner Sicht wäre doch gut, wenn da möglichst, möglichst viele Perspektiven noch dazukommen. Ähm also, um die Geschichte wirklich zu erzählen, sag ich mal, auch das, ähm was im Drogenbereich irgendwie stärker abgelaufen / der- der hat auch ’ne ganz, ganz spannende Geschichte gehabt, die ich am Anfang auch nicht kannte, geb ich zu, so. Und die hab ich / durch Interesse irgendwie da rein gearbeitet habe. Ähm und dann sind’s natürlich in so einer bunten Stadt wie Berlin auch die vielen ethnischen ähm Perspektiven darauf, ne, die sind ähm immer kulturell anders geprägt, so. Und ähm selbst wenn man da eine hat oder zwei oder drei, fehlen 17 andere. Und egal ob das nun ähm sozusagen große Communities sind mit vielen Leuten oder nur kleine, das ist egal, das ist jedes eine eigene Geschichte, die irgendwie auch zu Berlin gehört, finde ich.

Maria Bormuth: Bernd, hat dir noch was gefehlt?

Bernd Boßmann: Ja, der ganze Bereich ähm wirklich „Pflege und Umgang ähm im Finalen“, der hat mir gefehlt. Da ist gar nichts drüber gesagt worden. Und ähm wir haben ja damals die HIV e.V. gegründet. Das war ja Paulette. Paulette war halt der Motor. Dazu muss man aber sagen, Paulette hatte auch einen Schuss irgendwo. Sie wollte erst mit mir ’nen Käseladen aufmachen (lacht). Dann sagte ich: „Da hab ich keine Lust zu“. „Ja, Käse wird immer gegessen“. Dann kam sie 14 Tage später und wollte ’nen Kartoffelladen aufmachen und dann hab ich auch abgelehnt. Aber die Pflege, das fand ich dann gut. Und ich bin ja ausgebildeter Krankenpfleger und da war es dann machbar. Und viele haben ja ähm in- in- in der häuslichen Pflege so als Haushelfer oder so was gearbeitet. Und dann haben wir den Verein gegründet. Aber die Intrigen innerhalb der Szene, die dann losgingen (lacht), das ist auch nicht / nie erwähnt worden. Wir werden immer dargestellt, die große Community, das ist überhaupt nicht wahr. Alle hatten Angst vor der gleichen Bedrohung und haben dann so getan, als wenn sie sich zusammenrotten, sobald einer rausfiel. Ähm ich weiß von Positiven, die ähm dann aus Kneipen rausgeschmissen wurden von anderen Leuten, die in der Kneipe waren: „Ähm was will dieser ähm Bazillus hier? Der soll doch zu Hause bleiben“. Solche Scheiße kam da, und das ist auch alles nicht / das ist nicht alles so butterweich gelaufen, ne?

Ute Hiller: Es fehlen Stimmen von Menschen, die schon vor längerer Zeit verstorben sind, die kann man nicht mehr nehmen. Und umso wichtiger finde ich es, genau das jetzt zu tun, weil wenn wir diese Stimmen nicht jetzt festhalten, dann können wir auch irgendwann diese Geschichte nicht mehr erzählen. Und ich glaub‘, das ist an der Stelle das, was ich an dem Projekt an sich spannend finde, dass es eben mit Ton und Bild ist, dass man die Emotionalität da drin mal mehr und mal weniger erkennt. Ähm ja, ich finde es einfach, es ist eine schöne Art, das auch festzuhalten, es ist anders als ein geschriebener Text. Das ist halt dieses emotionale Feine da mit drinnen manchmal, auch wenn es ’ne künstlich hergestellte Situation ist und nicht ‚wir sitzen am Kamin abends und plauschen‘, sondern eher so (Hintergrundgeräusch kichern), ‚konzentrier‘ dich drauf, bereite dich drauf vor‘. Ähm ja, aber ich find‘ die Methode total toll. Ich glaube, mit mehr Menschen und mehr Perspektiven lässt sich / lassen sich da auch noch viele Schätze aus dieser Geschichte tatsächlich dann auch bergen.

Eugen Januschke: Also, das- das Medium hat auch Probleme, sag ich mal. Also / ähm also, zum Beispiel, sind von diesen zwölf Interviews ähm, dass ich jetzt nichts Falsches sage, vier sind nicht online gestellt, so dass heißt sozusagen- / ähm sagen / das hat auch mit / sozusagen A) mit den Personen zu tun, aber auch ähm sozusagen was sie erzählen und aus welcher Position sie erzählen. Also, wenn man das jetzt mal, sage ich mal jetzt, um das zu verdeutlichen, ganz als Extremes ähm setzt, ähm also Leute, die hier illegalisiert sind oder die halt ne Krima- Kriminalisierung, zum Beispiel bei Substanzgebrauch haben, wird es schwieriger sein, also Interviews zu machen und sozusagen / natü- also wenn man das jetzt so sozio- soziologisch zurückrollt irgendwie so was, ist die Gefahr eben immer bei solchen Projekten, dass man im Grunde so ’ne herrschende ähm Normalität oder das, was als akzeptabel gilt oder sowas, eben noch mal reproduziert ähm in diesen Interviews. Und in diesem Spannungsfeld haben wir uns sicherlich auch- auch bewegt.

Eugen Januschke: Und sag ich mal, ich will euch da unbedingt bestärken in dieser Idee zu / macht da ’ne Graswurzelbewegung draus. Weil ich glaube, es gibt ganz viel Bedürfnis, auch wenn ich jetzt nur mal an meine Freundeskreise denke, die das Bedürfnis hätten zu reden über ihre Erinnerungen. Ähm und wie gesagt, ich glaube, je breiter so en- so en Topf wird, je größer der wird, und je mehr Sachen drinstecken, desto mehr kann man draus machen. Ähm und ansonsten, ja, glaube ich, dass ähm dieser Gesellschaft viel fehlt in Erinnerung an- an HIV, also an- / gerade an die Leute, die an ihr jetzt gestorben sind. Ähm ich finde, da könnten wir uns mehr einen Kopf drüber machen.

Eugen Januschke: Also ich- ich finde das auch. Es gibt ja jetzt, wenn man jetzt Trauer anguckt, zum Beispiel, eben sehr unterschiedliche Erfahrungen im Trauerprozess. Und was man ja quasi sehen kann, ist eben gerade / also welches Trauern und Gedenken hat sozusagen eine öffentliche Anerkennung, korrespondiert eigentlich geradezu auch damit, sozusagen wo- ähm / sozusagen, wo sind welche Leute wie mit welchen ähm Präventions- oder ähm sozusagen ähm Medikamenten oder wie auch immer zu erreichen? Also, es geht ja um einen sozusagen gesellschaftlichen Anerkennungsprozess, und es geht gerade darum, eben aus dem, was wir hier auch über eben die 80er und 90er Jahre berichtigen, keine Erfolgsgeschichte zu machen. Darin gibt es Schönes auch klarerweise, aber keine Erfolgsgeschichte, sondern es gibt darin eben auch ähm Defizite. Und anhand von diesen Defiziten kann man eben / und das machen die Interviews ja auch. Wir sagen, es sind keine rein historischen Interviews, die sollen bis heute gehen, um darin eben auch das aufzuzeigen, wo wir weiter dran arbeiten müssen, wo halt gesellschaftliche Anerkennung ähm eben noch gar nicht angekommen ist, und damit auch nicht die gesellschaftliche Aufmerksamkeit, und damit auch nicht sozusagen die politischen Prozesse, ähm die dort ähm verbessernd eingreifen wollen, so. Oder die Leute in der Lage sind, das auch für sich selber zu organisieren. Jetzt sind wir nicht so praktikalistisch, sondern auch ähm im Sinne von Empowerment ähm darin auch.

 

Theater X: Next Generation Ensemble

ACT OUT! Die Geister, die uns riefen…
Wir fragen uns: Wer ist oder gilt als krank? Und was macht uns krank? Welchen Menschen wird wie geholfen? Und ist das gerecht? Wir schauen uns die aktuelle Pandemie, die AIDS-Krise der 80er Jahre und unsere ganz eigenen Erfahrungen an. Denn auch wir haben Geschichten zu erzählen: von Wartezimmern, Praxisbesuchen und Sexualkundeunterricht.Dann fragen wir uns: Muss das alles so sein? Was könnte man anders machen? Und wie? Auf welche Art haben Menschen in der Vergangenheit in ähnlichen Situationen protestiert? Und können wir das auch? Dazu arbeiten wir mit dem Schwulen Museum zusammen, gehen ins Archiv, sprechen mit Aktivist*innen und schauen dann, wie das bei uns auf die Bühne passt.
Spielleitung: Annika Füser
Dramaturgie: Gwen Lesmeister
Bühne und Kostüm: Selina Thylmann & Elisa Nelvand

Next Generation Ensemble
Theater X

Auszug vom Skript 2021
9. Doing queer love:
Queens kommen mit Mikro auf die Bühne (Echo-Effekt)

Marie: Wir haben uns kämpfend gekümmert.
Nadi: Wir haben kümmernd gekämpft.m: Doch unsere Stimmen verschwinden im Rauschen des Analogfilms.
N: Unsere Namen fallen zwischen die Buchzeilen
m: Unsere Erinnerungen zerfließen im Meer der Jahreszahlen.

Kommen auf die Bühne… friends mit Serina

N: Wer wird nicht gesehen?
m: Wer wird nicht gehört?
n: An wen wird nicht erinnert?

Marie: Wo sind die verlorenen Geschichten in der Geschichte der Verluste?

David kümmert sich. Sam und Ismael kommen auf die Bühne. Serina dazu. Alle anderen kommen auch auf die Bühne. Gruppe: Sich-Halten-Bewegungen.

Marie und Nadir gehen zu David. Setzen sich zusammen. Falten das Plastik sehr ordentlich zusammen. 

Marie und Nadir begrüßen David:
Hallo Schätzchen.

David:
Wisst ihr noch, wie wir damals immer Schichten gemacht haben?
Damit sie nicht alleine in der Wohnung ist?
Aber das wichtigste war, dass es immer Lachsbrötchen auf Vorrat gab!

Nadir: Und Schampus kaltgestellt. Egal wie viel Kotzerei sie hatte.

Marie: “Schätzchen, bringst du mir noch ein Glas!?”

Nadir: Sie war halt echt ne Diva!

David: Diese Monate, wo es so bergab ging und sie kaum noch rausgekommen ist aus dem Krankenhaus. Sie war so abgemagert, Ich dachte echt jetzt ist es vorbei. Wie hat sie immer gesagt? “Aids kommt aus dem amerikanischen und heißt Nichts hilft!”
Da saßen wir zu dritt bei euch in der Küche, haben uns die Augen ausgeheult und ihren Elvis Presley gehört.

Marie: Da habt ihr mich echt aufgepäppelt. Ohne euch hätte ichs nicht am nächsten Tag ins Krankenhaus zu ihr geschafft.

David: Aber es war schon gut, dass wir sie dann vom Krankenhaus nach Hause geholt haben. Da war alles so steril und langweilig.

Nadir: Und dann gings ihr plötzlich wieder was besser. Und sie hat sich selbst diese Riesen Party geschmissen. Am liebsten hätte sie ne Orgie gefeiert. Bloß nicht zu bürgerlich!

David: Sie wollte nicht immer aufpassen, überlegen was geht und was nicht, nicht einsam sein und sich isolieren. Das alles, wenn man sowieso stirbt. Sie wollte schöner sterben, weiterficken. Sie wollte leben im Sterben!

Marie: Wie bei der Party! Alle sind um sie herumgeschwirrt und sie hat es genossen! Wie sie da gethront hat auf ihrem Bett. Konnte kaum noch aufstehen, aber war immer noch die Queen der Party.

Nadir: Und ihre schlechten Witze!

David: Stimmt, die mussten wir uns echt bis zum Ende noch anhören.

Die Gruppe stellt die Stühle auf und unterhält sich dabei, ganz alltäglich. 

Serina: Also, wenn ich noch einen Tag zu leben hätte, würde ich fett essen gehen im Blockhaus. Chilly cheese Burger. Mit all den Menschen die ich mag. Auf meinen Nacken… nee spaß ich hab ja kein Geld. Auf den Nacken meiner Mutter, die würde mir dann auf jeden Fall gönnen.

Lumo: Ich will Tanzen bis ich keinen Atem mehr hab

Ismael: Ich will noch mal Kuscheln

David: Au ja Kuscheln, Nächte durchfeiern und viele Zigaretten rauchen,

Gruppe: hä David du rauchst doch gar nicht

David: ja eben

Sam: Ich will ne Orgie im Kitkat. Dann würde ich sogar in den Pool springen.

Ozan: Ich will mit ner Limo vorm KADEWE vorfahren. Britney Spears „gimme more“ auf den Kopfhörer und so dann in den Laden. Und dann kauf ich mir diese eine LV Tasche! In Beige!

Nele: Halt die fresse ich will noch mal saufen in der Meute!!!!

Ismael: oder bergab freihändig Fahrradfahren.

Marie: ich würde so gerne nochmal in dem Haus in Burkina Faso rumlaufen, wie damals als 5-jährige.

Nadir: ich will Alte Balkan-Lieder hören, während ich im Flugzeug nach Sarajevo sitze, wo ich Fallschirm springe auf das Haus meiner Oma

Sam: Oder nochmal spazieren gehen, auf der Elphi-Wiese…

Sammeln sich am Bühnenrand. 

Ok. Bereit? Bereit!

Beerdigungen. Individuell.

Alle verabschieden sich. 

Gemeinsam zusammenbringen: Stühle zu einem Grabstein. David legt gefaltetes Plastik ins Grab.

Sound: Friends will be friends

Quilt Projektion, Video, Bilder -> White House Act Up Quilt und Trauermarsch. Gedenken


Sam liest von einem Zettel: 

Jürgen Baldiga schrieb:

„Wir nahmen die Seuche in den Arm

und die Seuche uns

wir hatten gelernt, dass auf eine Berührung eine Berührung folgt

wurden weniger

mit jeder Umarmung verloren wir einen Teil unseres Wortschatzes

unsere Sätze wurden kürzer 

dann die Geschichten

alles wurde irgendwie porös

ich habe mich für einen Moment gefragt, ob auch mein Gesicht verschwinden würde.

woher sollte ich die Gewissheit nehmen, dass irgendjemand aufsteht und sagt:

Das ist die Geschichte, das ist sie nicht.“

Marie: In Gedenken an alle Verstorbenen und Vergessenen der AIDS Krise.

 

Fragen ans Archiv

Dieses Video befindet sich leider gerade noch in der Produktion!

AIDSarchive.net

Spuren des positiven Lebens und Engagements gehören in Archive und Museen, denn Aids hat Geschichte geschrieben. Die Webseite aidsarchive.net bietet Informationen, damit die vielen Geschichten, Erinnerungen, Dokumente und Erfahrungen für die Nachwelt nicht verlorengehen. Auf der Webseite findet man Sammlungen und Archive, die ein geeigneter Ort für die Spuren des persönlichen Lebens, des politischen oder künstlerischen Engagements und der Selbsthilfe sein könnten.Aidsarchive.net bietet umfassendes Knowhow zum Umgang mit Vor- und Nachlässen und den rechtlichen Fragen sowie Hilfestellung bei der Übergabe von Material an Museen und Archive.Der Flyer liegt am Eingang des Raumes zur Mitnahme aus. Außerdem kann er hier als PDF heruntergeladen bzw. bestellt werden.

Aids hat viele Gesichter

Birol Isik spricht über diese Fotos in seinem Interview, das Teil der Berliner AIDS Oral History Sammlung (BAOHS) ist. Die Interviewpassage bildet auch das Ende des Clips „Trauer“, der auch im Schwerpunkt Sterben dieser Ausstellung zu sehen ist. In der Fotosammlung des Schwulen Museums sind lediglich Kopien der Originalabzüge vorhanden. Der Verbleib der Originale ist ungeklärt.

Reprint von digitalisierten Fotos
Andreas Salmen

Der Teilvorlass von Hans Hengelein gehört zur Sammlung Modell-Projekt Aids-Archiv der Forschungsstelle Kulturgeschichte der Sexualität an der Humboldt-Universität zu Berlin. Der Ausdruck erfolgte aus dem Digitalisat der Originalfotos. Das Digitalisat ist bereits Bestandteil der Sammlung, während die Originalfotos bis auf weiteres im Besitz von Hans Hengelein verbleiben.

Through Positive Eyes

ist ein gemeinschaftliches Fotogeschichten-Projekt von mehr als 140 Menschen, die mit HIV und AIDS in verschiedenen Städten auf der ganzen Welt leben.
Lesen Sie mehr.

 

Converser Sex

Der Kölner Künstler Roger Lips (1952-1994) präsentierte in Infektiös (1992/93) seinen Tryptichon „Conserver Sex links, Oben sowie als auch unten, Conserver Sex rechts“ (alle 1992). Dafür schickte er ein Modell ans Schwule Museum – in Form einer dreiteiligen Klappkarte, die drei Fotos enthielt, welche das Werk repräsentieren. „Conserver Sex“ stellte Lips Kritik am kommerzialisierten schwulen Sex (u.a. Pornografie) dar, der er Zärtlichkeit gegenüberstellte – auch als Mittel, Aids zu vermeiden. Lips war selbst HIV-positiv und starb nur zwei Jahre nach der Ausstellung an Folgen der Immunschwächekrankheit. „Conserver Sex“ wurde zuletzt in „Tapetenwechsel“ (2017/18) präsentiert.
https://www.rogerlips.de/

 

David Wojnarowicz an/to Andreas Salmen

Der Künstler David Wojnarowicz (1954-1992) erteilt dem Berliner Aidsaktivisten Andreas Salmen (1962-1992) die Erlaubnis, sein („autobiographisches“) Plakat „Eines Tages …“ (für die Berliner Ausstellung Über’s Sofa 1990 ins Deutsche übertragen) für Salmens Act-up-Aktionen & Stop-AIDS-Projekt zu nutzen.

Sockel

Der lackierte Holzsockel wurde für Untitled(1988) gebaut, eine Papierstapelarbeit, die der kubanischstämmige, offen schwule New Yorker Konzeptkünstler Félix González-Torres (1957-1996) 1990 in der Ausstellung Über‘s Sofa präsentierte, ein vom freien Kurator Frank Wagner initiiertes Gemeinschaftsprojekt von NGbK, Schwulem Museum und Deutscher Aidshilfe. Die ursprünglich auf diesem Sockel gezeigte Arbeit bestand aus leeren Papierbögen, welche die Besucher:innen mitnehmen durften. Dieser Sockel befindet sich – neben einer anderen Papierstapelarbeit („Join“) – seither im Schwulen Museum. Beides wurde 30 Jahre später erneut in 100 Objekte. An Archive of Feeling (2020) präsentiert.

Eines Tages wird dieser Junge…

Reproduktion eines Drucks von David Wojnarowicz (1954-1992) aus dem Jahr 1990, der den Künstler als Jugendlichen in den 1960er Jahren zeigt, umgeben von einem Text, der das wahrscheinliche Ergebnis der Entdeckung seiner Homosexualität beschreibt. Der Originaldruck Untitled (One Day This Boy…), New York 1990, enthielt den Text in englischer Sprache. Das deutsche Plakat entstand in Zusammenarbeit mit der AIDS-Aktionsgruppe ACT UP Berlin/Feuer unterm Hintern (in einer Übersetzung von Jürgen Richter). Es wurde speziell angefertigt für die Berliner Ausstellung Übers Sofa (Febr./März 1990, eine Kooperation von NGbK, Schwules Museum und D.A.H.). Wojnarowicz gab es frei für Aktionen der DAH, Act Up Berlin sowie STOP AIDS PROJEKT BERLIN, s. auch Wojnarowicz‘ Brief an Andreas Salmen (8.2.1991). So wurde das Plakat wurde auch für das Cover des von Salmen herausgegebenen AIDS-Forum DAH-Sonderbandes zu ACT UP (September 1991) verwendet, der die Geschichte, Themen und Aktionsformen der ACT UP Gruppen dokumentiert.

Über’s Sofa – Auf die Strasse

Die in einer Broschüre versammelten Beiträge zu Über’s Sofa, allesamt vom Kurator Frank Wagner verfasst, waren zuvor im Winter 1989/90 in 4 Teilen zu den einzelnen – bis dato in Berlin eher unbekannten – New Yorker Künstler und Aidsaktivisten in der Zeitschrift magnus erschienen: von David Wojnarowicz über Donald Moffet und Félix González-Torres, zu John Lindell.

Poster: Über’s Sofa – Auf die Strasse

Unter dem Motto „Kunst und Schwule Kultur im AIDS-Zeitalter“ stellte das Schwule Museum vier jüngere amerikanische Künstler vor, die zwei Aspekte teilten: Alle vier Künstler lebten in New York, und ihnen war gemeinsam, dass sie sich „beispielhaft dem schwulen Alltag, den Ängsten und den Sehnsüchten widmen, ihn mit der AIDS-Krise konfrontieren und somit ihre Reflexion auf das schwule Leben politisch wenden“, wie es in der Ausstellungsankündigung hieß. Ihr Künstlerdasein manifestierte sich im Obertitel „Über’s Sofa“, wo mitunter Kunstwerke hängen, während der Zusatz „Auf die Strassen“ auf ihr Engagement als Aidsaktivisten verwies: Die Vier engagierten sich allesamt aktiv bei ACT UP New York. Sie konnten jeweils bereits Einzelausstellungen in den USA vorweisen – Über’s Sofa war sowohl ihre erste Gruppenausstellung als auch ihre jeweils erste Ausstellung in Europa. Als Initiator fungierte der Kurator Frank Wagner von der Neuen Gesellschaft für bildende Kunst (NGbK), der mit VOLLBILD AIDS 1988 die erste AIDS-thematische Kunstausstellung in Europa gezeigt hatte. Wagner verhalf den in Europa nahezu unbekannten New Yorker Künstlern zu Bekanntheit. Für das Unterfangen holte er sich das Schwule Museum und die Deutsche Aidshilfe e.V. an Bord. Die Ausstellung fand im Februar und März 1990 in den NGbK-Räumen in Berlin-Kreuzberg statt.

White AIDS („AIDS, weiß“)

Die Tapete des kanadischen Künstlerkollektivs General Idea (bestehend aus AA Bronson, Felix Partz und Jorge Zontal) bedeckte bei Homosexualität_en (2015) im SMU die Gangwände zwischen Ausstellungsraum 1 und Raum 3.
White AIDS mit den vier nur schemenhaft sichtbaren Buchstaben symbolisiert die offizielle Unsichtbarkeit des Themas Anfang der 1990er Jahre in New York, wo die 3 Künstler aus Toronto seit 1986 lebten und wirkten. Ursprünglich bezieht das Motiv sich auf Robert Indianas „LOVE“-Skulptur. Auf provokative Weise wird LOVE zu AIDS.
Auf eine sichtbare, farbige Variante von A.I.D.S bezog sich wiederum ein anderes New Yorker Künstlerkollektiv: Gran Fury („Riot“) – beide Versionen finden sich abgebildet auf „Your Nostalgia Is Killing Me“ in der STERBEN-Sektion von arcHIV. Auch Karol Radziewski bezog sich mit seiner „AIDS-tapeta“ auf General Idea.

Infektiös– Kunst und Alltag, Leben mit AIDS

Bei Infektiös – Kunst und Alltag, Leben mit AIDS wurde der der schwule Alltag unter den Bedingungen von HIV und AIDS thematisiert. Während die 1970er Jahre im Zeichen der schwulen Befreiung standen, trat in den 1980ern AIDS als Bedrohung an die Stelle staatlicher und gesellschaftlicher Repression. Es wurde zum zentralen Thema der damaligen Schwulenszene. Unter dem Arbeitstitel „AIDS und Alltag“ griff die Infektiös-Ausstellung erstmals eine „aktuelle Problematik der schwulen Lebenswelt“ auf, wie angekündigt wurde – eine Neuheit für eine, in eigenen Worten, „bislang doch eher geschichtsorientierte Institution“.
Gezeigt wurden verschiedene Aspekte von AIDS: „Der Tod, die Trauer, die AIDS-Station im Krankenhaus, der Umgang mit der Krankheit, HIV-positives Selbstbewusstsein, Liebe und Sex, AIDS-Phobien und Verdrängungen, die Berichterstattung in den Medien, Wut über heterosexuelle Erhabenheit und die offizielle AIDS-Politik.“ Damit hofften die „Museumstunten (…) einen kleinen Beitrag zur Information über AIDS zu leisten“.
Viele befreundete und oft selbst HIV-positive, wenn nicht gar aidskranke schwule Künstler brachten ihre Arbeiten ein, darunter Roger Lips oder Jürgen Baldiga. Mit der amerikanischen Fotografin Annie Leibovitz war auch eine lesbische Künstlerin (und die einzige Nichtdeutsche) vertreten.
Unterstützt wurde das Projekt von der Deutschen Aidshilfe, die einen Großteil der Finanzierung übernahm. Es war geplant, Infektiös als Wanderausstellung später an anderen Orten zu zeigen, was allerdings trotz Interesse diverser lokaler Aidshilfen oft an geeigneten Räumen scheiterte. Gezeigt wurde Infektiös noch einmal im Juni 1993 im Tränenpalast als Beitrag zu „Aids Culture – Cultural Aids“, dem Kulturfestival parallel zum IX. Internationalen Aidskongress, der in Berlin stattfand.

„Es kann sein, dass ich Fieber habe, wegen mir und wegen Dir, einfach aus Liebe…“– Eine fotografische Annäherung von Christoph Burtscher an ein Leben mit HIV.

In 32 Fotografien im Format 24×36 griff der aus Österreich stammende und in Berlin lebende Künstler Christoph Burtscher zum Jahreswechsel 2002/03 seine eigene Erkrankung auf. Seine Werke heben die medizinische Dimension der alltäglichen Abhängigkeit vieler HIV-Positiver hervor, denen neu entwickelte Medikamente einerseits Lebensperspektiven eröffnen, andererseits beträchtliche Nebenwirkungen bescheren. Burtscher gruppierte fotografische Beispiele für alltägliche Krankheitserfahrungen HIV-Positiver. So ging es in seinen Fotografien um Blutbilder, Diarrhoe oder die Entfernung gefährlich gewordener Leberflecke. Thematisiert wurden das Leiden HIV-Positiver und ihre Angst vor dem körperlichen Verfall.

Spermaporträts

Zwischen 2003 und 2008 malte der Künstler Martin von Ostrowski (geb. 1958) 30 Porträts mit Sperma, zunächst von sich selbst, dann auch von Freunden – alle scherenschnittförmig.

Wärme, die nur Feuer uns geben kann

Über mehr als zwei Jahre (1991-1993) portraitierte der Berliner Fotograf Aron Neubert (geb. 1967) seinen Freund und Kollegen Jürgen Baldiga (1959-1993) im Monatsrhythmus. Auf diese Weise entstanden 27 Bilder, die Leben(sfreude) und Sterben Baldigas dokumentieren. Neubert kuratierte seine Porträtserie 1996 im Schwulen Museum unter dem Titel Wärme, die nur Feuer uns geben kann; dazu erschien ein gleichnamiger Katalog. „Wärme…“ leitete einen Übergang von großen Gruppenausstellungen über Aids zu intimeren Kabinettausstellung (in einem kleineren Seitenraum des Museums) durch Künstlerkuratoren ein, d.h. einzelne schwule Künstler zeigten Ausstellungen zu einzelnen Aspekten von Aids. Dazu zählen auch die Ausstellungen von Christoph Burtscher und Martin von Ostrowski.

Arbeit an einem Wunder: Neun Versuche zu HIV-Blut- und Heiligenbildern

Der österreichische Fotograf Christoph Burtscher, der in diversen Ausstellungen seinen positiven HIV-Status verarbeitete, erzählt in Arbeiten an einem Wunder in neun großen S/W-Bildern die Geschichte eines persönlich erlebten Wunders – von seiner persönlichen Hoffnung auf Schutz und Heilung sowie vorübergehender Besserung. Burtscher bediente sich dafür fotografischer „HIV-Blutbilder“ – großformatiger Aufnahmen aus dem medizinischen Labor, die er durch diverse Techniken abstrahierte. Als Klammer für diese Blutbilder verwendete Burtscher Darstellungen von Heiligen, welche in der christlichen Bild- und Erzähltradition unverrückbar verbunden mit Wunderlegenden verbunden sind, in denen Blut oft eine zentrale Bedeutung zukommt.

30 JAHRE POSITIVES ERLEBEN

Die Ausstellung zum Jubiläum der Berliner Aidshilfe e.V. (BAH) – gegründet im selben Jahr wie das Schwule Museum (1985) – blickte auf 30 Jahre Berliner HIV/AIDS-Geschichte zurück. Neben umfangreichem Print- und Fotomaterial kamen Aktivistinnen und Aktivisten in einer Audioinstallation zu Wort; anschauliches Filmmaterial rundete die Retrospektive ab und schlug eine Brücke zum Leben mit HIV/AIDS heute.

AIDS-tapeta

Die Vorlage für Karol Radziszewskis AIDS-tapeta stammt von Ryszard Kisiel und besteht in einer kleinen Collage aus Donald-Duck-Aufklebern und den Buchstaben A, I, D, S. 1989 erstellte Kisiel diese Arbeit für filo, dem »Monatsmagazin für anders Liebende«. Radziszewskis (geb. 1980) Tapete bezieht sich gleich auf mehrere Vorbilder: Robert Indianas LOVE (dem Original, an dem sich alle folgenden Werke abarbeiten), General Ideas AIDS sowie Gran Furys RIOT. Die General-Ideas-Tapete ist ebenfalls in „arcHIV“ ausgestellt sowie (neben dem RIOT-Motiv) sichtbar in „Your Nostalgia Is Killing Me“. In seiner Ausstellung im Schwulen Museum, dem Queer Archives Institute (2018), die sich diversen Aspekten von Homosexualität wie Sexualität in Osteuropa zu Zeiten des „Eisernen Vorhangs“ und in der postkommunistischen Gegenwart beschäftigt, präsentierte Radziszewski Kysiels inspirierende Collage und tapezierte eine ganz Wand mit dem Donald-Duck-Motiv.

FTM vs HIV

In der Ausstellung Trial and Error – TRANSforming health and justice (SMU, 2019/20) setzten sich Giegold & Weiß mit der Gesundheitsvorsorge, Sexualaufklärung und den Persönlichkeitsrechten von Trans*personen auseinander. In FtM vs HIV stehen biopolitische Machstrukturen und Diskriminierungen, denen spezifisch FtM (Female to Male) und non-binary Trans* ausgesetzt sind, im Fokus. Erweitert durch partizipative Performances versuchte Trial and Error spielerische Metaphern für gewaltvolle Zustände zu finden und Trans*-Normalität erfahrbar zu machen.

HIVstories – Living Politics

Das Forschungs- und Ausstellungsprojekt HIVstories: Living Politics beleuchtete die Kämpfe und persönlichen Geschichten von HIV- und Aids-Aktivist*innen, die in der gängigen Erfolgsgeschichte vom Kampf gegen HIV nur selten zu finden sind: Am Beispiel von Inhaftierten in Deutschland, Drogennutzer*innen in Polen und der Aktivismusszene in Großbritannien und in der Türkei widmete sich die Ausstellung den Verflechtungen und Wechselwirkungen von Aktivismus und staatlicher Politik. Der jahrelange Kampf gegen HIV erscheint somit als ein Unterfangen voller Ungleichzeitigkeiten und Ungleichheiten, das dazu einlädt, das dominante Narrativ der Geschichte und Gegenwart des HIV-Aktivismus aufzubrechen und sich auf Geschichten von den gesellschaftlichen Rändern einzulassen.
Die Ausstellung besteht aus Interviews, Artefakten und Kunstwerken, die im Rahmen des dreijährigen Forschungsprojektes EUROPACH gesammelt wurden – kurz für “European HIV/AIDS Policies: Activism, Citizenship and Health”. Das Projekt geht dabei vor allem der Frage nach, wie die Erzählungen der Vergangenheit auch heute noch die Verbreitung der Epidemie beeinflussen. Wie formt Politik die Leben von Betroffenen? Wie formen diese Leben im Gegenzug die Politik?
Die Ausstellung wurde 2019/20 neben Berlin leicht variiert auch in Warschau und Istanbul präsentiert. In „arcHIV“ ist das polnische Katalogcover zu sehen.

Gelassen und ohne Trauer auf den Weg in den Tod

Zentral in diesem Artikel ist ein typisches Jürgen Baldiga Foto in s/w. Neben der Benetton-Werbung als Bild im Bild von „Your Nostalgia Is Killing Me“ und „Personne n’a envie de vieillir“ ist es eines von drei Fotos im Schwerpunkt Sterben, die einen „Aids-Körper“ zeigen.
In Anbetracht der Verschiedenheit der Komposition und Inszenierung der drei Bilder drängt sich die Frage auf, welche Wirkung diese Bilder auf unterschiedliche Betrachter*innen entfalten sollen.

Zusammenstellung zu Andreas Salmen

Andreas Salmen war in verschiedenen Schwulen- und Aids-politischen Zusammenhängen aktiv. Sein Hauptnachlass befindet sich im Archiv des Hamburger Instituts für Sozialforschung. Die Exponate zu ihm in dieser Ausstellung speisen sich aus verschiedenen Quellen. Im Schwerpunkt Archivieren dieser Ausstellung sind zwei Fotos von ihm aus dem Vorlass von Hans Hengelein im Modell-Projekt Aids-Archiv der Forschungsstelle Kulturgeschichte der Sexualität an der Humboldt-Universität zu Berlin.
Die hier zusammengestellten drei Exponate stammen aus den Konvoluten „ACT UP Berlin“ und „Deutsche AIDS-Hilfe“ im Archiv des Schwulen Museums. Weitere Exponate zu Andreas Salmen stammen aus anderen Konvoluten im Archiv des Schwulen Museums.

„Your Nostalgia Is Killing Me“

Wie die immer noch stattfindenden Aids-Krisen in verschiedenen Gemeinschaften und Kontexten im Bewusstsein halten und an die Aids-Krise der 80er und 90er Jahre erinnern? „Die Schwierigkeiten, aber auch die Notwendigkeit, beides in den Zeiten des Internets zu erreichen, thematisiert das künstlerische Werk ‘Your Nostalgia is Killing Me‘ von Vincent Chevalier und Ian Bradley-Perrin. Hierzu gibt es eine durchaus komplexe Diskussion zur Wirkung der Nostalgie auf eine adäquate Adressierung der anhaltenden Aids-Krisen. In einem im Internet verfügbaren Panel zum Thema beschreibt Chevalier seine Wahrnehmung zum aktuellen Umgang mit HIV in Kunst und Dokumentationen, die er mit Bradley-Perrin in der Arbeit thematisiert: Die virtuelle und schnelle Zirkulation und Umnutzung von Kunstwerken aus spezifischen Orten und anderen Zeiten führen zu einer Gleichzeitigkeit von Vergangenheit und Gegenwart. Hierbei gewinnt die Vergangenheit einen stärkeren – wenn auch entkontextualisierten – Fokus, was das Risiko einer Verleugnung der Gegenwart mit sich bringt.“ Quelle: Genderblog

Personne n’a envie de vieillir

Unter „Your Nostalgia Is Killing Me“ stellt sich die Frage, welche Ästhetik das Plakat mit Hilfe des renommierten italienischen Fotografen Francesco Zizola verwendet, indem ein Schwarzer Körper und das Sterben an Aids in ein stereotypes Verhältnis gesetzt werden: Afrika (als undifferenzierter Kontinent) = Tod. Die religiöse Konnotation des Oberlichts, das nur einen kleinen Teil des Gesichts beleuchtet, und dessen Verstärkung durch den Blick der Scharzen Person ins Licht nach oben schaffen den Eindruck einer künstlerischen In-Szene-Setzung, die angesichts des ausgemergelten Körpers schwer erträglich ist. Diese Inzenierung eines passiv-ergebenen Schwarzen Körpers fügt sich – verstärkt durch die Baufälligkeit der Wand – in einen kolonialen Blick ein, der (ehemaligen) Kolonialmacht Frankreich auf Afrika. Diese Passivierung setzt sich in der Komposition von Bild und Text fort: So unwahrscheinlich eine Selbstinzenierung der Scharzen Person im Bild erscheint, so unglaubwürdig ist deren Autor*innenschaft an dem daneben abgedruckten Text:
„Niemand will alt werden.
Ich schon.
Es genügte, dass Aids es verbot.Jede neue Falte ist ein kleiner Sieg,
eine weitere Geschichte, die sich in die Haut gebrannt hat.
Ich würde sie gerne zählen, immer wieder, wie eine Warnung,
und eines Tages weit weg sein können,
meine kleine Träne vergießen
die Erinnerung an die gute alte Zeit.
Um Weisheit und Seelenfrieden zu erfahren,
in einem ehrwürdigen Alter.
Und um mich nach vielen Jahren an mich zu binden,
die Kinder meiner Kinder,
Zu sehen, wie sie um mich herumlaufen, ohne sich um meine alten Knochen zu kümmern,
und Quietschen zu hören,
mindestens zum hundertsten Mal,
die Geschichte vom Löwen und dem Elefanten.“

Quilt: Bernd Baumann

Neben „Your Nostalgia Is Killing Me“ und „Personne n’a envie de vieillir“ stellt der Quilt zunächst eine private Form der Auseinandersetzung mit Tod und Trauer da. Die öffentliche Präsentation des Quilt im Rahmen der Ausstellung erfolgt in einer spezifischen Hängung, die eine Art modernes Triptychon bildet und verschiedene Achsen der Thematisierung aufzeigen soll. Das Triptychon mit seinem religiösen Charakter nimmt den Blick der Schwarzen Person aus „Personne n’a envie de vieillir“ auf, der auf eine zweite Schwarze Person trifft, die am Rande des Quilt erscheint. Aus dem Lebenslauf (rechts neben dem Quilt) kann dies Person als Adoptivbruder des Verstorbenen eingeordnet werden. Seine Selbstinszenierung trägt deutlich selbstbewusste Züge, auch wenn seine Darstellung im Quilt etwas isoliert wirkt. Diese Ache kontrastiert und komplettiert die Person of Color im Bild von „Your Nostalgia Is Killing Me“, die mit dem Schild „Queer Nation“ eine deutlich aktivistische Position einnimmt. In dem darüber befindlichen Bild greift die Benetton-Werbung unter Verwendung des Pietà-Motivs wieder explizit eine religiöse Konnotation auf. Dabei ist allerdings an der linken Seite eine Person aus dem Bild (bereits im Original der Werbung) geschnitten, so dass nur noch ihre Hände zu sehen sind. Wer fehlt?

Trauer

Videoclip über die unterschiedlichen Erfahrungen mit Aids-Sterbefällen und Trauer. Die Interviewpartner*innen erzählen von unterschiedlichen individuellen und kollektiven Trauermethoden und erinnern an die Verstorbenen.Dieser Videoclip vermittelt zusammen mit dem Videoclip über Diversität (zu sehen im Schwerpunkt „Archivieren “ in dieser Ausstellung) einen Eindruck der Bandbreite der Interviews der Berliner AIDS Oral History Sammlung
Die Sammlung ist ein Projekt des Schwulen Museums Berlin und zugleich Teil des European HIV/AIDS Archive, in dem auch weitere Interviews mit Berlinbezug.
Weitere Informationen zum Clip Trauer finden Sie hier.

KIRCHE positHIV

Seit 1993 führte die Ökumenische Aids-Initiative KIRCHE positHIV ein Aids-Gedenkbuch, in das auf Wunsch die Namen nahestehender Verstorbener eingetragen werden konnten. Das Buch lag in der Kirche Am Lietzensee in Berlin-Charlottenburg auf einem Gedenkaltar aus und konnte dort eingesehen werden.Jedes Jahr feierte KIRCHE positHIV einen Gottesdienst zum Welt-Aids-Tag, bei dem die Namen derer verlesen wurden, die im zurückliegenden Jahr eingetragen worden waren. Dabei gab es die Möglichkeit, im persönlichen Gedenken eine Kerze zu entzünden.
Beim Ökumenischen Kirchentag 2003 gab es in der Kirche Am Lietzensee ein Zentrum „Aids und Eine Welt“ mit internationaler Beteiligung. Höhepunkt war ein ökumenischer Gottesdienst mit Totengedenken. Dabei wurden stellvertretend für alle an den Folgen von Aids Verstorbenen aus dem Gedenkbuch Namen aus aller Welt verlesen, die uns von den Gästen genannt worden waren.
Bis zum Jahr 2012 wurden von André Leonardy über 800 Namen handschriftlich in das Buch eingetragen.Text: Dorothea Strauß

Photos vermutlich Aktionstag Solidarität der Uneinsichtigen

Die in kurzem zeitlichen Abstand aufgenommenen sechs Fotos zeigen vermutlich die Aufführung der „Homosolidaritätsgesänge“ (siehe Notenblatt darüber) anlässlich des Aktionstages „Solidarität der Uneinsichtigen“. Hans Peter Hauschild befindet sich in der Mitte der Gruppe. Die Zusammenstellung der darunter gehängten Fotos fanden sich im selben Teil des Nachlasses von Hauschild, zeigen aber mutmaßlich eine andere Demonstration.

Im Namen des Volkes

1986/87 setzt in der Bundesrepublik eine Strafverfolgung HIV-Positiver, die ihre Sexualpartner*innen nicht über ihre Infektion informiert hatten, ein. Zu dem Fall des Schwarzen US-Bürgers (siehe Faltblatt oben „Der Spiegel. Die großen Kampagnen“), der der Revisionsverhandlung vor dem Bundesgerichtshof zu Grunde liegt, entsteht eine Solidaritätsbewegung, zunächst in Nürnberg mit dem Komitee „Aids und Menschenrechte“. Später werden auch bundesweite Organisationen wie die Deutsche AIDS-Hilfe aktiv. In der öffentlichen Thematisierung rückt die Gefahr in den Vordergrund, dass die Strafverfolgung die Präventionsstrategie der Aids-Hilfen untergraben könnte. Die DAH befürwortet die geteilte Verantwortung von Sexualpartner*innen im Umgang mit Ansteckungsrisiken (siehe Artikel links „Justiz missachtet Menschenwürde“). Nach der Haftentlassung wird der US-Amerikaner ausgewiesen. Mitglieder des Komitees „Aids und Menschenrechte“ unterstützen ihn auch noch in dieser Phase.

Justiz missachtet Menschenwürde

Der Bericht in der Zeitschrift Magnus enthält keinen Hinweis darauf, dass die Person, um deren Verfahren es vor dem Bundesgerichtshof geht, Schwarz ist. Sie ist auch nicht auf dem Begleitfoto, das vielmehr in der Mitte den Autor des Beitrags zeigt. (Rechts ist womöglich eine Person of Color zu sehen, bei der es sich aber nicht um die im Gerichtsverfahren betroffene Person handelt.) Damit schließt sich der Kreis: Als das Verfahren im September 1987 eröffnet wird, dauert es Wochen, bis die Presse berichtet, dass es sich bei dem Angeklagten um eine Schwarze Person handelt. Das Faltblatt „Der Spiegel. Die großen Kampagnen“ (siehe oben) benennt diese Tatsache zwar, wirft aber dennoch nicht die Frage eines rassistischen Zusammenhangs auf.

Zwei Jahre Haft für die 23jährige AIDS-Dirne

Das erste bekannte Urteil gegen HIV-positive Sexarbeiter*innen in West-Deutschland im Mai 1987 beruht auf dem Vorwurf, dass die Münchner Prostituierte trotz bekannter HIV-Infektion weitergearbeitet habe. Der Fall wird begleitet von einer Reihe von sensationssüchtigen und vorverurteilenden Presseartikeln. Wahrscheinlich gab es für die von den Zeitungen abgedruckten Fotos, wenn sie denn die betroffene Person tatsächlich zeigen, kein Einverständnis für diesen Verwendungszweck. Die Skandalisierung des Prozesses und der Berichterstattung durch progressive Gruppen findet nur vereinzelt statt. Über eine konkrete Unterstützung der Sexarbeiterin durch solche Gruppen ist wenig bekannt. Nach wiederholten Anklagen kann im November 1988 ein Anwalt die Einstellung des Verfahrens und die Haftentlassung bewirken. Der weitere Verbleib der Sexarbeiterin ist unbekannt.

Ein Jahr Bayerischer Maßnahmenkatalog

In den 1980er Jahren stellte Bayern den Vorreiter in Sachen restriktiver Politik im HIV/Aids-Bereich dar. Das Banner war Teil der Bewegung gegen den Bayerischen Maßnahmenkatalog.
Hier auf der Internetseite der Deutschen Aids-Hilfe findet sich ein Interview von Axel Schock mit Guido Vael, der ein Bild von der Lage im damaligen Bayern gibt.

Kriminalisierung

Auch in Deutschland gab es seit jeher eine strafrechtliche Verfolgung von HIV-Exposition und HIV-Transmission. Eine Übersicht zu Fällen strafrechtlicher Verfolgung in der Zeit von 1987 bis 2016 findet sich hier

Interview mit BeV StroganoV

Aktion Jericho

Für mehr Infos zur Aktion und zum Kongress findet kann man einen von Hans Peter Hauschild geschriebenen Artikel von 1998 unter diesem Link finden.

Alf Bold (1946-1993)

Alf Bold (1946-1993) war Cineast, Mitgründer des Arsenal-Kinos Berlin 1970 und involviert im Forum der Berlinale, sowie 1971 Mitinitiator der HAW (Homosexuelle Aktion West-Berlin).
Bold, der in New York City gelebt hatte, war mit den beiden New Yorker Fotografinnen Annie Leibovitz (geb. 1949) und Nan Goldin (geb. 1953) befreundet. Beide fotodokumentierten auch Bolds fortschreitende Aidserkrankung. So nahm Goldin die letzte Aufnahme Bolds auf seinem Totenbett im Krankenhaus auf. Die beiden ausdrucksstarken Porträts aus Leibovitz‘ Kamera überließ Bold noch bei Lebzeiten dem Schwulen Museum.

Im „Blümchenzimmer“

Jürgen Baldiga in seinem Fotostudio umgeben von Freundesporträts, abgebildet u.a. BeV Stroganov. [Das Bild entspricht #12 in Aron Neuberts (geb. 1967) Portraitserie „Wärme, die nur Feuer uns geben kann…“ (1991/92)]Die beiden Fotografen, Kurzzeit-Lover und Langzeitfreunde waren eine Art Pakt eingegangen: Baldiga bat Neubert, jeden Monat (ab Oktober 1991) ein Porträt von ihm anzufangen, welche seine Aidserkrankung und letztlich seinen Aidstod (Dezember 1993) für die Nachwelt festhielt. Am Ende waren 27 Porträtaufnahmen entstanden, die Neubert 1996 im SMU vorstellte; in Gänze zu sehen waren sie zuletzt in der „Interimsdauerausstellung“ Tapetenwechsel (2017/18). Ab 15. Dezember sind sie in einer AIDS-thematischen Ausstellung im MUCEM in Marseille zu sehen!
https://www.mucem.org/programme/exposition-et-temps-forts/vihsida
https://www.mucem.org/vorbereitung-ihres-besuchs

Ikarus Passage (aka Thomas Passarge, 1965-1992)

Jürgen Baldiga (1959-1993) notierte am 13.1.1992 in seinem Tagebuch:
Ikarus gestorben.
Ikarus ist tot.
Ikarus ist verreckt.
Ikarus ist nicht
mehr da.
Kann das nicht
mal aufhören
dieses fuck Aids.
Ist doch nur nur
Horror.
Ist kein böser
Traum, sondern
beschissene Realität.
Wozu.
Warum.[…]
Schönheiten werden
zu Monstern.
Abgeschnitten.
Ausgelöscht.
Weggeputzt.
Ikarus
Dein Punkt ist gemacht.

Ovo Maltine (1966-2005) als/as Marlene Dietrich

Ovo Maltine (1966-2005) war – wie Melitta Sundström – eine der SchwuZ-Tunten. Als eine der ikonischen West-Berliner Polittunten engagierte sich zudem – auch als Betroffene – im Kampf gegen Aids, etwa in der „Lighthaus“-Hospiz-Bewegung um BeV Stroganoff um 1994/95 (s. auch ihr „Rosa-Dreieck“-Kleid unter KÖRPER sowie das TheaterX-Projekt unter HOFFNUNG).
Die Berliner Fotografin Annette Frick (geb. 1957) ist bekannt für ihre S/W-Aufnahmen der (West-)Berliner Untergrundszene; 2003 präsentierte sie im SMU ihre FUCK GENDER!-Ausstellung.

Manfred Salzgeber (1943-1994)

Manfred Salzgeber (1943-1994) war ein Vollblutcineast: Mit dem Zehlendorfer BALI etablierte er (West-)Berlins erstes Programmkino; er war langjähriger Leiter der Panorama-Sektion der Berlinale sowie einer der Mitinitiatoren dessen Teddy Awards (queerer Filmpreis der Berlinale). Ein cineastisches Vermächtnis hinterließ er mit dem nach ihm benannten Filmverleih (edition Salzgeber/Salzgeber & Co. Medien). Nur so konnte in den 1980er Jahren Filme mit Aidsthematik in Deutschland zeigen, darunter den ersten Spielfilm zum Thema: „Buddies“ (USA 1985) von Arthur J. Bressan Jr.
Ingo Taubhorn (geb. 1957) ist ein Fotograf, dessen Werk sich viel um die Themen Homosexualität und Familie dreht. Seit 2006 ist er Kurator am Haus der Fotografie (Deichtorhallen) in Hamburg.

Melitta Sundström (1963-1993)

Melitta Sundström war als eine der SchwuZ-Tunten eine der bekanntesten West-Berliner Polittunten – eine, die singen konnte! Nach ihr ist ein Kreuzberger Café benannt – im Hinterhaus des Gebäudes hatte das Schwule Museum bis 2012 seine Räume (ebenso besagtes SchwuZ – beide zogen 2013 an neue Standorte, das Café blieb).
[Eine große Version des Bildes hängt im SchwuZ, Berlin-Neukölln.]

Diamanda Galás (*1955)

Die New Yorker Sängerin und Aidsaktivistin (ACT UP New York) Diamanda Galás (geb. 1955) trat oft in den 1980er Berlin auf, wo sie u.a. ihre „Aids-Trilogie“ Masque of the Red Death vorstellte über das Leid AIDS-Kranker. Galás‘ Konzerte wurden v.a. von der Fotografin Petra Gall (1955-2018) fotodokumentiert.
Galls Nachlass lagert im Schwulen Museum und wird aktuell digitalisiert. Das SMU widmete Petra Gall 2012 eine Fotoausstellung, zusammen mit Rüdiger Trautsch.

Diamanda Galás, You must be certain of the devil

Zwischen 1986 und 1988 schuf die New Yorker Sängerin und Aidsaktivistin Diamanda Galás (*1955) mit den Studioalben Divine Punishment, Saint of the Pit und You Must Be Certain of the Devil ihre Masque of the Red Death genannte Trilogie, welche dem Leid und Sterben Aidskranker gewidmet ist. You Must Be Certain of the Devil wurde 1987 im Berliner Hansa Tonstudio aufgenommen, wo etwa David Bowie seine Berlin-Triologie eingespielt hatte.

Udo Schielke

Udo Schielke (Lebensdaten unbekannt) war ein Fotograf in Braunschweig, später Berlin. Schielke arbeitete u.a. für Kampagnen der Hannöverschen Aidshilfe und fotografierte viele seiner HIV-positiven, aidskranken Freunde (über Wochen, mitunter ein paar Tage vor ihrem Ableben). Diese Portraits stellte er mit dem Einverständnis der Dargestellten in Ausstellungen wie „hautnah“ in Kassel aus. Sein Nachlass lagert im SMU.

Porträt/Portrait Polette (†1989)

Jürgen Baldiga (1959-1993) nahm das Foto von Polette (†1989) im Jahr vor ihrem Tod auf; zum Tellerporträt wurde es 1991 – in prädigitalen Zeiten noch heroisch mit Schere und Klebstoff! Polette– bürgerlich: Rudi Wiegelmann – war eine der ikonischen West-Berliner SchwuZ-Tunten, u.a. war sie Mitglied bei Ladies Neid und Las Fenjalas. Polette war eine der Mitgründer:innen der Pflegestation H.I.V. e.V., die sich um die Bedürfnisse Aidskranker kümmerte. (Infos zum Teller sieht man in Jasco Viefhues‘ Kurzfilm zum Baldiga-Archiv im Schwerpunkt ARCHIVIEREN.)

Private Schnappschüsse anonymer Männer

Beide Fotos – private, anonyme Schnappschüsse – waren an der „Memento-Mori“-Wand voller Portraits bekannter und anonymer Aidstoter in der Infektiös-Ausstellung (1992/93) ausgestellt.

Memento-Mori-Wand

Auch in Goodbye to Berlin? 100 Jahre Schwulenbewegung (1997) gab es eine solche photographische Erinnerung an bekannte und anonyme Aidstote im letzten Raum der Ausstellung in der Akademie der Künste im Tiergarten.

Roger Lips (1952-1994), Künstler/Artist

Der freie Künstler und Fotograf Roger Lips (ausgebildet in Essen, tätig in Köln) thematisierte in seinen Arbeiten auch Aids und starb 1994 selber an den Folgen der Immunschwächeerkrankung. Sein Porträt wurde im memento mori-Raum der SMU-Ausstellung „Goodbye to Berlin? 100 Jahre Schwulenbewegung“ (1997) in der Akademie der Künste am Hanseatenweg ausgestellt.
Lipps Nachlass ruht im SMU. Das Porträt stammt von Lipps Nachlassverwalter, dem Fotografen Thomas Michalak (geb. 1957).

Zeitschriftencover aus Der Stern und Der Spiegel

Beiden Zeitungscovern ist gemein, dass sie bestimmte Bevölkerungsgruppen in den Fokus rücken, hier als sogenannte „Risikogruppen“ – mit einer Unterscheidung zwischen „unschuldigen“ (Kinder, Bluter) und vorgeblich „schuldigen“ „Opfern“ (Homosexuelle, Drogennutzende), was zu Stigmatisierung und Ausgrenzung führte. Das SPIEGEL-Cover in den frühen 1990er Jahren konzentriert sich auf berühmte Aidstote – durch den medienwirksamen Aidstod Rock Hudsons 1985 war allerdings auch ein Verständnis gerade für Homosexuelle entstanden. Das STERN-Cover ist eine Reminiszenz an berühmte STERN-COVER der 1970er Jahe: „Wir haben abgetrieben“, und „Wir sind schwul…“ (darunter 2 der „Gründüngs…mütter“ – in ihren eigenen Worten – des Schwulen Museums“).

Fotos von und mit/photos by and with Birol Isik (A.D.M.)

Birol Isik ist Heilpraktiker und Krankenpfleger, der u.a. bei Aids Danışma Merkezi, einem Beratungsprojekt zu HIV/Aids für Menschen mit türkischer oder arabischer Migrationsgeschichte, tätig war. Auch war er in der „Schwulen Internationale Berlin“ sowie SLIB e.V. tätig. (In der Sektion „ARCHIVIEREN“ läuft ein Videointerview mit ihm.)
Die beiden Fotos verdeutlichen sein Engagement für einzelne Klienten und migrantische Communities sowie von politischen Protesten, gegen Ausgrenzung.
Fotos:
-Schwule Internationale: Infostand auf dem Motzstraßenfest (Juni 1996)
– Demonstration gegen Ausgrenzung („AIDS hat viele Gesichte“, 22. Nov. 2000)
Beide aufgenommen in Berlin-Schöneberg.

„AIDS hat viele Gesichter“

Auf dem grünen Cover der 2. Auflage ist der SMU-Mitgründer und Kurator Andreas Sternweiler abgebildet.

Denkwürdig

Kampagne zum Weltaidstag 2002 (Motto: live and let live) mit der Berliner Sängerin Joy Denalane. Die D.A.H. fügte der internationalen Kampagne noch einen pointierten Slogan für Deutschland hinzu hinzu: „Denk würdig – Ausgrenzung macht krank“; „denkwürdig“ mit einer roten Schleife – als Symbol der Solidarität mit HIV-Infizierten und Aidskranken – zwischen den beiden Wortteilen „denk“ und „würdig“ platziert, dass man auch „denk würdig“ lesen kann.Mehr Infos zum Plakat finden sich auch hier.

Ich habe HIV.

Mehr Informationen zum Plakat und zur dahinterliegenden Kampagne findet sich auf den Internetseiten der Deutschen Aids-Hilfe.

force for change

Schwule Vielfalt

Mit dem Plakat „Schwule Vielfalt – schwule Solidarität“ sollte gegen die Ausgrenzung von Schwulen mit HIV und AIDS ein Zeichen gesetzt werden, schreibt die Deutsche Aids-Hilfe in ihrem Jahresbericht 1990/91.

Aids hat ein Gesicht: Die Herausforderung sind wir.“

Die Deutsche Aids-Hilfe schreibt selbst zu ihrem Plakat:
„Das deutsche Motto des Welt-Aids-Tags 1991 lautete „Gemeinsam die Herausforderung annehmen“ – ein Motto , das aus Sicht der DAH als einer Selbsthilfeorganisation unbedingt einer Modifizierung bedurfte… Das DAH-Plakat zum Welt-Aids-Tag 1991 lautete daher folgerichtig „AIDS hat ein Gesicht: Die Herausforderung sind wir.“ Die Unterstützung der speziellen Versorgung, für die das Plakat warb, war zu Gunsten der AGAV (Arbeitsgemeinschaft ambulante Versorgung) gedacht. Das Foto zu diesem Plakat hatte die DAH bereits 1990 in ein Plakat zum Christopher Street Day (CSD) integriert. Damals illustrierte es den Untertitel des Slogans „Selbst bewusst schwul – selbst bewusst positiv“…“ (aus einer Plakatbeschreibung der Deutschen AIDS-Hilfe e.V.)

Ich mach mein Ding.

Die Deutsche Aids-Hilfe beschreibt das Plakat auf ihrer Internetseite selbst folgendermaßen:
„Muss ich mich auf mein Positivsein reduzieren (lassen), soll mein Alltag nur noch von HIV bestimmt sein, oder darf ich mehr verlangen?…In einer Welt, in der „der kleine Unterschied“ in fast allen Lebensbereichen einen großen Unterschied macht… haben HIV -positive Frauen zum Beispiel es häufig doppelt schwer, sich zu behaupten. Und auch jungen HIV-positive Schwule finden in ihren Szenen nur wenig Rückhalt… Wer sich aber nicht angenommen fühlt oder nicht verstanden weiß, zieht sich in aller Regel zurück… Unsere Plakate sollen diesen Menschen den Rücken stärken, denn wer auf sich und seine Fähigkeiten vertraut, kann auch seine Rechte, Wünsche und Bedürfnisse selbstbewusst vertreten…“

Ich will mehr vom Leben.

Das an Menschen mit HIV gerichtete Plakat von 2004 hat folgende Intention:
„Muss ich mich auf mein Positivsein reduzieren (lassen), soll mein Alltag nur noch von HIV bestimmt sein, oder darf ich mehr verlangen?…In einer Welt, in der „der kleine Unterschied“ in fast allen Lebensbereichen einen großen Unterschied macht… haben HIV -positive Frauen zum Beispiel es häufig doppelt schwer, sich zu behaupten. Und auch jungen HIV-positive Schwule finden in ihren Szenen nur wenig Rückhalt… Wer sich aber nicht angenommen fühlt oder nicht verstanden weiß, zieht sich in aller Regel zurück… Unsere Plakate sollen diesen Menschen den Rücken stärken, denn wer auf sich und seine Fähigkeiten vertraut, kann auch seine Rechte, Wünsche und Bedürfnisse selbstbewusst vertreten…“

Protest & Desire“

Christa Joo Hyun D’Angelos Videoarbeit Protest and Desire (2019) porträtiert die in Uganda geborene und in Deutschland lebende Lillian. Sie zeigt auf, inwieweit sich Scham, Stigma und Isolation zu Kraft und Selbstermächtigung transformieren lassen und erweitert die komplexen und vielfältigen Narrative im Umgang mit HIV und AIDS-Aktivismus.
Mit freundlicher Unterstützung von:
Delight Rental Service, Berlin
Senat für Kultur und Europa, Berlin
Bezirkskulturfonds Kreuzberg-Friedrichshain
Galerie im Turm, Berlin-Friedrichshain
Edited at Mentoring Artists for Women’s Art, Winnipeg Canada

http://christajdangelo.com/video/
http://christajdangelo.com/about/

Ziyaret (The Visit/Der Besuch)

Der Sänger Murtaza Elgin (1949-1992) war die erste Person in der Türkei, die HIV-positiv getestet wurde. Der Fall ging 1985 durch die türkischsprachigen Medien in der Türkei, aber auch in der BRD. Die Öffentlichkeit und selbst enge Bekannte reagierten mit Ablehnung. Als Elgin 1992 an den Folgen seiner Aidserkrankung starb, nahmen nur zwei Personen an seiner Beerdigung teil. Aus Angst vor seinem „Aidskörper” wurde sein Leichnahm mit Bleichmittel gewaschen, in Nylon eingewickelt und mit Kalk in einem Zinksarg 2,5 Meter unter der Erde begraben.
Für Ziyaret (Der Besuch) kehrte Leman Sevda Darıcıoğlu zur Grabstätte von Murtaza Elgin auf dem Istanbuler Zincirlikuyu-Friedhof zurück, um ihm die Ehre zu erweisen, die ihm bei seinem Tode vorenthalten wurde.
Ziyaret/Der Besuch wurde von EUROPACH für die Ausstellung HIVStories: Living Politics, Istanbul (2020) – kuratiert von Zülfukar Çetin, Agata Dziuban, Friederike Faust, Emily Jay Nicholls, Noora Oertel, Todd Sekuler, Justyna Struzik, Alper Turan – in Auftrag gegeben und nach der Ausstellung dem digitalen Archiv von EUROPACH hinzugefügt.
Deutsche Transkription:
0.10
Murteza Elgin wurde 1985 als HIV-positiv diagnostiziert. Sein Leben wurde unter Titeln wie „Der erste Türke mit AIDS“ erzählt und bloßgestellt. Er wurde im Stich gelassen, und das damalige [türkische] Gesundheitsministerium stellte ihn eine Zeit lang unter Quarantäne.

0.20
Als er 1992 starb, wurde sein Körper mit Bleichmittel abgewaschen, in Nylon eingewickelt und in einem 2,5 Meter tiefen, mit Kalk gefüllten Grab in einem Zinksarg beigesetzt. Nur zwei Personen nahmen an seiner Beerdigung teil.

0.30
Ich suche das Grab von Murtaza Elgin

0.41
Schauen wir mal

0.49
Im Jahr 1992…

0.52
Lassen Sie mich die Beerdigungsunterlagen einsehen.

0.55
In Zincirlikuyu, nicht wahr?

0.56
Ja

1.00
Murteza

1.01
Murteza

1.09
Handelt es sich um Murtaza Ayarlıoğlu?

1.10
Murtaza Elgin

El-gin

1.20
Murtaza Elgin, ja! Er ist 1992 gestorben. Gehen Sie dorthin, wo ich es sage (sie zeigen es). Block 28.

2.50
Entschuldigung, wo ist das Gasilhane [der Ort, an dem die Verstorbenen gewaschen und für die Bestattung vorbereitet werden]?

2.56
Danke

06.13
Arbeiten Sie hier? Ich suche Block 28.

06.35
Sie waren bei der Grabbesichtigung dabei, richtig?

06.37
Ja

06.39
Ich werde dir helfen.

06.43
Die Straße des Gasilhane ist dreigeteilt, sagten sie, ganz rechts, aber nicht diese, denke ich.

06.52
Ich zeige es Ihnen. Biegen Sie hier links ab, fahren Sie auf der Straße ganz rechts weiter. Siehst du diese Straße? Fahren Sie von dort aus weiter.

07.10

08:58
Verzeihung. Wo ist die Nummer 479?

28. Block. Murtaza Elgin

09.17
Onkel Hasan, diese 428 ist da unten, richtig? In der Sackgasse?

09.39
Murtaza Elgin

09.48
Hier ist Block 28.

09.51
Auch dort ist unten, dort ist die Unterseite.

Geh dorthin! Ich komme mit dir.

14.33
Schwester, wir haben es Zentimeter für Zentimeter geprüft; anscheinend ist es nicht hier.

14.40
Es steht in den Unterlagen; wie kann es nicht hier sein?

14.45
Ja…

14.46
Gestorben 1992.

14.56
Haben Sie das da unten überprüft?

15.01
Wo ist unten? Wir waren dort, wo du uns hingebracht hast.

15.05
Schwester, es gibt kein solches Grab, ich sage es dir.

15.07
Wie kommt das?

15.08
Vielleicht gibt es keinen Grabstein, dann kann man ihn nicht finden.

15.12
Aber ich habe auch Gräber ohne Grabsteine überprüft, es kann nicht sein, wo ich nachgeschaut habe.

15.17
Können Sie sich an das Grabmal erinnern?

15.18
Nein.

15.27
Nein, Schwester, du kannst es hier nicht finden. Es gibt viele, viele Gräber ohne Steine, aber wenn du die benachbarten Gräber kennst, dann brauchen wir nicht zu suchen.

15.41
Hallo, guten Tag. Archiv, richtig? Wir haben vorhin nach einem Grab gesucht, wir haben gerade die Nummer bekommen, aber wir konnten es nicht finden. Der Beamte hier bat uns, die Nummern oder Namen der Gräber rechts und links zu erfahren. Welche sind das? Murtaza Elgin. Ah, Entschuldigung. Zincirlikuyu! Elgin. El-gin. 28. Block, Nummer 479, wie sie uns sagten. Murtaza.

17.18.
Ich weiß nicht, wohin wir nach der Kreuzung gegangen sind, aber wir sind jetzt im 28. Block.
Ich verstehe.
Können Sie mir das schicken? Ich danke Ihnen. Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag.

18:30
Sieh dir die an!

Nein, nicht das.

18:31
Wie hieß er noch mal?

El-gin!

Elgin, Elgin.

19:00
Danke schön!

19:40
1, 2…3

19:45
Welche Reihe?

19:49
3. Reihe.

19:48
Dann ist es dort.

19:50
Nicht hier drin?

19:51
Welche Reihe ist es?

19:52
Die dritte!

19:53
Zweite?

19:54
Dritter!

19:55
Ist das hier der dritte? Oder hier?

19:59
Der achte Block… Da sind alles Familiengräber neben ihm, und dann…

20:02
Kennen Sie die Namen dieser Familien?

20:03
Nein. Es sind keine Namen angegeben.

20:07
Ich glaube, es ist hier.

20:10
Jawohl.

20:11
Habt ihr es gefunden?

20:13
Ja, er ist hier!

20:14
Ich hab‘ dir doch gesagt, dass er wohl keinen Grabstein habe.

20:18
Ist das einer?

Ja

20:20
Er hat keinen Grabstein?

20:20
Er ist umgestürzt.

20:23
Das habe ich schon gesagt. Er hat keinen Grabstein.

20:24
Sein Grabstein ist hier.

20:29
Können wir ihn reparieren?

Mal sehen.

20:37
Ok, also Murtaza Elgin, 92. Aber hier ist alles aus der Vergangenheit.

20:40
Ich habe es dir gesagt. Der Grabstein musste fehlen.

20:44
Sagen Sie es so. Ja. Und drehen Sie das um.

20:48
Ich werde es in einer Minute kleben. Halten Sie es vorerst so.

21:34
Ich nehme den Anker und bin gleich wieder da.

22:01
Wir werden es kleben.

22:03
Habt ihr den Kleber?

22:05
Ja, ja, keine Sorge!

22:11
Ich habe dir doch gesagt, dass der Grabstein fehlen dürfte. Es ist ein altes Grab, er muss umgefallen sein.

22:33
MURTAZA ELGİN
Möge er im himmlischen Licht schlafen
Al-fatiha für die Seele
06.06.1949-17.06.1992

23:53
Wie ist deine Beziehung zu ihm, Schwester?

23:54
Er war ein Bekannter. Ein Freund der Familie.

23:59
Keiner hat sich um das Grab gekümmert.

24:00
Ja.

26:25
Ich werde den Pinsel holen!

26:26
Okay.

28:40
Soll ich sie für dich halten?

28:43
Ich werde es kleben.

Gut.

28:44
Ich werde den Schlitz finden. Ich werde ihn dort einkleben.

28:53
Kannst du es so hinstellen oder öffnen?

28:54
Ich werde ihn jetzt öffnen… Ich kann es machen

28:58
Ich bringe den Kleber, du gräbst ein Loch ins Blumenbeet.

33.36
Bist du hier fertig?

33.37
Ja, ich bin fertig mit den Blumen.

38:12
Murti,
Jetzt kannst du viele Jahre mit HIV leben, du kannst deine Medikamente nehmen, zu deinen Kontrollen gehen und dein Leben bequem weiterführen.
Menschen kenntlich zu machen, ihn zu dechiffrieren, ist ein Verbrechen, kein Arzt hat das Recht dazu, und wenn du als POZ [HIV-Positiver] stirbst, wird dein Körper gewaschen und begraben wie andere.
In Liebe, Leman

AIDS MACHT NICHTS

Der Münchener Allgemeinarzt verarbeitete den Aidstod seines Lebensgefährten (1991) und seine eigene Aidserkrankung in kunsttherapeutischen Sitzungen. Am Ende war sein Gehirn von den Folgen der Immunschwächekrankheit befallen. Range, dessen Nachlass nun im SMU liegt, zerriss viele seiner Bilder und Zeichnungen und bewahrte die Schnipsel auf. Sein Fall wurde aufgearbeitet und anonymisiert publiziert von seiner damaligen Therapeutin: Lisa Niederreiter, Bilder zwischen Leben, Krankheit und Tod künstlerisches Arbeiten und Therapie mit einem an AIDS Erkrankten, Köln: Claus Richter Verlag, 1995.

Ikarus Passage (Thomas Passarge, 1965-1992)

1985 kam Thomas Passarge mit 20 Jahren zum Raum- und Luftfahrttechnikstudium nach Berlin; 1986 erfuhr er, dass er HIV-positiv ist; Anfang 1992 starb er an den Folgen von Aids. In den sechs Jahren dazwischen bekannte er sich – fortan als Ikarus Passage – als einer von wenigen aidskranken Schwulen offen zu seiner Krankheit und trug deren sichtbarsten Zeichen – seine Kaposi-Sarkom-Flecken – beinahe stolz zu Tage: „Ich will mich nicht verstecken“, lautete angeblich sein Credo. Folglich deckte er sie nicht ab, sondern druckte die Werte seiner T4-Helferzellen (und andere Slogans wie „Vollbild AIDS“) auf T-Shirts, wodurch er auch der Fotografin Ines de Nil auffiel, die ihn wortwörtlich zum Posterboy für Kampagnen der DAH machte (deren Veröffentlichung er dann gar nicht mehr erlebte). Auch der Fotograf Jürgen Baldiga, der ebenso wenig seine Erkrankung verheimlichte, verfiel Ikarus’ Charme und nahm viele Fotos von ihm auf. Genau das wollte Ikarus: dass auch sein „Aidskörper“ begehrt wird…

Alf Bold (1946-1993)

Alf Bold (1946-1993) war Cineast, Mitgründer des Arsenal-Kinos Berlin 1970 und involviert im Forum der Berlinale, sowie 1971 Mitinitiator der HAW (Homosexuelle Aktion West-Berlin).
Seit einem längeren New-York-Aufenthalt war Bold mit den beiden Fotografinnen Annie Leibovitz (geb. 1949) und Nan Goldin (geb. 1953) befreundet. Beide fotografierten ihn oft und hielten dabei auch gleich seine fortschreitende Aidserkrankung in Bildern fest; sein Totenbettfoto stammt von Goldin. Die beiden ausdrucksstarken Porträts aus Leibovitz‘ Kamera überließ Bold noch bei Lebzeiten dem Schwulen Museum. Insbesondere dieses selbstbewusst-trotzige Krankenhausfoto entwickelte sich zu einer Fotoikone des Museums.

Jürgen Baldiga (1959-1993)

Das Bild entspricht #2 (Nov. 1991) in Aron Neuberts 9-teiligen „Portraitserie: Jürgen“ (1991/92) für die Ausstellung Infektiös (1992/93), aus der die 27-teilige Reihe „Wärme, die nur Feuer uns geben kann…“ hervorging, welche Neubert (geb. 1967) 1996 im Schwulen Museum ausstellte. Neubert und Baldiga waren eine Art Pakt eingegangen, mit Baldigas Bitte an Neubert, jeden Monat (ab Oktober 1991) ein Porträt von ihm anzufangen, welche seine Aidserkrankung und letztlich seinen Aidstod (Dezember 1993) für die Nachwelt festhielt.

Manfred Salzgeber (1943-1994)

Manfred Salzgeber (1943-1994) war ein Vollblutcineast: Mit dem Zehlendorfer BALI gründete er Berlins erstes Programmkino; er war langjähriger Leiter der Panorama-Sektion der Berlinale sowie einer der Mitinitiatoren dessen Teddy Awards (queerer Filmpreis der Berlinale). Ein cineastisches Vermächtnis hinterließ er mit dem nach ihm benannten Filmverleih (edition Salzgeber/Salzgeber & Co. Medien). Nur durch einen eigenen Verleih konnte er in den 1980er Jahren Filme mit Aidsthematik in der BRD ins Kino bringen, darunter den ersten Spielfilm zum Thema: „Buddies“ (USA 1985) von Arthur J. Bressan Jr.

Akt

Eine übergroße Kopie dieses Selbstportraits hängt im SchwuZ (Berlin-Neukölln).

Lutz und Martin

Der Künstler Martin von Ostrowski (*1958) setzte sich in seinem Werk seit den achtziger Jahren immer wieder mit dem Thema schwuler Sexualität auseinander. Seit 1988 malte Ostrowski mit dem Material Sperma, zunächst als „Spritzbilder“, dann für Selbstportraits und Portraits von anderen, darunter diverse Männerpaare. Insgesamt entstanden bis zu seiner Ausstellung im Schwulen Museum (2008/09) über dreißig Gemälde.

Kabinentüre: No Title

Die Tür (mit „Gloryhole“) fungiert als Symbol für „Klappensex“ (d.h. Sex auf öffentlichen Toiletten) und allgemeiner für freie Liebe in der Zeit vor Aids. Sie wurde gebührend in „Fenster zum Klo“ (2017/18) gewürdigt… 
Im Rahmen der Ausstellung „100 Objekte“ (2020), die mit „Paulines Hammer“ ein Kunstwerk präsentierte, das sich eindeutig auf „Klappen“ bezog, thematisierte Frede Macioszek (SMU) die Politisiertheit öffentlicher Toiletten.

Traces (SIDA)

Mit „Traces (SIDA)“ stellt Marc Martin (geb. 1971) eine Verbindung von „Fenster zum Klo“ (sowie „Les Tasses“), seiner Hommage an die „Goldene Ära“ des „Klappensex“, zu „arcHIV“ her. Das Aufkommen der Immunschwächekrankheit Aids hinterließ sichtbare Spuren („traces“) etwa in den Toilettengraffiti, welche die Existenz von Aids anerkannten oder bestimmte Gruppen ausgrenzen sollten oder aber Praktiken wie Safe(r) Sex propagierten.

Schwule Ladies

Krista Beinstein (*1955) eignet sich in vielen ihrer Arbeiten explizit eine „schwule“ Ikonografie an, wie hier exemplarisch in einer „Klappensex“-Szene. Dieses Bild war in dieser Version in Fenster zum Klo (Berlin, 2018) sowie Les Tasses.LaVallée (Brüssel, 2020) von Marc Martin zu sehen.

Wer will schon gleich als erstes über Aids reden?

In den 1980er Jahren bildete die Sicherheitsnadel den Kern des Schweizer Konzeptes für die Propagierung von Safer sex. Sie stand als Symbol für aktiven, bewussten Gesundheitsschutz sowohl beim Sex wie auch beim Fixen (Nadel!). Die Sicherheitsnadel fungierte als überall anzubringendes Erinnerungssignal.
(Die ausgestellte Packung ist ein Geschenk von Mario Russo, Berlin.)

verkehrt gehörlos

Konzipiert vom Künstler Gunter Puttridge-Reignard (1960-2008), bürgerlich: Gunter Trube. Der Gebärdenperformer und -poet war ein wichtiger Aktivist der Gehörlosenbewegung: 1985 gründete er den Verein verkehrt gehörlos, die erste Organisation queerer Gehörloser in der BRD – und 1996 entwickelte er zusammen mit der Deutschen Aidshilfe (DAH) eine Broschüre für gehörlose Schwule und Lesben, da die meisten Materialien sich nicht an den Bedürfnissen gehörloser Menschen ausrichteten, außer Acht lassend, dass die Deutsche Gebärdensprache ein eigenes Sprach- und Kommunikationssystem darstellt. Diese neu(artig)e Broschüre enthielt Informationen zu HIV/Aids für die (queere) Gehörlosen-Community in einfacher Schriftsprache, in Kombination mit Fotos von Gebärdensprache.



Ein „virtueller Spaziergang“ durch die Broschüre (mit Extramaterial) findet sich unter http://www.kunstoderaufklaerung.de

Die in New York lebende bildende und visuelle Künstlerin Marlene McCarty war Mitglied des Aidsaktivistenkollektivs Gran Fury, das öffentliche Interventionen inszenierte, bei denen die Künstler:innen sich der Sprache der Kunst und der Werbung bedienten. Anlässlich der Welt-Aids-Konferenz in Berlin im Juni 1993 kam es im Rahmen eines begleitenden Kulturfestivals (AIDS Culture – Cultural Aids) zu Ausstellungen und verschiedene Aktionen (AIDS PROJECTS) im Berliner Stadtraum und in der NGBK, woran McCarty mit ihrer Arbeit aus dem Vorjahr teilnahm, das sich (wort)spielerisch mit dem Konzept des Safer-Sex auseinandersetzte, in Form von Bierdeckeln, wo der Plural „Biere“ ebenfalls im Imperativ „Masturbiere!“ vorkommt. Im begleitenden Faltblatt sich McCarty mit den Bezeichnungen auseinander. Auf der anderen Bierdeckelseite steht ein Synonym: „Hol dir einen runter!“

Selbstbewußt schwul – selbstbewußt behindert

„Die Handlungskompetenz des einzelnen zu erweitern steht im Mittelpunkt der Präventionsarbeit der D.A.H. für homo- und bisexuelle Männer…. behinderte Schwule…können Beispiele sein für „Subgruppen“ des schwulen Gemeinwesens, bei denen generell eine geringere Handlungskompetenz zu vermuten ist…. Identität und Selbstwertgefühl nicht nur von Schwulen allgemein, sondern gerade auch von solchen aus den „Subgruppen“ zu stärken, ist eine vorrangige Aufgabe des Schwulenreferats.“ (Auszug aus dem Jahresbericht 1993/1994 der Deutschen AIDS-Hilfe e.V. zur Plakataktion, S. 19)

Cruisingpack

Im Jahre 1999 bastelte Birol Isik, der u.a. bei Aids Danisma Merkezi, einem Beratungsprojekt zu HIV/Aids speziell für türkisch- oder arabischsprachige Berliner, tätig war, mit Schülern „Second Hand Kondome“. Hinter dem Seminar von Gladt und Slib (Schwule und Lesben in Berlin e.V.“, Nachfolge der „Schwulen Internationale e.V.”) stand die Idee des Recyclings, auch in dem übertragenen Sinne, dass die HIV-/Aids-Prävention für MigrantInnen ebenfalls „second hand“, also „2. Wahl“, gewesen sei.

„Das Freudentuch der verlorenen Unschuld“

Tagebucheinträge Jürgen Baldiga:
(29/9/1992)Am Samstag mit Andreas Sex in allen Varianten. Das Freudentuch der verlorenen Unschuld: Urin, Poppers, Sperma, Crisco, Erbrochenes, Southern Comfort und so weiter. Habe noch nie so harten Sex gehabt. Aber es hat mir gefallen. Von Faustfick über den Darm vollpissen. Schläge. Ins Maul ficken, bis er kotzte. Dieses Tuch. Werde es ausstellen bei Infektiös. Jaja, ein Ficken für die Kunst.
(05/10/92)Gestern fast alles abgegeben für die Ausstellung. (…) Und zur Krönung noch ein Tuch, wo harter Sex darauf gemacht wurde.

„Souvenir“

„Souvenir“ enthält Jürgen Baldigas Kaposi-Sarkom, das er sich aus der Haut schneiden ließ und in Harz gegossen in „Infektiös“ (1992/93) ausstellte.
Drei Einträge dazu aus Baldigas Tagebuch:
(20/9/1992)das kaposi eingegossen
werde eine monstranz machen
das ganze objekt wird/soll glänzen/
kitsch pur werden.
es ist ein teil von mir.

(4/10/1992)
heute gebe ich mein erstes objekt für
die infektiös-ausstellung im schwulen
museum ab. bin mal gespannt, was sie
sagen werden.
souvenir:
jürgen baldiga.
september ’92.
materialien:souvenir
kaposi sarkom/holz
gips/marmor/metall
plüsch/lack/glitter/glas
baumwolle/harz/plastik
größe 34 cm
gewicht 5,5 kg

(05/10/92)
Gestern fast alles abgegeben für die Ausstellung. Herr Baldiga stellt sein Kaposi aus, (…)

Sternweiler & Wojnarowicz

Auf Bitten von und Vermittlung durch den Kurator Frank Wagner wurden die vier in Über‘s Sofa ausgestellten New Yorker Künstler (und Act-up-Aktivisten) González-Torres (1957-1996), Lindell (*1956), Moffett (*1955) sowie Wojnarowicz (1954-1992) privat in Berlin untergebracht; etwa bei den Mitbegründern des Schwulen Museums, Wolfgang Theis (Gonzalez-Torres) und Sternweiler (Wojnarowicz), wie letzterer berichtet.

Die Krankheit hat mir mehr gegeben als genommen

Im Interview mit Birgit beschreibt sie das Wechselbad der Gefühle nach der Diagnose „HIV-positiv“ und die Barrieren und Brüche, die Positive oftmals erleben müssen. Gleichzeitig beschreibt sie aber auch das „Prinzip Hoffnung“, welches im Prinzip Lebensgrundlage ist und ihr ermöglicht auch trotz widriger Umstände weiterzuleben und nach vorne zu schauen, zum Teil sogar daran zu wachsen.
Birgit ist dabei nur ein Beispiel für eine „Langzeitüberlebende“. Der Begriff der Langzeitüberlebenden kam Ende der 1980er zunehmend auf, als festgestellt wurde, dass einige der Infizierten trotz wesentlich länger überlebten als gemeinhin erwartet wurde obwohl noch keine wirkungsvollen Medikamente zur Verfügung standen. Die Ursachen dafür waren oftmals nicht genau zu bestimmen.

Michael Callen (1955-1993), prominenter Aids-Aktivist in den USA und Gründer einiger wichtiger Aids-Organisationen, schrieb mit „Surviving AIDS“ (1991) eines der ersten Bücher zu Langzeitüberlebenden. Für das Buch führte er Interviews mit anderen Langzeitüberlebenden in der Hoffnung ein Muster zu erkennen. Laut Callen schien eine Voraussetzung für Überleben die Aufrechterhaltung einer gewissen Lebensfreude, gar das Feiern des Lebens zu sein, sowie einen Sinn im Leben zu haben – oder sich selbst neu zu schaffen. Sein eigenes (Langzeit-)Überleben führte er auf „Glück, Cola, und die Liebe eines guten Mannes“ zurück.

Überleben

Im Laufe der Zeit hat sich eine ganze Fülle von Büchern mit Biographien, Lebensfragmenten und wissenschaftlicher Auseinandersetzung mit dem Leben von Langzeitüberlebenden angesammelt.
Damit einher geht auch ein Wandel der Bedeutung, was Überleben eigentlich bedeutet. Die eher medizinisch gedachten Konzeption des Begriffs der Langzeitüberlebenden wurde Mitte der 1990er teilweise um die Frage erweitert, ob es eigentlich so etwas wie ein „Aids Survivor Syndrome“ gibt. Der Fokus liegt hier auf die Überlebenden, „die es geschafft haben“, während sie zum Teil Dutzende bis hunderte Anderer zu Grabe getragen haben. Vereinzelt wurde damals auch bereits die Frage gestellt, ob es etwas derartiges eigentlich auch bei HIV-Negativen gibt. Mit der Existenz wirkungsvoller Medikamente ab Mitte/Ende der 1990er ist die Debatte wieder abgeflaut, und in den USA erst ab ca. 2012 wieder aufgekommen. Das Buch von Perry Halkitis war eine der ersten wissenschaftlichen Auseinandersetzungen mit der Frage wie „HIV/AIDS Longterm Survivors“ (meist v.a. als schwule Männer gedacht) eigentlich mit der Erfahrung der Pandemie heutzutage umgehen.

Neben der wissenschaftlichem Blick gab es immer auch Selbstzeugnisse von HIV-Positiven. Die Bibliothek des Schwulen Museums hat eine ganze Reihe davon, wobei der Bestand eindeutig vor allem die Erfahrungen weißer, schwuler Männer aus Europa und Nordamerika abbildet. Das hat zum Einen mit der geschichtlichen Entwicklung des Museums zu tun und der Art und Weise, dass Schenkungen ans Museum in der Vergangenheit vor allem aus dieser Gruppe stammten und viele Betroffene in Deutschland Teil dieser Gruppe sind, zum Anderen aber auch mit der Frage welche Personen eigentlich den Zugang zu Ressourcen und Möglichkeiten haben um ihre Perspektive und Erfahrungen für Andere aufzuschreiben. Ein eher selten anzutreffende Perspektive ist das Buch von Miriam Anyongo. In Ihrem 1997 erschienen Büchlein beschreibt sie ihre Erfahrung zuerst nach London zu kommen, wo sie sich in einen deutschen Mann verliebte und ihm nach Deutschland folgte. Hier wurde dann auch bei ihr und ihrem Mann HIV diagnostiziert. Während der Mann später starb, hat sie überlebt, macht eine Ausbildung im medizinischen Bereich, und kann ihre Geschichte erzählen, die sowohl aus weiblicher Perspektive, aus Schwarzer Perspektive, als auch aus (ursprünglich) nicht-europäischer Perspektive berichtet. Ihre Aufzeichnungen richten sich dabei dezidiert auch an andere, denen sie Mut geben will.

Videos: „What is Aids Survivor Syndrome?“ + Ballade ohne Gummi

„What is Aids Survivor Syndrome?“„What is Aids Survivor Syndrome“ der Organisation „Let’s Kick ASS (Aids Survivor Syndrome“ lässt selbst-identifizierte „Long Term Aids Survivors“ von ihren Erfahrungen berichten und welche Auswirkungen das auf ihr Leben hat und hatte. Die Organisation, 2013 von Tez Anderson in San Francisco gegründet, bezeichnet sich selbst als „Grassroots Movement“ von und für „Überlebende“. Let’s Kick ASS hat Community-Gruppen zum Austausch gegründet, organisiert Veranstaltungen, und versucht mehr Aufmerksamkeit auf ihre Erfahrung und die Folgen gewinnen. Zu diesem Zweck haben sie auch den 5. Juni zum „HIV/AIDS Long-Term Survivor Awareness Day“ ausgerufen.
Während die Organisation 2013 in einer gerade anfangende Debatte entstand, ist die Diskussion in Deutschland noch nicht so lange präsent. Der Journalist Dirk Ludigs versucht seit längerem auf die Thematik aufmerksam zu machen und hat im Online-Magazin der Deutschen Aids-Hilfe dazu geschrieben. Neben einem eigenen Erfahrungsbericht von ihm, gibt es unter anderem auch ein Interview mit Tez Anderson, dem Gründer von Let’s Kick Ass, sowie weitere Beiträge zur Thematik.

Ballade ohne Gummi

Die 2015 entstandene Ballade von Fabienne du Neckar, vorgetragen auf den Bühnen der Stadt, ist eigentlich ein Protestsong zum Thema PreP, gesungen auf die Melodie des Songs „Laut“ von Rosenstolz. Polittunte Fabienne du Neckar wusste von PreP zwar bereits, aber wurde zum Thema noch einmal besonders politisiert durch einen Vortrag vom Aktivisten und Journalisten Nicholas Feustel bei der von Patsy L’Amour LaLove organisierten Polymorphia-Veranstaltung im Berliner SchwuZ. Zu diesem Zeitpunkt war PreP in Deutschland noch relativ neu und nicht frei in Deutschland verfügbar, sondern konnte nur über teure und semi-legale Umwege beschafft werden. Der Song, mit dem auf die Notwendigkeit der Bereitstellung bezahlbarer PreP für Alle (die es wollen) hingewiesen werden soll, ist gleichzeitig auch eine Auseinandersetzung mit der komplexen Verflechtungsgeschichte von „Safer Sex“ mit Versuchen heteronormativer Eindämmung schwuler Sexualität. Im Hintergrund schwingt hier zudem die enge Verflechtung von HIV/Aids mit mann-männlicher Sexualität in Westeuropa und Nordamerika mit, bei der über Sexualität gedanklich immer auch das sehr präsente Gespenst der Möglichkeit der Ansteckung mit HIV schwebt. Bezahlbare PreP kann hier auch einen Befreiungsschlag darstellen und lustvolle Sexualität ohne potentielle Angst besser zugänglich machen.
Mittlerweile ist PreP in Deutschland als Kassenleistung verfügbar.

艾滋徒步 China Aids Walk

2013 fand der China Aids Walk bereits das zweite Mal statt. Die Hoffnung des Aids Walks ist es Geld zu sammeln, die Zivilgesellschaft zu mobilisieren und Aufmerksamkeit für das Thema HIV/Aids zu gewinnen. Inspiriert wurde diese Aktionsform dabei von Beispielen aus den USA, wo „Walks“ als Werkzeug zum Spendensammeln bereits eine längere Tradition haben und AIDS Walks seit ca. Mitte der 1980er Dutzende von Millionen Dollar an Spenden gesammelt haben.
Das T-Shirt selbst ist eines der wenigen HIV-bezogenen Sammlungsobjekte von außerhalb des europäischen und nordamerikanischen Raums in der Sammlung des Schwulen Museums. Ähnlich wie die ebenfalls ausgestellten Buttons und Schleifen, von denen einer auch vom China Aids Walk stammt, symbolisiert das T-Shirt wie sich Aktionsformen und Symboliken im HIV/Aids-Bereich erfolgreich transnational verbreiten, dabei aber auch an die regionalen Kontexte angepasst werden.
Mehr Informationen zum China Aids Walk findet sich hinter diesem Link.

AIDS 1969

Ein anderes Beispiel für die Nutzung künstlerischer Mittel um Aufmerksamkeit für HIV/Aids und bestimmte Unterthemen im Themenkomplex zu gewinnen, sind Sticker. Einfach verbreitbar, da schnell aufgelebt auf sämtlichen Unterlagen, können Sticker Themen im Raum präsent machen, gleichzeitig aber auch verwirren und Fragen aufwerfen.
Der vorliegende Sticker wurde designt von Theodore (ted) Kerr, einem ursprünglich kanadischen Künstler und Aktivisten, der in den USA lebt. AIDS 1969 ist eines der Ergebnisse einer längeren Recherche zu Robert Rayford, einem schwarzen Jugendlichen in St. Louis, Missouri. Rayford ist das vielleicht erste (retroaktiv) nachgewiesene Opfer der Aids-Epidemie in den USA. Der Tod Rayfords datiert damit mehr als ein Jahrzehnt vor dem 1981er Artikel der New York Times, der gemeinhin meist als Anfangspunkt der Aids-Geschichtsschreibung in den USA genommen wird. Theodore (ted) Kerr will mit seinem Sticker durch die Benutzung des vielleicht bekanntesten Wahrzeichens von St. Louis zusammen mit dem kryptischen 1969 irritieren und eine Auseinandersetzung mit unseren Annahmen über HIV-Geschichte anstoßen.

Neben dem Sticker ist ein weiteres Ergebnis der Recherchen Kerrs ein hier online verfügbarer Essay, der sich mit HIV-Narrativen und der Frage von ‚race‘ und Geschichtsschreibung auseinandersetzt. Ein kurzer Auszug:
„Die Geschichte, die wir über Aids in Amerika erzählen, ist die Geschichte, dass die US-Regierung es aufgrund ihrer grassierenden Homophobie nicht geschafft habe Aids angemessen zu begegnen. Richtig. Aber was auch stimmt ist die Tatsache, dass der später als HIV bekannte Virus schon lange in anderen minorisierten Communities (Communities of Color, Drogennutzer*innen, Obdachlose und Menschen in Armut) zirkulierte, lange bevor er bei Homosexuellen in New York, Los Angeles und San Francisco bemerkt wurde. Wir wissen immer noch nicht wie wir die Geschichte von Aids vor Aids erzählen sollen weil es nicht wissen, und weil wir nicht wissen wie wir zuhören und teilen können, was wir wissen. Stattdessen wiederholen wir immer wieder die Geschichte, von der wir wissen, dass sie stimmt, der Teil der Geschichte, der 1981 beginnt.“

Poster Condoman + Fight Fear with Facts

Poster sind ein weitverbreitetes Mittel der Kommunikation vor allem auch staatlicher Stellen. In Deutschland weit bekannt sind die Kampagnen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, die Wissen vermitteln und sensibilisieren sollen. Die Hoffnung ist darin durch dieses einfache, visuell ansprechende Medium möglichst viele Leute gut niedrigschwellig zu erreichen.
Der Einsatz von Postern war nicht nur in Deutschland weit verbreitet, sondern ein globales Phänomen wie schon die Ausstellung Aids – nach einer wahren Begebenheit im Deutschen Hygiene-Museum in Dresden (2015-2016) zeigte, die gar von einer „Bilderflut“ sprach. Poster haben dabei ganz unterschiedliche Adressat*innen und Funktionen.

Das hier gewählte Beispiel des „Condoman“ verweist auf die Hoffnung, mit zielgruppengerechter Ansprache auch Communities zu erreichen, die streckenweise aufgrund von schlechten Erfahrungen und fehlenden Ressourcen eine größere Distanz zu Staat, Gesundheits- und Präventionssystemen haben. Condoman ist eines der am bekanntesten Poster für sexuelle Gesundheit in australischen Communities von Aborigines und Torres Strait Islanders.

Ein anderes bekanntes Beispiel der HIV-Prävention in Australien war ein Werbespot mit der Figur des Sensenmannes, das vor allem die bestehende Furcht vor HIV/Aids und Infizierten verstärkte und rückblickend als wenig hilfreich erscheint. Andere Präventionsbotschaften scheinen eher erfolgreich zu sein. Zentral ist immer wieder auch Aufklärung statt die Schürung von Ängsten – Angst soll mithilfe von Fakten bekämpft werden.
Mit den Erfahrungen der damaligen Zeit und Methoden, könnten HIV-Prävention und -kampagnen auch heutzutage als gute Grundlage für eine moderne und effektive Gesundheitsarbeit in Corona-Zeiten fungieren.

Solidarität der Uneinsichtigen

Der Demoaufruf in Plakatform verweist auf Demonstrationen in Frankfurt. Die erste Demonstration unter dem Motto „Solidarität der Uneinsichtigen“, fand 1988 statt in Reaktion auf Äußerungen des damaligen Frankfurter Oberbürgermeisters Wolfram Brück (CDU). Vertreter*innen ganz unterschiedlicher Betroffenengruppen und Gruppierungen kamen im Anschluss zusammen um gemeinsam politisch aktiv zu sein und sich gegenseitig zu unterstützen. Durch gruppenübergreifende Solidarität sollten die Bedingungen für alle HIV-Positiven verbessert und repressiven Kräften etwas entgegengehalten werden. Zugrunde liegt dem die Auffassung, dass Vereinzelung schwach machen kann, und die Hoffnung durch gemeinsamen Aktivismus die Schlagkraft höher ist.
Das hier vorliegende Plakat ist kein Plakat für die Ursprungsdemostration von 1988, sondern muss sich auf eines der Folgejahre beziehen, in denen das Motto immer wieder für gemeinsame Aktionen und Demonstrationen genutzt wurde. (Das Plakat für die erste Demonstration findet sich hier in der Ausstellung im Bereich „Aktivismus“.)
Mehr Informationen zur Solidarität der Uneinsichtigen, findet sich online hier. Dort steht auch eine Version eines digitalisierten Buches mit den auf der Ursprungsdemo gehaltenen Reden zum Download bereit. Wer lieber Papier mag, kann das Buch auch in der Bibliothek des Schwulen Museums finden.

ACT OUT! Die Geister, die uns riefen

HIV/Aids hat zu einer wahren Explosion von künstlerischem Schaffen zum Virus und seinen Folgen geführt. Gerade auch die scheinbare Sinnlosigkeit der Epidemie, bei dem ein unsichtbarer Virus die Hauptrolle spielt, hat dazu herausgefordert mithilfe künstlerischer Mittel in der Epidemie doch noch irgendwie Sinnhaftigkeit zu finden.
Diese künstlerische Auseinandersetzung hält bis bis heute an und bietet immer neue Anknüpfungspunkte um sich mit der Geschichte von HIV und Gesundheitsthemen allgemein auseinanderzusetzen.

Das Theaterprojekt ACT OUT! Die Geister, die uns riefen des Next Generation Ensembles stellt eine Kooperation des Theater X mit dem Schwulen Museum dar. Die Mitglieder des Ensembles haben sich die Frage gestellt „Wessen Gesundheit zählt und wessen nicht?“ Ausgehend von ihren eigenen Erlebnissen bei Praxisbesuchen und Erfahrungen in Zeiten der Corona-Pandemie durchleuchteten sie das Gesundheitssystems auf Homo-, Transfeindlichkeit, Sexismus und Rassismus. Im Stückprozess begleitete sie immer die Frage nach ihrer Lebensrealität heute und in Zukunft: Wie organisiert sich Solidarität hier und weltweit heute? Und was können wir aus vergangenen Kämpfen lernen? Dabei recherchierten sie im Archiv des Schwulen Museums, trafen Aktivist*innen der AIDS-Krise und archivieren mit dem Stück zeitgleich ihre eigene künstlerische Auseinandersetzung als Jugendkultur in Zeiten einer Pandemie.

Eine Aufnahme des Stückes ist hier auf YouTube zu finden. Ein Ausschnitt aus dem Stück ist auch auf einem der Bildschirme im Bereich „Archivieren“ zu finden.

Von & mit: Nele Becker, Sam. Davis, Nadir Eiffler, Ozan Erkan, Marie Opitz,  Ismael Schönpflug, Serina Secici, David Thiery & Lumo Quinkert
Regie: Annika Füser
Dramaturgie: Gwen Lesmeister
Kostüm & Bühne: Elisa Nelvand & Selina Thylmann
Team Schwules Museum: Sandra Ortmann & Tabesch Mehrabi

Adele

Das sich im Nachlass von Ovo Maltine befindliche Spendenschwein Adele wurde ab 1994 von einer Gruppe von Aktivist*innen um die Tunten Ovo Maltine und BeV StroganoV genutzt um Spenden zu sammeln für die Idee des „Lighthouse“. Die Lighthouse-Initaitive war der langjährige Versuch in Berlin ein Hospiz für Aids-Erkrankte einzurichten. Der Name des Schweins, Adele, kommt vom Schwäbischen für „Adé“ – was man auch zu den Sterbenden sagen konnte, die „Wohl Leben“ sollten.
Geboren wurde die Idee des Lighthouse Ende der 1980er Jahre und führte 1989 zur sehr kurzen Besetzung eines leerstehenden Krankenhauses in der Methfesselstraße in Berlin-Kreuzberg. Diese Besetzung dient auch auch dem Theater-X-Projekt, von dem hier Fotos und Stiefel zu sehen sind, als Bezugspunkt ihres Stückes.

Die Initiative um Ovo Maltine und BeV StroganoV war mehrere Jahre aktiv und hat den Verein „Big Spender e.V.“ gegründet um die Spendensammlung zu vereinfachen. Bei Shows wurden Flyer verteilt und um Spende gebeten, es wurden Veranstaltungen und Aktionen wie der „Gehen für’s Leben“ Walk for Life 1995 organisiert, es gab von Benefizveranstaltungen im Theater bis Modenschauen unter anderem im Haus der Kulturen der Welt und im Schmidts Tivoli in Hamburg alles Mögliche.

Das Lighthouse selbst wurde am Ende leider nie eingerichtet. Zu hoch waren die Kosten und die Skepsis der Politik, die sich zwar zwischenzeitlich offen zeigte, aber letztendlich dem Projekt doch nie die notwendige Unterstützung zukommen ließ.

A.D.M. (Aids Danışma Merkezi)

A.D.M., was aus dem Türkischen übersetzt so viel bedeutet wie „Aids-Beratungsstelle“, wurde als Modellprojekt gegründet um türkischsprachige Berliner*innen zu erreichen. Die Arbeit von A.D.M. war dabei vielfältig: von gesundheitlicher und emanzipatorischer Aufklärung über die Arbeit mit Multiplikator*innen, zu Vor-Ort-Arbeit, Öffentlichkeitsarbeit und Beratung. Später wurde A.D.M. auch noch auf anderen Sprachen wie Arabisch tätig.
Neben A.D.M. gab es auch andere Initiativen, die versuchen und versuchten gezielt bestimmte nicht-deutschsprachige Communities zu erreichen. Beratung und Information durch Menschen aus den jeweiligen Communities scheint oftmals den Zugang zu Prävention und Beratung zu vereinfachen und hilft so Defizite des Gesundheitssystems zumindest teilweise abzumildern.

Ein Interview mit Birol Isik, der lange Zeit bei A.D.M. tätig war, findet sich online auf der Internetseite des Schwulen Museums.

DDR: Großer Andrang in der Charité

Im Vergleich zur BRD waren in der DDR nur wenige Menschen mit HIV infiziert. Ab Mitte der 1980er wurde auch in der DDR-Öffentlichkeit mehr über HIV/Aids berichtet und Präventionsarbeit intensiviert, der Virus in den Schulen thematisiert und öffentliche Aufklärung betrieben. Die Wissensgier der DDR-Bürger*innen war groß, wie der Andrang auf die Informationsveranstaltungen der Charité verriet.
Der Arzt Niels Sönnichsen prägt als staatlicher Berater die AIDS-Politik der DDR. Diese setzt auf viele, nicht anonyme Tests und die Nachverfolgung von Kontakten. Staatliche Informationsmaterialen wurden immer wieder auch von politisch Aktiven aus der Homosexuellenbewegung durch eigene Materialien und Selbsthilfearbeit ergänzt.

Prä-Expositions-Prophylaxe (PreP)

Anfang der 2010 setzte sich zunehmend die Erkenntnis durch, dass bestimmte Aids-Medikamente nicht nur Infizierte behandeln können, sondern auch vor einer Infektion schützen können. So wurde PreP schnell ein weiterer Baustein der HIV-Prävention, vorausgesetzt eine Person hat Zugang. Das ist nicht überall gleich gegeben, und vor allem marginalisierte Gruppen haben immer noch stärkere Probleme Zugang zu erlangen. In Deutschland haben sich aus diesem Grunde verschiedene Initiativen wie Love Lazers gegründet um zum Einen Informationsarbeit über PreP zu betreiben, zum Anderen aber auch politisch Druck auszuüben. Außerdem wurden in Deutschland Netzwerke gegründet, die im gesetzlichen Graubereich agierten und dabei Tips gaben wie man in Deutschland PreP-Medikamente aus dem Ausland importieren kann. Alternativ gab es bestimmte Apotheken, wo man PreP auch als Selbstzahler*in erhalten konnte. Dies war allerdings sehr teuer, die Pharmakonzerne verdienen gutes Geld mit den Medikamenten und wehren sich oft mit Händen und Füßen gegen Generika.
Seit 2019 ist PreP Kassenleistung; ein Erfolg politischer Aktivist*innen und auch Performer*innen wie Fabienne du Neckar, die sich auf künstlerischem Wege für bezahlbaren Zugang zu PreP stark machte.
Besonders verbreitet scheint die PreP vor allem noch unter schwulen Männern zu sein, die oft auch im Fokus der dazu durchgeführten Studien stehen. Organisationen wie die Aids-Hilfen versuchen aber verstärkt andere Gruppen über die Möglichkeit der PreP aufzuklären. Hier findet sich beispielsweise ein Interview mit Miriam*, die darüber spricht wie es ist als Frau PreP zu nehmen und welche Hürden man mitunter überwinden muss.

Neben dem gesundheitlichen Schutz kann PreP auch eine andere wichtige Wirkung entfalten: mann-männliche Sexualität ist immer noch oft gedanklich mit der Angst vor HIV verbunden. Die PreP bietet hier psychische Entlastung, ist sie doch eine Möglichkeit selbstbestimmte Prävention zu betreiben und Sexualität so stärker von der mentalen Belastung der Angst vor HIV/Aids zu entkoppeln.

Imagine HIV is harmless

Seit Beginn war HIV/Aids immer auch von der Hoffnung nach alternativen Erklärungen und Behandlungsmethoden begleitet. Insbesondere in Zeiten bevor es wirkungsvolle Medikamente gab, klammerte man sich oft an vermeintliche Wundermittel gegen Aids. Gerade in den 1980ern und frühen 1990ern gab es zudem eine riesige Bandbreite an Erklärungen, was eigentlich Aids auslösen würde. Auch als es zunehmend wissenschaftliche Erkenntnis zum Zusammenhang zwischen HIV und Aids gab, wurden (und werden) diese in Zweifel gezogen und zum Teil auch geleugnet.
Die Aids-Leugnerszene war sehr aktiv und hat unter anderem den Film „Die Aids-Rebellen“ gedreht (Regie: Fritz Poppenberg), der den Zusammenhang zwischen Virus und Krankheit leugnet und sogar noch staatliche Förderung erhielt. Andere Aktivist*innen haben andere Kanäle benutzt und beispielsweise Sendungen für Offene Kanäle sowie Flugblätter produziert.

Einiges davon ist auch im Archiv des Schwulen Museums zu finden. Sowohl als Bücher in der Bibliothek, aber auch direkt an das Museum adressierte Briefe von Aids-Leugner*innen, die auf diese Wege hofften ihre Thesen verbreiten zu können.

Während diese Thesen massenhaft widerlegt sind und in der Öffentlichkeit und in Szenedebatten kaum mehr eine Rolle spielen, sind einige der Akteur*innen bis heute aktiv. Insbesondere in Corona-Zeiten wittern sie Möglichkeiten ihre Thesen zu verbreiten und alternative Erklärungen anzubringen – sowohl in Bezug auf Corona, als auch auf HIV/Aids.

Das sind aber nicht die einzigen Kreise, in denen sie aktiv sind: zwei der aktivsten Aids-Leugner*innen, Kawi Schneider und Peter Schmidt, sind unter anderem Teil der Reichsbürgerbewegung und Anhänger der Neu-Schwabenland-Theorie, nach der sich Teile des Deutschen Reiches in die Antarktis flüchteten und dort unter dem Eis das Dritte Reich fortbesteht. Inklusive Flugscheiben.

Berliner Patient

Spektakuläre Einzelfälle wie der „Berliner Patient“ machten immer wieder auf sich aufmerksam und vermittelten Hoffnung, eine Heilung für HIV zu finden. Timothy Ray Brown, der 2020 an Krebs gestorben ist, galt dabei als die erste bekannte Person, die nachweislich geheilt wurde. Mittlerweile ist er zwar nicht mehr der einzige weltweit bekannte Fall, aber wahrscheinlich immer noch der bekannteste.
Während der Fall Browns weltweit durch die Medien ging, mussten die Hoffnungen bisher immer wieder enttäuscht werden. Immer mal wieder gibt es Meldungen möglicher Heilungsmethoden, aber bisher konnte noch keine Heilung der Weltöffentlichkeit vorgestellt werden. Timothy Ray Brown kann bisher also als bittere Freude gesehen werden – zum Einen gibt sein Fall Hoffnung, gleichzeitig können die immer wieder getrübten Hoffnungen auf eine schnelle Heilung auch belastend wirken.

Die Apokalypse ist abgesagt

Dass sich in Deutschland Befürchtungen einer breiten Verbreitung des Virus in der Gesamtbevölkerung nicht bewahrheiteten, war eine Erleichterung für große Teile der Öffentlichkeit. Am Ende traf es oftmals eben doch eher nur bereits marginalisierte Gruppen.
Der Verlauf der Epidemie mit relativ geringen Fallzahlen in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern, sowie die Entwicklung wirksamer Medikamente, führten dazu, dass HIV/Aids in der Öffentlichkeit an Aufmerksamkeit verlor. Gleichzeitig mussten durch die geringere Betroffenheit der Mehrheitsgesellschaft bestehende Stereotype wenig in Frage gestellt werden und die Reproduktion beispielsweise rassistischer und schwulenfeindlicher Bilder konnte oftmals relativ ungehindert weitergehen. Stärker betroffene Gruppen mussten und müssen bis heute um Aufmerksamkeit ringen und Vorurteilen begegnen. Gleichzeitig ist die Aids-Krise bei weitem nicht vorbei – immer noch infizieren sich weltweit viele Menschen, von denen eine große Anzahl auch keinen oder nur schlechten Zugang hat zu Behandlung. Die Apokalypse ist also nur für bestimmte Teile der Welt abgesagt – jene, die es sich leisten kann.

Wie Jakob die Zeit verlor

Der Roman Jan Stressenreuters (1961-2018) ist eine Auseinandersetzung mit der Erfahrung der Aids-Krise in den 1980ern und seine Auswirkungen bis heute. Er thematisiert das Trauma jener, die überlebt haben, und die zum Teil vorhandene Schwierigkeit das zu verarbeiten und genau darüber zu sprechen. Damit war er im deutschsprachigen Raum einer der ersten Romane, die sich explizit diesem Thema angenommen haben.

Die Tatsache, dass Romane wie dieser mittlerweile erscheinen, macht deutlich, wie die Aufarbeitung der Erfahrungen der 1980er und 1990er nach Jahren des eher Beschwiegen-Werdens auch in Deutschland zunehmend möglich werden, wie es teilweise in den USA schon etwas länger passiert. Auch wenn dort immer wieder die Frage gestellt wird, wer eigentlich den Zugang zu Medien und Ressourcen hat um überhaupt Aufarbeitung betreiben zu können und welche Communities auch hier wieder hinten runter fallen.

„Längeres Leben ist nicht wünschenswert“

Nicht jede Person wünschte sich ein gutes Leben und Überleben der HIV-Positiven. Bundesanwalt Manfred Bruns (1934-2019), der später auch Sprecher des Lesben- und Schwulenverbands Deutschlands wurde, redet hier über bestimmte Gruppen von Epimdemiolog*innen, deren Hoffnung auf ein möglichst schnelles Ableben mit den Hoffnungen der Betroffenen auf Überleben kollidieren.
Hoffnungen sind dementsprechend oftmals ambivalent: Die Hoffnungen der Einen sind die Flüche der Anderen.

Aktivistenkoffer

Matthias Wienolds Koffer, den wir am Ende nicht ausstellen, da er fortlaufend von ihm weiter befüllt wird, enthält u.a. Andreas Salmen „Straßenkämpferjacke“ sowie die „Paradeweste“. Der Arzt und Aidsaktivist Wienold ist Mitherausgeber des AIDS-Taschenwörterbuches (1996), Projektleiter des Migranten-Aids-Projekt (MAP) in Hannover (2008), langjähriger Referatsleiter Medizin & Gesundheitspolitik, Deutsche Aidshilfe e.V. sowie Gründungsmitglied der European AIDS Treatment Group.

„Straßenkämpferjacke“

Lederjacke aus dem Erbe von Andreas Salmen (1962-1992), der sie in London als seine „Straßenkämpferjacke“ im Jahr vor seinem Tod kaufte und zu einem Die-In von ACT UP trug. Aufbewahrt durch Matthias Wienold (getragen bei anderen Aktionen als Zeichen des Widerstands), erhalten von Salmens Lebensgefährten Michael Fischer nach Salmens Tod.
Der Politologe Andreas Salmen war Journalist und Aidsaktivist in Berlin: Mitbegründer von ACT UP Berlin, Leiter des „Stop-AIDS“-Projekts, Mitbegründer der Siegessäule, freier Mitarbeiter bei taz und magnus, kritischer Begleiter der Aidshilfe-Bewegung, Ko-Autor von AIDS-Prävention (zusammen mit Rolf Rosenbrock) sowie Autor des Bandes ACT-UP: Feuer unterm Arsch der Reihe AIDS-FORUM DAH. Am 13. Februar 1992 starb Salmen an den Folgen von AIDS.

Salmens Foto in der Porträtwand bei GESICHTER hing an der Memento-mori-Wand in Infektiös (1992/93).

Paradeweste

„Paradeweste“ eines AIDS-Aktivisten aus dem Bestand von Matthias Wienold. Sammlung von Buttons von unterschiedlichen Organisationen. Auch Anstecknadeln (zwei Flaggen) von einer Afrikareise (Angola, Burundi, Ruanda) im Geleit von Bundesaußenminister Joschka Fischer 2001 (als AIDS-Experte im wissenschaftlichen Begleitteam). Zusätzlich: Seltene Anstecknadeln aus Hannover und von der Expo 2000 (Motive: Nicki de Saint-Phalle). Keith-Haring-Buttons aus dem Erbe von Andreas Salmen. ACT-UP-Buttons aus den Jahren 1989 (englisch) und 1990 (deutsch). Aufkleber Coming Out am Arbeitsplatz von Aktion mit Schwulem Forum Niedersachsen in Hannover. Die „Paradeweste“ wurde getragen bei CSDs und anderen öffentlichen Demonstrationen (z.B. bei Aidskongressen).

Rosa Dreieck (“Lighthaus”)/Pink Triangle (“Lighthouse”)

Ovo Maltine (1966-2005) war – wie Melitta Sundström – eine der SchwuZ-Tunten. Als eine der ikonischen West-Berliner Polittunten engagierte sich zudem – auch als Betroffene – im Kampf gegen Aids, etwa in der „Lighthaus“-Hospiz-Bewegung um BeV Stroganoff um 1994/95 (s. auch ihr „Rosa-Dreieck“-Kleid unter KÖRPER sowie das TheaterX-Projekt unter HOFFNUNG („Adele“) und ARCHIVIEREN (Clip)).


Die Berliner Fotografin Annette Frick (geb. 1957) ist bekannt für ihre S/W-Aufnahmen der (West-)Berliner Untergrundszene; 2003 präsentierte sie im SMU ihre FUCK GENDER!-Ausstellung.