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Igitt – 90 Jahre Homopresse

16. November 1986 – 28. Dezember 1986

Schwule hassen ihre Zeitschriften. Was drin steht, kennt man Eh‘ schon. Immer das gleiche Geseire- Ein bisschen genant ist es ja, diese Mischung aus Kampfgeschrei und Porno. Kaum gelesen, wandert das Ding auf den Müll. Schade.

Immer wieder gibt es Unentwegte, die den schwulen Kampf dokumentieren, ihn beschreiben, vorwärts treiben. Mit viel Liebe Dilettantismus oder Professionalität und fast ohne Geld wird da eine Zeitschrift aus dem Nichts gezaubert, und das jeden Monat neu. So was muss doch gewürdigt werden. Wer sonst als diese Unentwegten schreibt ab unserer kollektiven Geschichte? Wo sonst findet man eine so ergiebige Quelle zum schwulen Alltag, zu schwulen Träumen, Hoffnungen und Wünschen? Man muss sie nur ausgraben.

Der Veren der Freunde eines Schwulen Museums in Berlin e.V. will mit seiner ersten Ausstellung die Vielfalt und die Einfalt der schwulen Publizistik dokumentieren, die Geschichte der deutschsprachigen Homopresse.

Der Weg zu Freundschaft und Toleranz, Die Insel, Das Blatt der Einsamen oder lieber Disziplin, das Neueste für den Sadomaso. Wer kennt eigentlich all diese schwulen Zeitschriften? Seit den ersten Versuchen mit dem Eigenen 1898 und dem Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen 1899 sind über 360 verschiedene Zeitschriften in deutscher Sprache erschienen. Zur ersten Blüte kam diese Produktion im Berlin der 20er Jahre, als in anderen Ländern erst klägliche Versuche unternommen wurden. Hier konnte man wählen zwischen Kulturblättchen der Gemeinschaft der Eigenen, die nur für Mitglieder bestimmt waren, der Freundschaft, die seit 1919 als erste öffentlich am Kiosk zu kaufen war, den Heftchen mit ihren Kitschgeschichten und Fotografien schmachtender Knaben, die auf einen einsamen Ehelosen warteten und den aufklärerischen Mitteillungen des Wissenschaftlich-humanitären Komitees oder des Bundes für Menschenrecht.

Als diese Kultur durch die Nazis zerstört wurde, gab es eine Weiterführung der Tradition nur in der Schweiz, wo von 1932 bis 1967 Der Kreis, anfangs als Schweizerisches Freundschaftsbanner, erschien. Nach der Niederlage des deutschen Faschismus begann zaghaft ein neuer Anfang mit Amicus, einem Blatt, das 1948 mit Genehmigung der amerikanischen Militärbehörde in Berlin erschien. Der Schwerpunkt der Zeitschriftenproduktion hatte sich jetzt nach Frankfurt und Hamburg verlagert. Foto- und Pornoblätter erschienen wegen der Zensur in Dänemark.

Erst nach der Liberalisierung des § 175 im Jahr 1969 gab es wieder eine Zeitschriftenflut unterschiedlicher Couleur, Hochglanzpapier und hektografiertes Bewegungsblatt. All dies und so interessante Themen wie die Auseinandersetzung mit dem Faschismus, Kontaktanzeigen gestern, heute, morgen, bekannte und unbekannte Illustrationen, Antikensehnsucht, Nacktfotos, Porno und Wichsvorlagen wird es in der Ausstellung zu entdecken geben. Wir halten die schwulen Blätter für eine wichtige Quelle für die Erforschung des schwulen Alltags, der Emanzipation, der Ideologien, Sehnsüchte und der Geschichte.

Kuratoren: Wolfgang Theis, Andreas Sternweiler