Leitbild
Das Schwule Museum (SMU) wurde 1985 gegründet, um der Geschichte und Kultur schwuler Männer und ihrer Emanzipationsbewegung, ihren von den Museen und Archiven der Mehrheitsgesellschaft abgewerteten und ausgeschlossenen Geschichte(n), künstlerischen Werken, Lebenszeugnissen und Bewegungsdokumenten eine Heimat zu geben. Seitdem hat sich das Haus weiterentwickelt: Heute ist das SMU das international wichtigste Kompetenzzentrum für die Erforschung, Bewahrung und Präsentation der Kultur und Geschichte queerer Menschen und sexueller und geschlechtlicher Vielfalt sowie ein gefragter Kooperationspartner für Museen und Universitäten, die Institutionen der Kulturförderung, Künstler*innen und Aktivist*innen aus der ganzen Welt.
„Queer“ verstehen wir nicht nur als Sammelbegriff sexueller oder geschlechtlicher Identitäten (LSBTIQ*+), sondern als kritische Praxis, die nicht nur heterosexuelle Dominanz und zweigeschlechtliche Geschlechterordnung bekämpft, sondern alle Formen von Diskriminierung und Ausgrenzung. Wir sehen es als unsere Aufgabe, mit Ausstellungen, Veranstaltungen und mit unserer Sammlungspraxis das individuelle und kollektive Selbstbewusstsein und die Handlungsmacht queerer Menschen zu stärken und ein Raum für Selbstverständigung, Austausch und Begegnungen für unsere Communitys zu sein. Wir werben in der Mehrheitsgesellschaft um die Anerkennung queerer Lebensentwürfe und wirken auf die Museumswelt ein, um queere Kultur und Geschichte als wichtiges Element des kollektiven Gedächtnisses sowie Sexualität und Geschlecht als relevante Kategorien zu etablieren.
Das SMU wendet sich nicht nur gegen Diskriminierung und Ausgrenzung queerer Menschen in der Mehrheitsgesellschaft, sondern will Gleichberechtigung auch in seinen eigenen Programm- und Sammlungspolitiken umsetzen. Wir wollen neue, gerechtere Erzählungen der queeren Geschichte und Kultur entwickeln, die unterschiedliche Erfahrungen, Geschichten, Kämpfe und Perspektiven in ihrer Vielfalt und manchmal auch Widersprüchlichkeit präsentieren. Dafür stellen wir auch unsere eigenen Strukturen und Praxen zur Disposition und wollen sie so verändern, dass sich alle und vor allem die von Diskriminierung besonders Betroffenen eingeladen fühlen – als Besucher*innen, Kooperationspartner*innen oder Mitarbeiter*innen.
Wir arbeiten dezidiert interdisziplinär und wissensdemokratisch, d. h., wir sammeln alle Arten von Zeugnissen queerer Geschichte(n) und sehen alle Wissensformen – künstlerische, aktivistische, alltagspraktische oder wissenschaftliche – als wertvoll an. Wir gestalten innovative, queere oder queerende museale Formate, bei denen es nicht nur darum geht, etwas darzustellen und Wissen zu vermitteln, sondern auch darum, soziale Interaktionen zu ermöglichen. Ästhetischen Verfahren und künstlerischer Arbeit kommt dabei als Praxis der Verunsicherung und der Utopie eine besondere Bedeutung zu.
Gewachsen aus einer Graswurzelbewegung, ist das Museum bis heute ein zivilgesellschaftliches Projekt, das vom ehrenamtlichen Engagement vieler Mitarbeiter*innen getragen wird und eine besondere Verbundenheit zu den queeren Communitys besitzt. Die Vielzahl der unterschiedlichen Affekte und Interessen, die sich im Museum artikulieren, sind nicht immer harmonisch. Wir sehen Konflikte und Auseinandersetzungen in und um das SMU als Ausdruck der Bedeutung, die es für viele queere Menschen hat, und als Chance, einen kollektiven Raum zu gestalten, in dem wir uns über unsere Geschichte auseinandersetzen und eine Zukunft entwerfen.
— Beschlossen von der Mitgliederversammlung am 2. November 2019