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Schätzchen des Monats: Joyce Aden und Antonin Artauds „Heliogabal“

1. Juni 2023

Joyce Aden ist eins der Goldstücke unserer SMU Bibliothek und hat sich mit uns in ein Gespräch über Antonin Artaud, Anarchie, Androgynie und die Antike begeben. In diesem dürfen wir nicht nur si:er kennenlernen, sondern auch die queeren Familienverhältnisse, in denen Joyce steckt. Ein Interview mit Happy End-Garantie!

Hey Joyce! Wir machen am Anfang immer gerne eine Vorstellungsrunde: woher kommst du, was machst du, was beschäftigt dich?

J: Dann machen wir’s auch so: ich bin zwar in Chile geboren, habe aber mein ganzes Leben in Berlin verbracht. Ich studiere Film- und Theaterwissenschaften an der Freien Universität in Berlin und arbeite auch beim Filmforschungsinstitut als studentische Hilfskraft. Ansonsten übernehme ich eben noch ein Ehrenamt hier im Schwulen Museum. Mich interessiert alles, was unter Kultur gefasst werden kann, also Literatur, Kunst, Theater und Museen. Aber Film beschäftigt mich gerade besonders. Und Musik! Das alles gerne aus einer queeren Perspektive, natürlich.

Selbstverständlich! Darf ich fragen, wie alt du bist?

Ich bin jetzt 19.

Das heißt das mit dem Studium läuft noch nicht so lange, oder? Ich frage mich gerade, wie du bei Film gelandet bist.

Mir war immer klar, dass ich etwas Kulturell-Künstlerisches studieren möchte. Videos habe ich immer gerne geschaut und auch selbst produziert. Als das dann mit der Corona-Pandemie los ging, habe ich angefangen, wirklich jeden Tag einen Film zu gucken – teilweise sogar mehr als einen Film. Also irgendwie war das dann fast eine pragmatische Entscheidung: ich finde Film ist ein sehr zugängliches Medium, anders als jetzt Theater, für das man zu einem bestimmten Zeitpunkt vor Ort sein muss, oder Bücher, die mehr zeitliche Ressourcen in Anspruch nehmen. Im Prinzip hätte es trotzdem Bildende Kunst oder Literatur werden können, aber so hat sich das jetzt ergeben. Ich bin glücklich.

Hören wir gerne! In dem Fall passt du hervorragend in Berlin als Kulturhauptstadt hinein.

Ja, das stimmt (lacht). Jede Woche kann ich ins Kino und einen Film sehen, in dessen Genuss ich an anderen Orten nicht so leicht gekommen wäre. Liebe auch Berlins große und kleine Konzerte, unsere Buchläden, die Theateraufführungen…

Ich verstehe. Wie hast du denn deinen Weg ins Schwule Museum gefunden?

Ich kannte das Museum schon recht früh und habe auch immer wieder Ausstellungen besucht. Ich bin allerdings nicht vor dem Hinweis von Freund auf das Ehrenamt des Schwulen Museums aufmerksam geworden, das war während unseres Abiturs. Gerade nach dem Abi will man was zu tun haben, und da habe ich nach einem Ehrenamt gesucht. Als ich von der Bibliothek und dem Archivbereich Wind bekommen habe, musste ich sofort eine Mail schreiben – auf die erst mal ganz lange keine Antwort kam (beide lachen). Ich bin dann einfach vorbeigekommen und habe mich beschwert, und dann ging’s auch ganz schnell. So ist es dann gekommen, dass ich einmal die Woche in der Bibliothek arbeite. Das mache ich jetzt seit einem knappen Jahr.

Na, danke für deine Geduld! Wieso macht dir die Arbeit hier Spaß?

Ich sortiere Bücher und helfe Besucher*innen bei ihren Recherchen. Wenn Menschen vorbei kommen, die zwar schon eine Idee für ihre Forschung haben, aber auch offen dafür sind, inhaltliche Exkurse zu machen, bringt mir das besonders viel Freude. Es bereichert mich, mit einer Person, mit der ich sonst gar nichts zu tun hätte, ins Detail zu gehen und zu gucken, was könnte hier und da noch passen. Das bedeutet für mich viel Recherche in vielen Themenbereichen!

Hast du eine Recherche, die dir besonders gut im Gedächtnis geblieben ist?

Als Filmfan, ja: Es gab einen italienischen Filmemacher, der zu queeren Bars in den 20ern und 60ern recherchiert hat. Ich weiß gar nicht genau, ob was aus dem Projekt geworden ist, aber zusammen haben wir nach Bildmaterial gesucht. Das war aus einer filmischen Perspektive sehr interessant. Wenn ich mich recht erinnere, war das auch eine meiner ersten Schichten.

Wie schön, dass ihr solche Anknüpfungspunkte finden konntet. Ich sehe dein Schätzchen ist ein Buch, willst du uns das einmal vorstellen?

Gerne! In der Bibliothek habe ich einfach viel Kontakt mit Büchern, weshalb ich Antonin Artauds „Heliogabal“ mitgebracht habe. Das ist eine Biographie des antiken römischen Kaisers Heliogabal, aber Artaud sieht das mit der Faktentreue nicht zu eng. Das Buch ist total von seinen Interpretationen und eigenen Weltanschauungen geprägt. Auf Antonin Artaud bin ich durch ein Seminar an der Universität gestoßen. Um meine Modulabschlussprüfung in dem Kurs abzulegen, musste ich viel recherchieren und habe im SMU-Katalog dann „Heliogabal“ gefunden. In dem Buch geht es viel um Geschlecht und Sexualität, es behandelt Androgynie als Ideal, fast schon als was Göttliches, auf das Heliogabal als Kaiser hinstrebt. In meiner eigenen Arbeit untersuche ich dann, in welchen Formen Androgynie diskutiert wird; mal als Geschlechteridentität, mal als körperliches Merkmal oder auch einfach als Konzept.

Spannend, da ist der Queer-Bezug doch expliziter als gedacht. Mit welchen drei Worten würdest du dein Schätzchen beschreiben?

Androgynie – Antike – Anarchie

Liebe eine gute Alliteration (lacht). Würdest du dem Schätzchen gerne wem schenken, wenn du könntest?

Vielleicht meiner Stief-Oma… Meine Mutter hat ihr erzählt, dass ich nicht-binär bin, und seitdem schreibt mir meine Oma ganz süße E-Mails, in denen sie versucht, das Ganze zu verstehen. Das ist ganz toll, sie ist jetzt Ende 70. Die Seite meiner Familie ist eh recht offen, meine leibliche Großmutter ist beispielsweise auch lesbisch. Das ist angenehm, da fühl ich mich wohl. Ich denke, ihr würde ich es gerne geben, weil ich weiß, dass sie immer liest und Neues zu verstehen versucht.

Ich denke, ein schöneres Schlusswort finden wir nicht, ich danke dir Joyce. Und liebe Grüße an deine Oma!

 

Foto: mino Künze/SMU