Das Schwule Museum in Berlin zeigt seit 1985 homosexuelles Leben in all seinen Facetten. Dies wird in Ausstellungen mit kultur- oder politikgeschichtlichen Schwerpunkten, aber auch in künstlerischen Präsentationen dokumentiert. In bislang über 100 Sonderausstellungen und der Dauerausstellung Selbstbewusstsein und Beharrlichkeit – 200 Jahre Geschichte wurden die Geschichte der Homosexuellenbewegung und einzelne Lebensentwürfe von Homosexuellen vorgestellt. Momentan befindet sich das Schwule Museum in einer wichtigen strategischen Neuorientierung: Geschichte und (Sub-) Kultur der lesbischen und queeren Bewegung werden Bestandteil des Schwulen Museums. Der Paradigmenwechsel, der seit 1990 dazu motiviert hat, dass heute schwule, lesbische, transsexuelle und transgender AktivistInnen unter dem „queeren“ Label zusammen arbeiten, findet darin seinen Ausdruck. Der erste Schritt in diese Richtung war die Ausstellung L-Projekt im Sommer 2008, die bundesweit erstmalig die Politik und Kultur der politisch und künstlerisch sehr produktiven Berliner Lesbenszene seit Anfang der 1970er Jahre dokumentierte. Die Präsentation der „Frauenbiografien“ ist ein weiteres Zeugnis für die schrittweise Umgestaltung der Dauerausstellung. Zusätzlich zu den bereits vorhandenen Exponaten werden sowohl vier Biografien von lesbischen Protagonistinnen als auch einige Höhepunkte aus dem vorangegangenen L-Projekt gezeigt.
Mit Johanna Elberskirchen (1864-1943) stellen wir eine außergewöhnliche und fast vergessene Figur aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts vor. Sie engagierte sich in der Frauen-, Homosexuellen- und ArbeiterInnenbewegung. Die Autorin Christiane Leidinger würdigt Johanna Elberskirchen in ihrer unlängst erschienenen Biografie.
Daneben wird ein Einblick in das bewegte Leben der Journalistin Elisabeth Leithäuser (1914-2004) gegeben. Elisabeth Leithäuser wurde 1934 als Jungkommunistin wegen Hochverrats angeklagt. Dank eines Meineides kam sie frei und zog sich bis Kriegsende mit ihrer Partnerin ins Private zurück. Nach 1945 arbeitete sie als Journalistin für den Berliner Rundfunk, den RIAS und für den Telegraf. Fast sechzigjährig orientierte sie sich noch einmal neu und leitete über viele Jahre ein Haus zur Rehabilitation von psychisch Kranken. In ihrem „dritten“ Leben engagierte sie sich schließlich in der Frauen- und Lesbenbewegung, die sich um 1970 neu formierte.
Einen ganz anderen Ausschnitt der Geschichte lesbischer Frauen zeigt die Lebensgeschichte von Domino. Ab 1960 trat sie als einzige Herrenimitatorin in den Travestieshows von Berliner Lokalen wie Chez Nous und Troika auf. In Paris geboren, besuchte sie ein katholisches Mädchenpensionat in Marseille und erhielt eine kirchenmusikalische Ausbildung. Erste Engagements hatte sie im Carrousel de Paris, Madame Athur und im Elle est lui. Seit mehr als 21 Jahren lebt sie mit ihrer Freundin und Gesangspartnerin Régine auf Sylt und tritt mit ihr als das Duo Domino und Régine auf.
Die Biografie von Rita Thomas (*1932) vermittelt Einblicke in die Geschichte der Ostberliner Lesbenszene. Als bekennende „Bubi“ nannte sich Rita Thomas seit ihrem 15. Lebensjahr Tommy. Gegen den Widerstand der DDR-Behörden eröffnete sie 1962 in Berlin-Friedrichshain einen eigenen Hundesalon und machte sich als Tiertrainerin für Auftritte im Film, Varieté und in Shows einen Namen. Ihre Wohnung in Friedrichshain, direkt über dem Hundesalon gelegen, und ihre Datscha in Weißensee waren in den 1950er und 1960er Jahren eine der Adressen für Feiern der Ostberliner Szene. In den 1970er Jahren engagierte sich Tommy in der Homosexuelleninitiative Berlin und trat in deren Kabarettgruppe Hibaré auf. Tommy lebt seit mehr als 40 Jahren mit ihrer Lebensgefährtin Helli zusammen.
Wir freuen uns, mit einigen Exponaten der Ausstellung L-Projekt auch die lesbische und queere (Sub-)Kultur der letzten Jahrzehnte präsentieren zu können. Mit Fotografien von Heike Overberg erinnern wir an den legendären Veranstaltungsort der Berliner Lesbenszene Pelze. Die großformatigen Aufnahmen von Kristina Strauß lassen die publikumswirksame Aktion Mösen in Bewegung, die den Berliner CSD 1998 in Aufruhr versetzte, noch einmal Revue passieren. Mit ungewöhnlichen Backstagefotos zeigt der/die US-amerikanische Genderperformer/in und Fotograf/in Debra Kate queere Bühnengrößen – Toni Transit, Mimi Montroe und Coco Lores – und dokumentiert damit auch die internationale Bedeutung der Berliner queeren (Sub-)Kultur.
Kurator: Anton Stern