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Schätzchen des Monats: Jona Gold und ihre Kreidezeichnung „Ein Sanfter Widerstand“

1. November 2023

Die Obertunte vom Bodensee, oder auch einfach Jona Gold, beendet gerade ihren einjährigen Bundesfreiwilligendienst am Schwulen Museum und hinterlässt dabei ein Zeichen ihres ‚sanften Widerstands‘. Allerdings geht Jonas politischer Einsatz diesem Jahr weit voraus: vom Widerstand in der Kleinstadt, über die Netzwerkarbeit mit 16 und den passenden queeren Soundtracks – Jona erzählt von der Genesis einer Obertunte!

Hallo Jona! Du bist zwar eine kleine Online-Sensation, du musst dich aber trotzdem kurz vorstellen…

Also, ich bin Jona und ich bin ursprünglich die Obertunte vom Bodensee. Von dort bin ich aber vor einem Jahr geflohen, nachdem ich die Schule abgebrochen habe und mich auf den Weg zur Freiheit nach Berlin gemacht habe. Zum Glück hatte das Schwule Museum zu diesem Zeitpunkt die Stelle zum Bundesfreiwilligendienst ausgeschrieben. Da dachte ich: wer, wenn nicht ich?

Wie kamst du zu dem Namen „Obertunte“?

„Tunte“ ist ein stigmatisierter Begriff, der oft als negative Fremdbeschreibung benutzt wird. Ich hab schon mit 13 Jahren gemerkt, wie Menschen in der Schule und in meiner Familie den Begriff benutzt haben, um mich runterzusetzen und für Verhalten, das nicht dem binär-männlichen Ideal entspricht, zu sanktionieren. Ich erinnere mich, dass ich mit einem schwulen Mann von der Webseite DBNA, also ‚Du bist nicht alleine‘, telefoniert habe und der zu mir meinte: „Du bist aber schon ziemlich tuntig!“ Ich habe das energisch verneint. In einem späteren Gedankengang habe ich gemerkt, dass es eigentlich ganz gut ist, man selbst zu sein. Ohne genau zu wissen, was Selbstermächtigung bedeutet, oder dass die Tunte eine politische Figur ist, habe ich mir den Begriff Tunte positiv angeeignet. Ganz nach dem Motto: Dann bin ich eben nicht irgendeine Tunte, sondern die Obertunte! Ich hab dann früh angefangen, mich gegen meine queerfeindliche Schule zu wehren und Beratungsstrukturen aufzubauen. Ich bin jetzt 19 und habe mit 16 meinen ersten CSD organisiert.

Das klingt nach viel Verantwortung für eine jugendliche Person!

Ich sag’s mal so, es gibt dieses Lied von Gloria Gaynor, in dem sie singt „If you want it, do it yourself.” Das habe ich immer gehört, auf dem Weg von Oberteuringen nach Friedrichshafen, 15 Kilometer auf dem Fahrrad, durch die Provinz, in die Hafenstadt… Ich musste als queere Jugendliche Person diese Verantwortung übernehmen weil es keinerlei Strukturen gab. Wenn ich was verändern wollte hatte ich keine andere Wahl, als es selber zu machen. Das war schon ziemlich trist.

Welche Rolle spielt das Schwule Museum jetzt in deinem Leben?

Eine der Selbst-Emanzipation! Ich wurde vor zwei Jahren auf Instagram von einer Polit-Tunte angeschrieben, nachdem ich den Hashtag #Tunte unter einem Bild benutzt habe. Diese war niemand geringeres als Brigitte Oytoy! Somit hatte ich einen Kontakt nach Berlin. Zu diesem Zeitpunkt habe ich gelernt, dass es noch mehr Menschen gibt, die so schrullig sind wie ich und die gleichen Lieder singen.

Was machst du jetzt für Sachen im SMU?

Nach meinem Bewerbungsgespräch wollte man sich in etwa einer Woche melden, ich hab allerdings noch am selben Abend die Zusage bekommen. Ich bin an dem Tag ausschließlich grinsend U3 gefahren! Mein erster Tag war ein Samstag, an dem ich am Empfang gearbeitet, Kaffee gekocht und Besuchende begrüßt habe. Ich empfange gerne unser Publikum, das sind Leute aus aller Welt. Bevor ich im schwulen Museum gearbeitet habe, habe ich in diesem Ort stets mich selbst gesucht. Das bemerke ich bei den Besuchenden auch, wir suchen uns in unserer Geschichte und in den anderen. Ich habe Menschen erlebt, die zum ersten Mal öffentlich Händchen gehalten, sich bei mir geoutet oder angefangen haben in meinen Armen zu weinen. All das im Café vom Schwulen Museum.

Jetzt gab es ja am SMU ein paar reale, gefährliche Angriffe, bei deren Aufklärung du auch wirklich engagiert warst.

Das stimmt. Für mich ist das Schwule Museum mitunter der Ort, an dem ich mich am sichersten fühle. Ich hab hier ein halbes Jahr gearbeitet, ohne irgendwelche Attacken von außen. Nun haben ja die meisten mitbekommen, dass wir einige Angriffe über uns haben ergehen lassen. Bei einem war ich auch vor Ort, habe Fotos gemacht, meine Beobachtungen verschriftlicht, eine Strafanzeige erstattet, nachdem mir alle möglichen queerfeindlichen Beleidigungen zugerufen wurden. In der Zeit seitdem habe ich immer ein Paar Wechselschuhe dabei – und das eben nicht nur, weil Stöckelschuhe an den Füßen wehtun…

Wenn ich das richtig verstanden habe, kam die Inspiration für dein Schätzchen aus dieser Zeit, oder?

Genau, nach dem siebten Angriff habe ich mir gedacht: „Es reicht!“ Dann habe ich mir meine zerrissenste Netzstrumpfhose angezogen, queere Sticker eingepackt und ausgelegt, durchgehend Barbara Streisands und Donna Summers „Enough is Enough“ gehört und mir Kreide gekrallt, um die Worte „JETZT ERST RECHT“ vor unsere Eingangstür zu malen. Als ich das Museum für 30 Minuten verlassen hatte, um mir die Kreide zu besorgen, wurde ich tatsächlich mehrfach auf der Straße diskriminiert: bespuckt, beleidigt, verfolgt. Ich meine, wie kann es sein, dass ich auf dem Weg ins Schwule Museum nicht sicher sein kann? Die paar Minuten von der U-Bahn zur Lützowstrasse…

Das ist herzzerreißend zu hören. Erzähl uns mehr von deinem Schätzchen!

Das Schwule Museum ist ja recht unauffällig, besonders wenn man auf der Straßenseite des Museums läuft. Deshalb wollte ich, dass die Leute, die hierher kommen, sehen, dass das hier ein queerer Ort ist, egal ob sie ins SMU wollen oder nicht. Deshalb habe ich für mein Schätzchen die Inter* Inclusive Pride Flag mit Straßenkreide mit anderen Ehrenamtlichen auf den Bürgersteig gemalt. Heute ist es vielleicht nur der Bürgersteig, morgen ist es vielleicht schon der ganze Kiez.

Wie bist du dafür vorgegangen?

Ich bin in die direkte Aktion gegangen, habe mir ein 136-teiliges Kreideset genommen, Hannah vom Ehrenamt gefragt und habe auf der Straße losgemalt. Nach und nach haben wir Besuchende dazu motiviert mitzuhelfen. Das haben viele direkt eingesehen: das hier ist ein einzigartiger, so alter und reicher Ort, wir müssen das mehr zeigen. Wir sind das erste und älteste queere Museum mit einem Archiv, wir müssen diesen Ort schützen. Es sind Angriffe auf das Schwule Museum, gemeint sind wir aber alle!

Wie würdest du dein Schätzchen nennen?

Ich weiß nicht… Vielleicht „ein sanfter Widerstand“? Es ist ja jetzt kein Graffiti, es ist also kein permanenter Akt des zivilen Ungehorsam. Der direkte Effekt ist trotzdem da… Ja das ist gut, ein sanfter Widerstand der Terrortunte (lacht).

Danke, dass du uns dieses Schätzchen einfach so schenkst!

 

Foto: mino Künze