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Schätzchen des Monats: Dragan Šimičević und die Trautsch Books

1. Juli 2023

Dragan Šimičević ist Coach, Psychologe, Künstler und nun auch Kurator: Gemeinsam mit Peter Rehberg und Jessica Walter hat er die Ausstellung „Photography as a Way of Life“ mit Fotografien von Rüdiger Trautsch auf die Beine gestellt. Als Schätzchen des Julis erzählt Dragan uns von seiner Freundschaft mit dem Schwulen Museum und gewährt zudem intime Einblicke in eine noch wichtigere Freundschaft: die mit Rüdiger Trautsch selbst.

 

Hallo Schätzchen, ich freu mich dich hier zu haben! Stellst du dich uns vor?

Hi, das mach ich sehr gerne: ich bin Dragan Šimičević und komme aus Berlin, obwohl ich in Kroatien groß geworden bin. Am Schwulen Museum bin ich in vielen Funktionen, zum einen als großer Freund der Institution, aber auch als Cultural und Artistic Consultant. Seit ein paar Jahren darf ich eure Organisation auch im Change-Management begleiten. Ich kenne das Museum aus verschiedenen Richtungen, und das ist das Schöne.

Was bedeutet das, wenn du von Change-Management sprichst?

Also, im Grunde genommen bin ich Organisationspsychologe. Ich betreue Organisationen aus dem Kultur- und Kunstsektor, die in Entwicklungsprozessen sind. Meine Aufgabe ist es dann, diese bei all den notwendigen Veränderungen strukturell und emotional zu begleiten. Hier am Museum konkret stellt sich seit längerer Zeit die Frage: Wie kann eine Organisation gesund wachsen? In diesem Prozess bin ich seit 2016 dabei.

Wow! Das heißt, du hast einiges gesehen, oder?

Ja, von Ausstellungen, Personen und Teams war alles mit dabei. Als eine Person, die immer wieder mal in das Museum kommt, ist es toll mitzubekommen, wie eine Organisation wächst, gedeiht und sich auch verändert. 2016 sah der Vorstand und das Publikum noch ganz anders aus, mittlerweile ist das Schwule Museum weitaus diverser — das ist schön zu sehen. Darin spiegelt sich auch die Veränderung der Gesellschaft wieder.

Und wie sah dein persönlicher Weg ins Schwule Museum aus?

Das liegt noch etwas weiter zurück. Mein erster Besuch in Berlin war mit einem Besuch im Schwulen Museum verbunden, da war ich noch Student. Als ich so das erste Mal ins Schwule Museum kam, lag dieses noch am Mehringdamm und war viel kleiner. Das zweite Mal erreichte ich das Schwule Museum als bildender Künstler, das muss 2014 gewesen sein. Dort hatte ich nämlich meine Solo-Ausstellung „Dream Within a Dream“, die Patrick Henze-Lindhorst kuratierte. In dieser ging es um das Göttliche im Menschen. Ich habe reflektiert, wie wie sich Mensch und Geschlecht als Kunstwerke selbst erschaffen, aber auch wie Gott den Menschen geschaffen hat und dieser sich dann wieder selbst zum Kunstwerk macht. Das war also ein kleiner Ausflug in den Kabbalismus.

Wie spannend! So bist du also gekommen, und glücklicherweise auch geblieben.

(lacht) Tatsächlich! Durch diese Ausstellung habe ich gemerkt, wie interessant ich die Verbindung zwischen Psychologie und Kultur finde. Also habe ich mein Psychologen-Dasein in diese Richtung ausgerichtet. So gesehen war das Schwule Museum wirklich prägend für mich, um mich als Organisationspsychologen zu verstehen.

Gibt es denn unter all den Rollen, in die du bisher schlüpfen durftest, eine Lieblingsrolle?

Eigentlich würde ich ja sagen die Begleitung der Prozesse, aber letztes Jahr wurde mir die Ehre zuteil, mich kuratorisch auszuprobieren — an der Stelle auch tausend Dank an das Museum und Peter Rehberg, der mir diese Aufgabe von Beginn an zugetraut hat. Ihn habe ich dann, gemeinsam mit der wunderbaren Jessica Walter, bei der kuratorischen Arbeit zur Ausstellung „Photography as a Way of Life“ von und für Rüdiger Trautsch begleitet. In dieser dürfen wir nochmal sein 50 Jahre umfassendes Werk zeigen.

Hattest du auch einen Lieblingsmoment im Museum?

Da muss ich kurz nachdenken — hier muss ich wahrscheinlich doch die Eröffnung meiner Solo-Ausstellung hervorheben. Das war ganz besonders für mich. Denn ich bin, obwohl ich viel quatschen kann, eigentlich ein wirklich introvertierter Mensch. Meine künstlerische Tätigkeit war eine, die in meiner Welt passiert ist und somit ein sehr intimer Akt war, der auch mit Spiritualität zu tun hatte. Schlussendlich die fertigen Videos und fotografischen Werke in großen Räumen zu sehen, Besucher*innen, Freund*innen und Journalist*innen dabei zu erleben, wie sie sich mit meinen Werken beschäftigen und sie ernst nehmen — das war alles ein sehr intimer und emotionaler Akt für mich… Und da schließt sich auch ein Kreis, denn Rüdiger war auch auf der Eröffnung. Davon gibt es ein tolles Bild, auf dem er vertieft in eine meiner Arbeiten blickt. Rüdiger war zu dieser Zeit mein Mentor, einer Zeit, in der er mich gelobt, aber auch getadelt hat. Es ist auch sein Verdienst, dass ich vom Digitalen ins Analoge zurück gegangen bin. Er hat immer gesagt: „Beherrscht du die analoge Kamera, kannst du fotografieren.“ Also, danke Rüdiger! Es gibt wirklich keine Zufälle.

Ich hab schon gesehen, dein Schätzchen steht auch in Verbindung mit Rüdiger. Willst du uns mehr erzählen?

Ja, unbedingt! Also, falls es noch nicht klar geworden ist: die aktuelle Ausstellung, die bis zum 18. September läuft, sollte sich wirklich niemand entgehen lassen. In dieser sehen wir Fotografien von Rüdiger aus 50 Jahren. Aber mein Schätzchen bietet nochmal einen anderen Einblick in seine Arbeit: seine künstlerische Methode war die der Begegnung, aus der sich auch seine zahlreichen Freundschaften und Bekanntschaften erbaut haben. Er war ein begnadeter Künstler was Zeichnungen, Collagen und andere visuelle Werke anging. Im Archiv des Schwulen Museums gibt es dutzende Books und Zeichnungen von ihm, aus denen ich dieses hier raus gekramt habe. Dieses Booklet beinhaltet viele Zeichnungen von ihm, aber diese eine Zeichnung hat es mir besonders angetan. Rüdiger hat zufällige Begegnungen gezeichnet, und dabei seine Gedanken, Sehnsüchte und Wünsche offen gelegt. In der Ausstellung sehen wir all das, was sein künstlerisches Werk im Sinne von gezielten Aufnahmen ist, aber hier formuliert er konkret seine Gedanken und Gefühle. Hier schreibt er zum Beispiel: „Oh mein Gott, sind die schön! Die hätte ich gerne fotografiert oder gezeichnet, aber die Jungs würden nervös reagieren. Die sind wohl ein Liebespaar — oder sind sie einfach nur beim selben Friseur?“ (Beide lachen) Die Figur des Liebespaars hat Rüdiger allgemein beschäftigt, und hier zum Beispiel hat es ihm eine Person dieses Paars besonders angetan.

Das ist wirklich ein Testament für die Tiefe, mit der Rüdiger seiner Praxis nachgegangen ist, oder?

Ja, auf jeden Fall. Es ging auch wirklich nicht um die Darstellung wunderschöner Körper, sondern um die Vielfältigkeit des Daseins. Er zeichnete alle Geschlechter, Altersklassen und Körperlichkeiten. Es ging nicht um das Begehren, sondern um die Begegnung.

Hat das Schätzchen denn einen offiziellen Namen?

Für mich sind das die Trautsch Books!

Und auf die bist du im Zuge der Recherche für die Ausstellung gekommen?

Genau, Rüdiger war einer der treuesten Fans dieser Institution, und hatte seinen Nachlass wirklich schon gut katalogisiert. In der Katalogisierung sind mir diese Notizbücher aufgefallen, wobei wir uns für die Ausstellung dafür entschieden haben, explizit sein fotografisches Werk zu ehren. Für mich ist es aber auch wichtig zu zeigen, dass sich in den Kellern und Archiven dieses Museums noch viel mehr befindet, bei dem es sich lohnt zu gucken und zu forschen. Gleichzeitig erinnert mich das Durchblättern dieser Notizbücher auch an die Zeit mit Rüdiger auf meinem Balkon, mit einem Glas Saft und tiefen Gesprächen über Gott, die Welt und den Menschen. In diesen Büchern herumzustöbern ist wie nochmal in einen Dialog mit Rüdiger zu treten. Es fühlt sich nah und intim an, und ich merke: er ist noch am Leben.

Das ist so wahr. Danke, Dragan, dass du uns diesen emotionalen Einblick gewährt hast!

 

Foto: mino Künze