Sanni Est/Sanni Marie Cabral da Silva ist bereits seit 2018 Workshop-Teamerin im SMU. Für das Jahr 2021 ist sie als Fellow im Programm “Weltoffenes Berlin”, gefördert von der Senatsverwaltung für Kultur und Europa am Schwulen Museum. Mit dem Stipendium des Berliner Senats kann sie ein Jahr lang im Museum als Künstlerin und Kuratorin arbeiten. Im Interview erzählt sie von der geplanten Ausstellung über trans Künstler*innen und Aktivist*innen aus Nordostbrasilien, wieso sie für den Podcast „T Talk“ keine Fragen vorbereitet und über die Selbstbestimmung in der Sichtbarkeit von trans Personen.
SMU: Sanni, viele Leute kennen dich von etlichen queeren Events, vor allem in Berlin. Was hast du denn die letzten Jahre im SMU, aber auch außerhalb alles gemacht?
Sanni: Hallo und danke für das Interview! Im SMU hab ich ursprünglich als Workshop-Teamerin angefangen. Ich leite seit 2016 jugendkulturelle Workshops und auch Empowerment-Workshops, und seit 2018 auch zusammen mit dem Museum. In erster Linie bin ich aber Künstlerin und Kuratorin, mein Schwerpunkt ist Musik und Performance. Auf meinem künstlerischen Weg hab ich meine Fähigkeiten auch auf Kuration ausgeweitet, was für mich als Aktivismus angefangen hat. Ich wollte nicht der Willkür der musikalischen Kuration in Deutschland, in Berlin, in Europa ausgeliefert sein. Ich hab festgestellt, dass meine Narrative, dass mein Körper, dass mein Dasein nicht im Mittelpunkt steht. Deshalb hab ich angefangen, meine eigenen Veranstaltungen wie das Empower Festival zu organisieren und mich in die kuratorische Welt zu begeben.
Was meinst du mit der Willkür der Kuration?
Neben der Identitätssache gibt es auch Erwartungen, welche Genres von Körpern wie meinem erwartet wird. Das hat mich sehr gestört. Ich war zwar DJ, aber ich hatte gerne Narrative. Ich war Komponistin, aber ich möchte keine spezifischen Genres. So war es immer schwierig für mich, mich bei Veranstaltungen, wo ich gebucht wurde, als zugehörig zu fühlen. Das war zum Beispiel eine Techno-Veranstaltung und dann läuft dort ausschließlich Techno; oder eine lateinamerikanische Veranstaltung, dann läuft ausschließlich „lateinamerikanische Musik“ in vielen Anführungszeichen. Das war immer schwierig für mich.
Du hast jetzt ein einjähriges Stipendium bekommen, um am SMU zu künstlerisch und kuratorisch zu arbeiten. Magst du über deine geplanten Projekte erzählen?
Ich habe vor, 2022 eine Ausstellung mit zwei weiteren Kurator*innen aus Brasilien zu machen, mit Ana Giselle (a.k.a. transalien) und Ué Prazeres. Wir wollen etwas über trans Künstler*innen und Aktivist*innen aus dem Nordosten Brasiliens machen, weil wir drei alle engagiert sind, andere trans* Künstler*innen zu unterstützen und uns zu vernetzen. Wie bei all meinen anderen kuratorischen Maßnahmen ist das einfach ein Projekt, das mir in der öffentlichen Wahrnehmung fehlt. Selbst in der brasilianischen Medienlandschaft hört man zu trans* Themen nur Geschichten aus Sao Paolo und Rio, weil dort die TV-Medien sind. Viele Leute aus meiner Region im Nordosten migrieren auch in den Südosten aus sozialen und finanziellen Gründen. Es gibt auch ein Stigma gegenüber Leuten aus dem Nordosten, denn wir gelten als die „Peasants“, die Bäuer*innen. Viele Leute migrieren aus dem Landesinneren an die Küste oder ins Ausland, wie das auch bei mir der Fall war.
Das heißt, es ist schwierig, dort als Künstler*in Anerkennung zu finden?
Wir haben eine sehr reiche Kultur, weil es die Schnittstelle zwischen indigenen Völkern, Europa, Afrika und Lateinamerika ist. Aber wir gelten weder innerhalb noch außerhalb Brasiliens als die hohe Kultur – was von dort kommt, wird eher als Kunsthandwerk gesehen. Letztendlich gilt als Kunst, was von Kolonisatoren anerkannt wird. Kunst hat immer einen hierarchischen und adeligen Hintergrund: Die reichen weißen Menschen bestimmen, was Kunst ist und wie viel sie wert ist. Das hat mich als Künstlerin stark negativ geprägt, weil die Sachen von wo ich her komme, nicht anerkannt werden.
Was ist der nächst Schritt für das Projekt?
Im Februar gehe ich auf Recherchereise in den Nordosten Brasiliens, um mich mit lokalen Künstler*innen zu vernetzen und das Konzept weiter auszuarbeiten. Und um mich auch persönlich mit den zwei Ko-Kurator*innen zu treffen. Sie leben mittlerweile auch im Süden, weil sie mit Kunst arbeiten und das in unserer Region noch nicht profitabel ist.
Was wollt ihr mit der Ausstellung erreichen?
Was mir fehlt ist die institutionelle Anerkennung erstmal. Als Künstlerin habe ich vermieden, in meiner eigenen Kunst, in meiner Musik, zu offensichtlich zu sein. Musik ist etwas sehr Persönliches, da kann eine klare Botschaft manchmal zu reduzierend sein. Bei Kuration darf es etwas offensichtlicher sein, denn es ist selbst kein Kunstwerk, sondern eine Auswahl an Kunstwerken, eine Vielfalt an unterschiedlichen Perspektiven. Zum anderen geht es um die Art der Vernetzung. Es macht einen Unterschied, ob ich mich als freiberufliche Künstlerin mit anderen Künstler*innen vernetze. Oder ob ich als institutionelle Kuratorin andere Künstler*innen anspreche und sie auch entsprechend vergütet werden – und in einer europäischen Institution gezeigt werden können.
Weil sie dort mehr Sichtbarkeit bekommen?
Sichtbarkeit wäre allein nicht genug. Die Selbstbestimmung in der Sichtbarkeit zusammen mit der institutionellen Anerkennung ist das, was ich die ganze Zeit in meinem Berufsleben suche. Ich kritisiere diese Strukturen, aber ich denke nicht, dass die Gatekeeper die Strukturen freiwillig ändern. Ich bin in diesem Aspekt nicht anarchistisch, sondern suche einen Weg, das System zu sabotieren. Und eine Art ist auf jeden Fall: von innen heraus.
Dein anderes Projekt ist der Podcast „T Talk“. Was hat es damit auf sich?
Das ist ein Talk-Format, für das ich andere trans* Künstler*innen einlade, um über die Dinge zu sprechen, die uns bewegen. In der ersten Folge wird zum Beispiel Alex Alvina Chamberland zu Gast sein, für später ist ein Gespräch mit Daddypuss Rex geplant. Für alle, die es nicht wissen: „The T Talk“ ist ein Wortspiel. „Spilling the tea“ im Englischen ist, wenn man über „trouble“, „the hottest gossip“ spricht – oder wenn man über Tabus spricht. Der T ist immer der Kernpunkt einer Tabugeschichte. Und wir haben sehr viel T zu verschütten. Was ich als trans Aktivistin anstrebe, ist, dass unsere Narrative auch so komplex dargestellt werden, wie wir sind. Wir sind eine krasse Minderheit in der Gesellschaft und werden exotisiert und unterdrückt. Wenn wir Sichtbarkeit bekommen ist das oft in Form einer Hyper-Sichtbarkeit: Alle schauen sich jetzt die trans* Leute an. Meistens sind es sehr vereinfachte und einseitige Narrative von Elend und Gewalt, hypersexualisierte Erfahrungen und/oder sehr medizinische beziehungsweise akademische Betrachtungen. Das ist alles enorm wichtig, aber das reicht mir nicht. Ich hab mich schon vor zwölf Jahren damit auseinandergesetzt.
Um welche Fragen geht es dir dabei?
Nach meiner „Transition“, wenn man davon überhaupt als einem abgeschlossenen Prozess reden kann, hab ich alles dafür getan, um ein Passing zu haben. Dann hab ich aber gemerkt, dass das nicht reicht, weil ich andere Erfahrungen hab. Zu welchem Frauenarzt gehe ich? Welche Männer würden überhaupt in einer Beziehung mit mir sein? Was darf ich überhaupt in eine Beziehung mit cis Menschen mitbringen, deren Aushaltevermögen sehr gering ist? Und wie geht man mit der Einsamkeit um, die nicht verschwindet, wenn man passt? Die Beschäftigung mit Geschlecht und Soziologie kann zu sehr tiefgründigen Auseinandersetzungen führen, die wirklich allen dienen, nicht nur trans* Personen. Die Fragen gehen alle an: Wo ist der Ursprung dieser Verhaltensweisen? Wieso ist diese Männlichkeit so fragil? Woraus besteht Weiblichkeit überhaupt?
Warum stellen sich nicht mehr Menschen diese Fragen?
Viele Menschen haben andere Prioritäten, weil sie Familie, Kinder, Beziehung haben. Sie haben den Vollzeitjob, normal zu sein. Den hab ich nicht. Wenn du eine Außenseiterin bist, ist es egal, wer oder was du bist. Diese Freiheit, wenn man das so nennen kann, hat mir gezeigt, dass ich sehr besonders bin und dass meine Ansichten besonders sind. Ich will in kein trans Muster oder in kein Frauen-Muster reinpassen müssen. Deshalb möchte ich für meine Gäst*innen im Podcast auch keine vorgefertigten Fragen haben. Sie haben ein T, einen Tee zu verschütten – und ich bin da, um ihnen zuzuhören als andere „tranny of colour immigrant“. Und ich finde, dass dieses Gespräch interessant genug wird.