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Schätzchen des Monats: Romain Pinteaux und eine Postkarte von Rosa von Praunheim

1. November 2022

Von Romain bekommt man als Besucher*in nicht direkt viel mit. Dennoch leistet er wichtige Arbeit: Als Praktikant im Archiv kümmert er sich unter anderem um die Sortierung der Bestände. In seinem ersten Praktikumsmonat ist ihm auch sein SMU-Schätzchen über den Weg gelaufen, was ihn viel zum Nachdenken über Kunst und Aktivismus brachte.

Lieber Romain, stell dich mal kurz vor: Wer bist du, was machst du so im Leben und wie bist du hier im SMU gelandet?

Ich bin Romain, 23 Jahre alt und Praktikant im Archiv von September bis Dezember. Mein Praktikum im SMU absolviere ich freiwillig, weil ich schon fertig mit meinem Master bin. Ich habe Kunstgeschichte und Filmwissenschaft in Paris studiert. Auf das SMU bin ich eher zufällig gestoßen: als ich mal zu Besuch in Berlin war, wollte mir eine Freundin, eine echte Berlinerin, unbedingt das Museum zeigen. In Frankreich haben wir nicht wirklich queere Archive. Gerade gründet sich ein Kollektiv, aber ich bin nicht auf dem neusten Stand, wohin das geht.

Ein Praktikum im Archiv – was kann man sich darunter vorstellen?

Meistens mache ich ganz allgemeine Aufgaben: ich verschaffe mir einen Überblick vom Bestand und sortiere dann Dinge, die noch nicht vorsortiert wurden. Das beginnt immer mit Kisten, die Dokumente zu den unterschiedlichsten Themen, wie der AIDS-Krise oder zu Berliner Subkulturen, enthalten. Diese Arbeit ist wichtig, damit die Menschen, die die Archive besuchen, gut mit den Materialien arbeiten können.

Mit was für Materialien hast du es dann zu tun?

Das ist ganz unterschiedlich. Im letzten Monat habe ich beispielsweise viele Dokumente rund um Rosa von Praunheim sortiert. Dazu gehörte natürlich Material zu seinen Filmen, das ich dann geordnet und mit einer Beschreibung versehen habe. Zu Rosa von Praunheim gibt es aber auch sehr viel Zeitungsberichte, weil er gerne provozierte und so Skandale auslöste. Dazu gibt es mehr als zu seinen Filmen selbst. Und dann gibt es noch persönliche Dokumente. Das hat mich persönlich sehr interessiert, weil Rosa von Praunheim eine sehr wichtige Figur in der Berliner, aber auch New Yorker queeren Subkultur war.

Das bringt uns auch zu deinem Schätzchen. Stell uns doch mal vor, was du ausgesucht hast!

Gerne! Ich habe eine Postkarte von Rosa von Praunheim aus New York aus dem Jahre 1987 herausgesucht. Sie ist an eine Person namens Birgit von der Berliner Aidshilfe adressiert. Der Ton dieser Postkarte wirkt auf mich ziemlich unbeschwert, obwohl die Lage in New York um diese Zeit sehr ernst war. Die Stadt befand sich inmitten der AIDS-Krise und in diesem Jahr ist auch das Kollektiv Act Up gegründet worden.

Wenn du deiner Großmutter von deinem Schätzchen am Telefon erzählen müsstest, wie würdest du es beschreiben?

(lacht) Das wäre kompliziert. Meine Großmutter ist 82 Jahre alt, also fast genauso alt wie Rosa von Praunheim selbst. Er wird übrigens in diesem November 80 Jahre alt! Meine Großmutter hat sicherlich von AIDS mitbekommen. Ich würde ihr sagen, dass es eine Postkarte von einer Person ist, die viele Fragen stellt: Wie lebt man in Zeiten von AIDS? Wie liebt man in Zeiten von AIDS? Wie können mit Kunst und Aktivismus Sachen verändert werden?

Was fasziniert dich an diesem Objekt so sehr?

Mir gefällt vor allem, dass es ein so persönliches Zeugnis voller Leichtigkeit von einer wichtigen Person aus einer so ernsten und schlimmen Zeit ist. Rosa von Praunheim war in der damaligen Zeit eine zentrale Figur zwischen dem New Yorker und Berliner Underground. Die Beziehung zwischen diesen beiden Szenen interessiert mich sehr und ich würde in diesem Bereich gerne promovieren. In der Postkarte geht es auch um Rosas eigenen HIV-Status. Dabei sagt er nicht voller Emotionen: „Ich bin negativ!“, sondern er schreibt fast nebensächlich: „Bin negativ“. Für mich ist das eine kleine in der großen Geschichte. Es geht um sein Leben, aber es geht auch um etwas, was größer ist. Er schreibt zum Beispiel auch darüber, wie unterschiedlich Menschen damals mit der Frage um Safer Sex umgingen: „Hier findet es jeder kriminell, dass Ihr proklamiert, dass blasen erlaubt ist“. Mit „Ihr“ meint er die Berliner Aidhsilfe in Berlin, die mit der Krise ganz anders umging als die Aktivist*innen in New York.

Hat sich im Laufe deiner Arbeit auch das Bild von Rosa von Praunheim verändert?

Als Provokateur innerhalb der schwulen Community war er mir bereits bekannt. Allerdings wusste ich nicht, dass seine ausgeblichen Skandale auch in der Boulevardpresse für Furore sorgten.Ich habe durch die Pressematerialien auch besser verstanden, was sein Anliegen war: Er wollte Homosexualität öffentlich machen. Das war aber nicht immer unproblematisch, weil er viele Menschen ohne ihr Einverständnis geoutet hat.

Was würdest du sagen: Was können wir heute von dieser Postkarte lernen?

Ich nehme vor allem mit, dass Kunst sehr wichtig ist – auch in Zeiten der Krise! Ich habe die akute Periode der AIDS-Krise selbst nicht miterlebt, aber die entfachten Diskussionen in der Öffentlichkeit machen für mich keinen Sinn. Die Täter*innen sind nicht Künstler*innen oder queere Menschen. Schuld tragen die Institutionen und öffentlichen Einrichtungen der Gesundheitsvorsorge. Der damalige US-amerikanische Präsident Ronald Reagan hat zum Beispiel sieben Jahre lang kein einziges Mal über AIDS gesprochen. Kunst kann dabei als Weg dienen, mit dieser Krise umzugehen: um Gefühle zu verarbeiten und festzuhalten, über die sonst nicht erzählt wird.